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Düstere Zeiten | November 2010
Zorrkotts Suche nach dem Haus des Mondes
von Gerhard Fritsch

Ein schreckenerregendes, grimmiges Brüllen, dem ein nicht weniger grauenhaftes Kreischen folgte, durchbrach die Stille der Nacht. Zorrkott sah die Umrisse zweier wutschnaubender Giganten, die mit riesigen Klauen aufeinander einzuschlagen schienen. Zwischen den beiden loderte eine Feuerzunge, die in gelbem Rauch erstickte und sogleich erneut daraus hervorbrach. Ein Wirrwarr der schauerlichsten Schreie und unheimlichsten Geräusche erhob sich, zwischen Zorrkotts Beinen hindurch hastete ein Heer ärgerlich quietschender Ratten, und von hinten heran sprangen seltsame Zwitterwesen an ihm vorbei, die aussahen wie aufrecht humpelnde Wölfe mit muskelbepackten Oberarmen. Lautlos dahinschwebende Nachtmahre, fiepende Wurzelknechte, ziepende Hautflügler und eine ganze Reihe weiterer unheimlicher Geschöpfe strebte einem Portal zu, das sich dunkel gegen die Felswand vor ihnen abzeichnete.
Als Zorrkott plötzlich ein leises, noch zögerliches Vogelzwitschern hörte, wusste auch er, dass höchste Zeit war, sich ein Plätzchen für den Tag zu suchen. Er überlegte nicht lange, sondern reihte sich in den Zug der Fliehenden ein. Selbst die kämpfenden Ungeheuer und der feuerspeiende Schwarzdrache hatten sich bereits in Bewegung gesetzt.

Am Eingang der Höhle herrschte ein arges Gedränge und Geknuffe, aber gleich dahinter teilten sich die Scharen wieder und eilten über eine große Halle hinweg verschiedenen Öffnungen zu. Nach und nach verschwanden alle, die vor dem Tag flohen, und der geifernde, aus den Nüstern qualmende Drache besetzte die Höhle. Zorrkott hatte das Gefühl, dass dieses Ungetüm nicht der rechte Gesprächspartner für ihn sei und wählte einen Gang, der in die Tiefe führte.

Schon bald aber war ihm der Weg versperrt: ein feucht glänzender, gewaltiger Schlangenleib, fast so dick wie er hoch, schob sich nur einen Schritt vor ihm langsam und vollkommen lautlos von einer Seite zur anderen. Obwohl Trolle wie er normalerweise keinen Streit mit Ungetümen wie diesem suchten, stieß er schließlich, weil kein Ende des Vorbeizugs abzusehen war, mit seiner Keule dagegen. Ein Zucken und Rucken durchfuhr daraufhin den Körper des unbekannten Wesens, und wie kräftig daran gezogen, schoss er ein gutes Stück nach vorne. Zufrieden schmatzend wollte Zorrkott schon weitergehen, als er plötzlich ein giftiges Zischen hinter sich vernahm. Er drehte sich um und blickte in ein gallegelbes Augenpaar mit schwarzen Pupillenschlitzen, die eine erbarmungslose Kälte ausstrahlten. Die Schlange musste wohl durch Abzweigungen und Seitengänge wieder zurückgekommen sein, zumindest mit dem Ende, an dem sich ihr Kopf befand. Den Schwanz überspringend, der noch vor ihm lag, ergriff Zorrkott schleunigst die Flucht. Wahllos lief er bald in Stollen links und rechts seines Weges, hastete bergauf und stolperte bergab. Das unterirdische Labyrinth schien kein Ende zu nehmen. Es handelte sich auch nicht um eine Höhle, wie er sie bisher zu sehen bekommen hatte, sondern vielmehr um ein Gewirr von Kammern und Gängen im Erdreich, das durch ein mächtiges Wurzelwerk zusammengehalten wurde.

