Der Tod aus der Teekiste
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Düstere Zeiten | November 2010
Von Angesicht zu Angesicht
von Monika Reidegeld

Fünf Tage und fünf Nächte verbringe ich nun in diesem Hotelzimmer. Heute Morgen habe ich mich aus dem Haus getraut und mir eine Zeitung gekauft. Mit bangem Herzen lese ich, das Blatt, Seite für Seite. Keine Nachrichten.
Mit einem Seufzer will ich die Zeitung wieder zusammenlegen, als mich auf der letzten Seite ganz unvermutet und durchdringend der Blick eines Gorillas anstarrt. Er scheint alles zu wissen.

Ich habe Angst vor diesem Kerl, vor seinem finsteren Aussehen. Sein Körper ist über und über mit schwarzen Zotteln überwuchert und seine braunen Augen liegen in tiefen Höhlen, was ihm ein heimtückisches Aussehen verleiht. Ich mutmaße, dass er mich fassen und herumschleudern würde. Ich mutmaße, dass er stark, rücksichtslos wäre und frei von Skrupeln. Wer weiß, was hinter seiner Stirn vorgeht. Ich werde es auch nie erfahren, denn er kann nicht reden.
Ich rede auch nicht gern und die anderen werden nie erfahren, was in mir vorgeht.

Es weiß niemand, was letzten Samstag geschah. Es weiß niemand, welch rücksichtsloser Mensch aus mir geworden ist, wie skrupellos ich meine Stärke eingesetzt und ausgenutzt habe. Bis jetzt. Zumindest habe ich in den Zeitungen noch nichts gelesen. Auch die Fernsehnachrichten, die ich mit fiebriger Ungeduld und schweißnassen Händen verfolge, haben bisher nichts berichtet.

Ich liege auf dem Hotelbett, meine braunen Augen liegen tief in den Höhlen. Ich bin vom Alkohol ziemlich benommen und von Schlaflosigkeit gezeichnet.
Ich sollte den Aschenbecher leeren. Ein Teil der Asche ist schon auf dem Teppich gequollen.
Mein schwarzes Haar und mein Bart sind zottelig. Seit letztem Samstag habe ich mich nicht mehr gewaschen und nicht rasiert. Ein zufälliger Blick in den Spiegel hat mich bis ins Mark erschreckt.
Ein finsterer Mensch blickte mir entgegen.
Ich habe Angst vor diesem Kerl.

Wie hat sich doch das Blatt gewendet. Damals, als ich sie traf, sandte sie mir ein flirrendes Lächeln und öffnete einladend ihre Arme. Ihre Augen funkelten. Sodann breitete sie einen rotsamtenen Mantel vor meinen Füßen aus. Ich lief freudigen und offenen Herzens auf sie zu und umschloss sie mit flammender Inbrunst. Sie duftete betörend nach allen Wohlgerüchen dieser Welt. Mir war, als käme ich nach Hause.

Weil sie mich liebte, konnte ich mich endlich selbst lieben. Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Es begann einer Zeit voller Lebenslust. Meine Stirnfalten glätteten sich. Ich schmiegte mich an das Leben und an die Welt. Es war auch die Zeit, in der ich begann zu singen, zu tanzen und zu malen. Ich sang in den höchsten Tönen, ich tanzte voller Ausdruckskraft und ich malte in den schillerndsten Farben.
Ich malte die Liebe, ich malte die Lust, ich malte den Duft, den sie versprühte. Ich malte ein Haus im Süden, das unseres werden sollte, umgeben von einer Zukunft, die endlose Freude zu verheißen schien.

Sie sah mir zu und lächelte ihr flirrendes Lächeln.

Es fehlte nicht an hochgezogenen Augenbrauen, an skeptisch verzogenen Mündern und mahnenden Worten. Sie sagten, dass Jana ein Schmetterling sei und ihre Freiheit brauche. Sie lachten über meinen Enthusiasmus und meinten ein Schmetterling sei nicht fähig, Kompromisse zu schließen, auch nicht um der Liebe Willen. Sein Lebensziel sei es, von Blüte zu Blüte zu flattern, die Sinne für einen Augenblick in Entzücken zu versetzen und Freude zu verbreiten. Dann aber müsse er weiter ziehen. Denn das sei sein Lebensziel.

Ich glaubte Ihnen kein Wort. Was wussten sie denn von der Einzigartigkeit unserer Liebe?

Nach einiger Zeit fragte ich sie, ob sie mit mir im Duett singen wolle. Sie lächelte geistesabwesend und sagte: NEIN“.
Fortan sang ich ein bisschen leiser, um sie nicht zu stören.

Bald fragte ich sie, ob sie mit mir tanzen würde. Sie antwortete ungeduldig: „NEIN“.
Ab da tanzte ich weniger leidenschaftlich.

Als ich sie fragte, ob sie das Haus schön fände, das ich gemalt hatte, sagte sie ohne zu lächeln „NEIN!“

Mein Gesang wurde schräg, meine Bilder wurden grau und unmerklich aber unaufhaltsam versteifte sich mein Körper.

Wenn sie mich brauchte, sagte sie kühl: „Ich liebe dich“. Doch ohne Zögern zog sie mir nach dem Verlöschen der Glut, wenn der Atem sich beruhigt hatte, eilig den rotsamtenen Mantel unter den Füßen weg. Ihr Lächeln war aufgesetzt. Sie roch jetzt nach Schnee.

Letzten Samstag, war der Tag an dem ich mit all meiner Kraft dieses flirrendes Lächelns und des wohlriechenden Dufts bedurfte.
An diesem Samstag hatte sie mir dann wohl zum hundertsten Mal den Mantel unter den Füßen weggezogen. Ich schlug erneut hart auf. Wie benommen stand ich auf. Doch dann ergriff ich sie und schleuderte sie wild herum.

Ich legte meine die Hände um ihren Hals, um den Duft und das Lächeln aus ihr herauszupressen. Diese beiden Schätze, die sich in ihren Körper verflüchtigt hatten und die einst mir gehörten.

Doch statt des Lächelns erschien eine tödliche Bleiche auf ihrem Gesicht.
Sie glitt mir aus den Händen auf den Boden. Ihre blonden Haare breiteten sich um ihren Kopf wie ein wunderschöner Fächer.

Unter Tränen küsste ich sie, streichelte zum letzten Mal ihr Gesicht und verließ ihre kleine Wohnung in diesem großen Wohnblock. Mitten in dieser riesigen Stadt.
Ich habe sie getötet.
Das ist die Wahrheit.

Und dennoch: Ich kann sie gar nicht getötet haben. Denn ich bin seit langem ausgelöscht.

Letzte Aktualisierung: 20.11.2010 - 12.48 Uhr
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