Bitte lächeln!
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Düstere Zeiten | November 2010
Das Rezept
von Robert Pfeffer

Ihr Blick schrie nach Kaffee. Dachte ich. Als sie in die Kissen murmelte, ich solle sie in Ruhe lassen, bröckelte meine Heißgetränketheorie.
„Na, wie wär‘s mit frischen Brötchen? Ich geh sogar raus ins Sauwetter und schwimme zum Bäcker.“
„Geh und komm spät wieder“, klang es gedämpft zurück. Während ich aus dem Fenster sah, hatte sich ihr Kopfkissen von einer Unterlage zur Abdeckung gewandelt.
„Ich liebe dich auch, mein Engel. Kann es sein, dass wir heute einen besonders schweren Tag haben?“
Worte werden eh überschätzt, dachte Sandra wohl, und hieb einen Seufzer ins Kissen, der entweder einen Brandfleck hinterlassen haben musste oder einen tiefen Schlitz, aus dem die Federn quollen.
„War es der Sekt von gestern Abend?“, fragte ich.
„Nnnnjjjein“, presste sie hervor und blinzelte mit einem Auge in meine Richtung.
„Hast du dich über irgendwas geärgert? War ich unartig?“
„Schon möglich.“
Dieses Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem ich ihr die Worte wie ein nicht enden wollendes Zaubertuch des Magiers aus der Nase ziehen musste, war zum Davonrennen. Aber es reichte aus, wenn heute Morgen einer von uns eine Flunsch-Attacke hatte.
„In Ordnung, über Unartigkeiten können wir ja später reden. Hat deine, sagen wir mal, Unpässlichkeit einen erotischen Hintergrund?“
„Wie kannst du nur denken, dass ich jetzt Sex brauche?“ Sandra war hochgeschossen und saß kerzengerade im Bett. Ich fühlte die heiße Luft ihrer Empörung auf meinen Wangen landen.
„Du befindest dich offenbar in diesen Minuten in einer sehr irrationalen Phase deines Lebens, da scheint mir alles möglich. Ich verfahre nach dem Prinzip der Ausschlussdiagnostik.“
„Irrational? Hier hast du irrational!“, rief sie und warf mit meinem Kissen nach mir. „Mit deiner komischen Ausschlussmethode kannst du an anderen herumdoktern!“
„Nach Lage der Dinge bleiben jetzt noch zwei Alternativen. Entweder hat der Mond dich fest im Griff, oder deine Nörgelei ist hormonbedingt.“
Sie ließ sich nach hinten fallen, zog die Decke so über den Kopf, dass unten die Füße zum Vorschein kamen.
„Das sieht mir ganz nach These zwei aus.“
„Fau ma rauf“, nuschelte es aus den Tiefen des Bettes.
„Bitte?“
„Du stehst doch schon am Fenster. Was siehst du?“, klang es klarer aus einem Spalt unter der Decke.
„Ich sehe den fetten Schumann, wie er seiner fetten Schnecke wieder eine große Tüte Croissants gekauft hat, so dass sie heute wohl noch fetter werden wird. Dann ist da die Frings mit Pudel Isidor, der vermutlich in Kürze einen seiner legendären Haufen in die Mitte des Gehweges platziert, in dem sich reichlich unverdaute Pralinen befinden dürften. Und da kommt ...“
„Hör mir doch mit den Nachbarn auf, die sind mir so was von wurscht. Guck weiter oben.“
„Weiter oben? Ähm ... also, in der Kastanie vor dem Haus sitzt gerade kein Vogel, es hängen ... Moment, ich zähl sie rasch durch ... vierundvierzig Restblätter drin. Und außerdem regnet es, als müsste in Kürze die Arche zwo um die Ecke biegen.“
„Und ich dachte, es fällt dir gar nicht mehr auf.“
„Dass es gießt? Wie könnte man das übersehen?“
„Eben“, sprach sie und drehte mir den Rücken zu.
„Ach so, wir haben eine Novemberdepression. Jetzt versteh ich. Prämenstruelle Hormondurchflutung in Tateinheit mit exzessiver Erdbewässerung. Im eheweiblichen Gemüt hängen die Wolken so tief wie draußen und die düsteren Zeiten des Winters halten Einzug. Volkstrauertag und Totensonntag auf einen Schlag.“
„Lass mich in Ruhe“, flüsterte sie in beleidigtem Ton.