Als er glaubte, seinen Verfolger endlich abgeschüttelt zu haben, gönnte er sich eine Verschnaufpause und setzte sich auf einen Stein. Doch da kamen plötzlich wie schlafwandelnd von allen Seiten Menschen auf ihn zu, alle blass, weißhaarig und in graue, mit klebrigen Spinnfäden umwobene Kutten gekleidet. Mit ausgestreckten Armen umringten sie ihn und betasteten seine Arme, seinen Kopf, und alles, was sie sonst noch von ihm berühren konnten. Das wurde Zorrkott zu toll. Er sprang auf und schlug seine Keule mit großer Wucht in die Traube der Aufdringlichen. Doch was da? Die Keule fuhr durch die Gestalten hindurch, als wären sie aus Luft, und prallte ungebremst auf dem Boden auf. Steine wurden hochgeschleudert und Flüssigkeit spritzte aus dem verletzten Wurzelgeflecht.
Das hämische Gelächter der Untoten erstickte in einem zischenden, orange aufleuchtenden Dampf. Im nächsten Moment waren die schauderhaften Gesellen allesamt verschwunden. Doch nun begannen die Wurzelstränge im Raume frei herumzuschwingen und Zorrkott mit ihren Enden zu geißeln. Er lief hierhin und dahin, fand aber nirgends Schutz. Da wurde er plötzlich von hinten an seinem Brustgürtel gepackt und mit einem gewaltsamen Ruck in einen Stollen hineingezerrt. Mit ausgestreckten Beinen wurde er über den holprigen Boden des engen Höhlenganges geschleift und erst in einer größeren Grotte wieder losgelassen, so dass er unsacht auf der Erde aufschlug. Zorrkott raffte sich auf, betastete seinen wunden Schädel und schwang, noch ehe er ihn richtig zu Gesicht bekam, seinem Gegenüber die Keule ins Gesicht. Sofort aber verspürte er Schmerz im Oberarm. Voller Schreck stellte er fest, dass er von einem riesenhaften Wolf mit drei wutschäumenden Köpfen gebissen worden war. Zorrkott wollte fliehen, doch eine hochgewachsene Frau mit glühenden Augen in scheußlich anzusehender Echsenhaut versperrte ihm den Weg.
Ansonsten immer unerschrocken und kaum einer Auseinandersetzung aus dem Wege gehend, stellte er sich mit dem Rücken zur Wand und hoffte nur noch auf ein schnelles Ende. Doch der dreiköpfige Wolf gebot Einhalt.
„Lass ihn gehen, Echidna“, fauchte er. „Er gehört noch nicht hierher. Das Licht von Blut und Fleisch brennt noch unter seiner Haut.“
„Sprichst du so mit deiner Mutter?“, empörte die sich und schnellte nach vorne, als wollte sie ihm Gift in die Augen sprühen. Der Dreiköpfige aber antwortete gelassen: „Ich bin Garm, der Pförtner, und ich will meinem Auftrag gerecht werden. Der hier kam nicht von sich aus oder weil er geschickt wurde, sondern weil er in seiner Dummheit hier hereingetölpelt ist.“

„Heißt es nicht, dass keiner zurückkehren darf, der hierher gefunden hat?“, zischte Echidna. „Und hast du schon vergessen, wie gut frisches Fleisch schmeckt?“
Doch Garm ließ sich nicht beirren und wies Zorrkott den Weg in einen Höhlengang hinter sich. Echidna schleuderte ihm einen Klumpen bitteren Speichels hinterher, der höllisch brennend in seine Wunde sickerte. Vor Schmerz brüllend hastete Zorrkott in einen Arkadengang, von dem aus er in eine unermesslich große Halle hinabblicken konnte. Feuer loderten dort bis weit in die Ferne, und Glutherde quollen aus dem Boden und gebaren Dämonen, die mit leuchtenden Geißeln um sich schlugen. Die abscheulichsten Kreaturen, die Zorrkott je zu Gesicht bekommen hatte, übten sich in grausamem Handwerk an Folterbänken, auf denen verzweifelt flehende Geschöpfe festgebunden waren. Fliegende Teufel kreisten über der Weite und schienen über das Tun der Henkersknechte zu wachen. Die eigentlichen Herrscher dieser Welt aber waren Wesen, größer und unheimlicher als alle anderen, die nur noch aus Schatten bestanden – Schatten, aus denen kalte, alles Leben verachtende Augen starrten.
Zorrkott lief ein frostiger Schauer über den Rücken, und das erste Mal in seinem Leben empfand er richtige Angst. Er rannte keuchend bergan, bis er erschöpft und kraftlos zu Boden sank. Kaum aber hatte er tief durchgeatmet, da schreckte er erneut zusammen, denn plötzlich hörte er ganz nah eine Stimme.
„Was ist denn mit dir geschehen?“, wollte jemand wissen. „Ein Muskelberg von Troll, der zittert wie Espenlaub, so etwas habe ich ja noch nie gesehen.“
Ein Wurzelgnom, kaum größer als eine Elle, hatte mit der Stimme eines Riesen zu ihm gesprochen.

