Honigfalter
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Düstere Zeiten | November 2010
Angst
von Barbara Hennermann

Dürren gichtigen Hexenfingern gleich,
verbogen, knotig und schwarz,
greift die Angst nach dir.
Im verzerrten Antlitz, hohlwangig,
glühende rote Augen, starrend und starr.
Blicklos.
Schwefelnd umgibt sie der Gestank der Hölle.
Sie greift nach dir, bannt dich an einen Ort,
lähmt deine Gedanken.
Tränen entsteigen den Tiefen deiner Seele,
bemüht, die lähmende Angst fortzuschwemmen.
Sie aber frisst sich an ihnen fest,
nimmt den umgekehrten Weg,
tötet deine Seele.
Was bleibt ist Leere, Wut und Depression.
Verzweiflung.
Unüberwindbare Hindernisse setzt sie in dein Leben,
hemmt deinen Weg.
Sie vergiftet deine Kräfte, verkehrt sie ins Gegenteil,
richtet sie gegen dich selbst.
Selbst zerstörend wirkt die Angst dem Leben entgegen.
Nichts, was sie aufhalten könnte.
Nichts, was sie lindern könnte.
Ungewissheit steigert sie ins Unermessliche.
Als letzte Konsequenz bleibt die Vernichtung.
Die deiner Mitmenschen. Deine eigene.
Nur die Angst widersetzt sich ihr.
Auch wenn du stirbst - die Angst lebt weiter.


Die dünnen, welken Finger streichen das Papier glatt, wieder und wieder. Es ist, als ob sie die Worte wegwischen wollten, sie ungeschrieben machen. Und plötzlich merke ich, dass es meine Finger sind, die da das Papier glatt streichen. Die Worte fangen sich in meinem Kopf, verdichten sich zu Gedanken, Erinnerungen … Wie lange mag es her sein, dass ich sie anlässlich eines Schreibwettbewerbs schrieb? Dreißig Jahre? Vierzig Jahre? Die Zeit fließt ineinander, ist nicht mehr greifbar. Damals waren meine Hände glatt und stark, konnten das Leben anpacken, die Dinge herumreißen … Was ist geschehen? Wie komme ich plötzlich hierher? Ich kenne mich nicht mehr. Die Gedanken sind doch die gleichen geblieben! Aber mein Körper trägt die Zeichen der Zeit, des Alters, will mir nicht mehr gehorchen, hat mich im Stich gelassen … Er passt nicht mehr zu mir.
Ein stechender Schmerz durchbohrt mich, droht mich zu zerschneiden. Meine Hände krampfen sich um die Kette, die ich um den Hals trage, drücken unwillkürlich den roten Knopf daran. Das Blatt Papier segelt zu Boden – Herbstlaub, abgestorben, nutzlos.
Hinter mir öffnet sich die Tür. Habe ich das Klopfen überhört? Die mollige, rotwangige Frau stellt sich vor mich hin. „Ach Herr Brokowski, haben Sie wieder in ihren alten Unterlagen geblättert?“ Sie hebt das Blatt vom Boden auf, zerknüllt es und wirft es in den Papierkorb. „Das brauchen wir doch nicht mehr! Wir wissen doch, dass uns das nicht gut tut.“ Ihre Stimme ist betulich und resolut.
Der Schmerz in meinem Inneren verstärkt sich, lässt mich aufstöhnen. „Sehen Sie, Herr Brokowski, nun haben Sie wieder Ihre Blähungen. Da wollen wir beide doch gleich einmal zur Toilette gehen, gell?“ Meine Stimme will mir nicht mehr gehorchen, kann sich nicht widersetzen. Glatte, starke, kalte Hände heben mich aus dem Rollstuhl, streifen mir die schlapprige Jogginghose von den Hüften, zwingen mich auf die Kloschüssel. „So, Herr Brokowski, jetzt wird es uns bald besser gehen. Sie bleiben schön hier sitzen und machen keine Dummheiten, gell? Ich gehe rasch nach Frau Meier-Bezold sehen und dann komme ich wieder zu Ihnen!“ Die Pflegerin eilt geschäftig hinaus.
Mein Körper bleibt auf der Kloschüssel zurück, unbeweglich, verkrampft, kraftlos. Er kann sich nicht mehr wehren. Gelähmt nicht nur vom Alter, gelähmt auch von der Angst, gesteigert bis zur Panik … Eingebunden die Gedanken, die keine Zukunft mehr erkennen können und denen die Vergangenheit keine Kraft mehr verleiht.

Wann habe ich diese Zeilen geschrieben, die nun im Abfall gelandet sind, unerreichbar für mich? Vor dreißig, vierzig Jahren? Wie konnte ich damals ahnen, wie die Angst mich einmal verzehren würde?
Als letzte Konsequenz bleibt die Vernichtung .
Es ist nicht die Angst vor dem Tod, die mich umtreibt.
Es ist die Angst vor dem davor.
Die Angst, die ich lebe…
Täglich. Stündlich. In jeder Minute. Bei vollem Bewusstsein.

Letzte Aktualisierung: 15.11.2010 - 20.22 Uhr
Dieser Text enthält 3977 Zeichen.

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