Ich verließ das Zimmer. Alleine war diese Sache hier nicht zu stemmen, Unterstützung dringend erforderlich. Vorbei an Isidors Hinterlassenschaften steuerte ich den Bäcker an und fahndete nach dem letzten Hörnchen, das in dieser Siedlung außerhalb des Schumann-Frühstückstisches zu kriegen war. Ein Glück, es gab noch welche. Zurück in der heimischen Küche garnierte ich ein Tablett mit der größtmöglichen männlichen Kreativität und butterte schon mal ein Brötchen vor. Kaffee, O-Saft ... die Klassiker halt. Für Stufe zwei des Heilungsplanes öffnete ich leise die Tür zur zweiten Frau in diesem Haus.
„Frau Doktor Jenny?“, flüsterte ich. Unsere Jüngste drehte sich im Bett und lugte hinter ihrer blonden Mähne hervor.
„Papa?“
„Frau Doktor Jenny, ein kritischer Fall. Nachdem Sie gestern die Vroni so hervorragend geheilt haben, wusste ich mir keinen anderen Rat, als Sie um Hilfe zu bitten.“ Das Pflaster quer über den Augen der Puppe neben dem Bett sah wie eine vielversprechende Lösung aus.
„Was ist denn los, Papa?“
„Deine Mutter hat heute einen weniger guten Tag. Wir müssen dringend was dagegen tun.“
Jenny griff den kleinen Arztkoffer, streifte ohne Zögern den Kittel über und hängte sich das Stethoskop um. Zügigen Schrittes erreichten wir das Schlafzimmer.
„Guten Morgen, Frau Mama. Dieser Herr hat mir gesagt, dass es Ihnen heute scheußlich geht. Ich werde Sie jetzt untersuchen.“
Akribisch hörte sie sich die Herztöne ihrer Mutter an, leuchtete in die Ohren, betrachtete die Zunge und fühlte den Puls.
„Vielleicht, Frau Doktor Jenny, sollte ich Ihnen außerdem sagen, dass unsere Patientin vorhin über das Wetter geklagt hat. Ich glaube, sie leidet unter dem Regen und außerdem ist ihre Laune sehr dunkel.“
„Danke, Herr Papa. Dann werde ich ein Rezept schreiben. Bitte warten Sie, ich geh rüber und hole was.“
Während unsere Tochter in ihre Praxis stürmte, brachte ich aus der Küche das Tablett mit einem dampfenden Kaffee darauf.
„Damit kannst du gleich die Pillen wegspülen.“
Sandra lächelte gequält.
Im Flur nahten Schritte, Doktor Jenny betrat das Patientenzimmer.
„So, Frau Mama, hier ist Ihr Rezept.“
Sie überreichte meiner geplagten Gattin ein Blatt Papier mit einer schmunzelnden Sonne. Das steckte offenbar an.
„Oh, sehen Sie nur, Frau Doktor, die Patientin lächelt. Erste Anzeichen einer Besserung.“
Sandra trank den Kaffee aus.
„Ich geh jetzt ins Bad. Vielleicht gibt es da ein paar mehr Sonnenstrahlen für meine Laune.“
„Super Idee. Und wenn du angezogen bist, gehen wir raus“, sagte ich unternehmungslustig.
„Waaaaaas?“, schrie meine Teilzeit-Depressive auf.
„Klar, vor die Tür. Sauerstoff-Therapie mit Forschungsauftrag.“
„Was forschen wir denn?“, fragte Jenny.
„Wir suchen die Sonne. Die muss sich irgendwo versteckt haben, aber wir werden sie schon aufspüren.“

Es kostete einige Mühe, die unlustige Gattin ins Freie zu lotsen. Ich leistete Hilfestellung beim Anziehen, indem ich die Gummistiefel aus dem Keller holte und sie über ihre Füße streifte. Zur Haustüre lockte ich sie mit dem beständig gewedelten Sonnenrezept durch den Flur. Wir gingen ohne Schirme, nur in Regenzeug und Stiefeln. Jenny liebte diese Regenspaziergänge. Am Törchen zur Straße schaute sie in die Mülltonne.
„Wozu guckst du in den Abfall?“, fragte Sandra.
„Vielleicht ist ja die Sonne da drin“, gab sie zur Antwort.
„Hoffentlich nicht“, sagte ich. „Wenn die in der Tonne gelandet ist, haben wir ein echtes Problem.“
Wir gingen die Straße hinunter und bogen am Ende der Sackgasse links in den Wald. Nach ein paar hundert Metern stieß der Bach an den Weg. Es war einer der Lieblingsplätze unserer Tochter und so hielt sie auch heute dort an. Beim letzten Mal hatten wir einen kleinen Damm gebaut, ein Seitenbecken, in dem sich das Wasser staute, einmal im Kreis floss und wieder herausströmte. Jenny stocherte mit einem Zweig an der Kante des Stauwalls entlang.
„Ich glaub, ich hab die Sonne gefunden!“, rief sie zu uns herüber. „Aber ich krieg sie nicht alleine hier raus!“
Wir gingen zu ihr. Im Damm, halb unter Laub versteckt, leuchtete es gelb.
Mit zwei weiteren Stöcken und nach einigen Anläufen gelang es uns, das Etwas aus dem Wall zu lösen. Es war ein kaputter Tennisball.
Jenny nahm das Ding und stülpte es auf einen abgebrochenen Zweig.
„Hier Mama, Sonne am Stiel! Die kannst du jetzt überall mit hin nehmen.“
Das Lächeln kehrte zurück in Sandras Gesicht. Und die Sonne am Stiel steckt bis heute im Topf mit der Yucca-Palme. Falls mal wieder November ist ...

Letzte Aktualisierung: 17.11.2010 - 00.28 Uhr
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