Unter normalen Umständen hätte Zorrkott nun mit seiner Keule nach dem Frechdachs geschlagen, doch ihm steckte das Grauen noch so in den Knochen, dass er tatsächlich zitterte. Außerdem war er froh, endlich wieder ein Wesen aus der ihm bekannten Welt getroffen zu haben.
„Ich verstehe schon“, sagte der Gnom. „Du hast in den Rachen der Hel geschaut. Du kannst von Glück reden, denn selten, dass sie einen von dort wieder weggehen lassen. Was warst Du auch so neugierig!“

Zorrkott protestierte, denn er hatte nur nach dem Haus des Mondes suchen wollen. Und als er dann erzählte, wie er in dieses Labyrinth der Tiefe geraten war und den Schrecken, der umso größer wurde, je weiter er hinabgestiegen war, in seinen Gedanken noch einmal erlebte, da wurde er sehr traurig. Bis dahin war das einzige, das er fürchtete, das Licht des Tages, jetzt aber hatte er das Gefühl, ständig in Angst leben zu müssen, wenn schon das Haus des Mondes von solch grauenhaften Geschöpfen bewohnt wird.
Da versuchte der Gnom ihn zu beruhigen: „Der Mond hat kein Haus. Du bist im Unterstock Yggdrasils. Der ist für alle da, er reicht vom untersten Dunkel bis zum obersten Licht. Selbst der Mond würde herabstürzen, wenn er das Himmelszelt nicht stützen würde.“
Und da der Gnom trotz seiner schelmischen Natur ein wenig Mitleid mit dem Troll empfand, führte er ihn über viele Treppen hinauf in einen Saal, vom dem aus man bis in die Baumkrone blicken konnte.
Da glaubte Zorrkott in den obersten Wipfeln des Baumes ganz deutlich sehen zu können, dass sich vor dem Hintergrund des hoch stehenden Mondes die Silhouetten elfischer Gestalten abzeichneten.
Es schien ihm, als feierten sie ein Fest. Männer, schlank gewachsen, mit langen hellen Haaren, und Feen in halb durchsichtigen Gewändern tanzten, scherzten und tranken aus silbernen Kelchen.
Obwohl Trolle nicht gerade Freunde der Elfen sind, empfand Zorrkott in diesem Moment Sympathie für das Elbenvolk, weil es sich des Anblicks des vollen Mondes und des glitzernden Sternenhimmels ebenso erfreute wie er selbst. Gerne wäre er jetzt bei ihnen gewesen, aber der Gnom, der seine Gedanken erahnte, rüttelte ihn aus seinem Traum und flüsterte ihm zu, dass Trolle zu der Art von Wesen gehörten, die Yggdrasil für die Arbeit an seinen Wurzeln bestimmt hatte.

So geschah es, dass Zorrkott bis an sein Lebensende dem Unterhaus Yggdrasils treu blieb und dort noch viele Freundschaften schloss.
Die wenigen Ausflüge aber, die ihn von da an in klaren Nächten noch an die Oberfläche führten, nutzte er dazu, bis zum Morgengrauen auf einem Stein sitzend die unergründlichen Wunder des nächtlichen Himmels zu bestaunen.

Letzte Aktualisierung: 12.11.2010 - 09.08 Uhr
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