Lefuet trat vor die Tür des Bauernhauses und zog seine Kutte zurecht.
Der Mönch fühlte sich ausgeruht und streckte sich in der kühlen Morgenluft. Für ihn war es ein herrlicher Tag, obwohl Nebelschwaden sich auf dem ganzen Land ausbreiteten und die Sonne daran hinderte, das fahle Grau zu durchdringen.
In der Ferne sah er die Dächer von Paris aus der wabernden Masse herausragen.
In seiner derzeitigen Gestalt fiel es ihm leicht, sich in die Häuser und damit die Gastfreundschaft des einfachen Volkes zu erschleichen.
Lefuet war ein Gefallener. Einer von vielen, die sich gegen den ewigen Plan Gottes gestellt hatten und so viele Seelen wie möglich auf ihre Seite zu ziehen, um damit eine Armee zum endgültigen Kampf aufzustellen.
Er sah noch einmal zum Haus zurück und leckte sich die Lippen, schmeckte das Blut, sah vor seinem inneren Auge wieder die zerfetzten Leichen, die er zurückließ.
Er liebte es, glaubenstreue Menschen zu verwirren, eine echte Herausforderung. In ihnen Hass, Ungeduld, Eifersucht zu schüren, an denen er sich laben konnte.
In den vielen Jahren seiner Wanderschaft hatte Lefuet unzählige solcher Gehöfte hinter sich gelassen.
Pfeifend machte er sich auf den Weg in die große Stadt.
Paris war ein Moloch. Die ungepflasterten Außenbezirke der ärmlicheren Unterkünfte stanken erbärmlich. Menschen warfen den Unrat aus den Fenstern, schöpften das Wasser aus Brunnen, die direkt neben Latrinen lagen. In dem dreckigen Gemisch aus Müll, Exkrementen und Schlamm suhlten sich Schweine, Hunde, spielten Kinder
und tummelten sich die allgegenwärtigen Ratten.
Lefeut begnügte sich nicht einfach damit, Individuen auf die dunkle Seite zu ziehen, um sie für ihn untertan zu machen. Der Mönch verstand sich auf die qualvolle Tötung großer Menschenmengen.
Er hatte Kriege angezettelt, Feldherren und deren Soldaten in die Irre geführt, Städte in Brand stecken lassen und verbreitete Krankheiten, für die es kein Heilmittel gab.
Lefuet amüsierte sich über diese Sterblichen, die nicht die geringste Ahnung hatten, was ihnen bevorstand.
Den meisten war ein Gott unbekannt oder gleichgültig und wenn er mit ihnen fertig war, würde auch der Rest ein übergeordnetes Wesen verleugnen.
Wie leicht waren diese Menschen doch zu beeinflussen. Schon eine silberne Münze könnte ein ganzes Stadtviertel ins Verderben treiben. Lefuet lächelte. Er bückte sich und griff nach einem dieser vierbeinigen Nager. Selbst er, der Mönch verabscheute Ratten. Mit beiden Händen umklammerte er sie und gab ihr den Atem des Todes. Dann ließ er sie fallen.
Quiekend rannte sie zu ihresgleichen und verbreitete damit eine Seuche unermesslichen Grauens. Er sah es vor sich:
Ihr Biss war jetzt tödlich. Die Krankheit würde sich rasch in den Elendsvierteln ausbreiten. Ärzte steckten sich bei Untersuchungen an und den schleppten den Krankheitserreger in die Stadtteile der höheren Kreise. Adlige infizierten sich, blaue Blutlinien erloschen wie Kerzen im Sturm.
Im Augenblick des Todes würde Lefuet dann an ihre Sterbebetten treten, um ihnen die Seele abzukaufen und sie leben zu lassen, natürlich für immer entstellt. Oder sie waren tatsächlich gläubig und gingen auf die andere Seite.
Hatte er ihre Seele, ließ er dennoch die meisten von ihnen sterben.
Der Mönch hörte eine Frau „du widerliches Mistding“ schreien und wusste, dass die Stadt dem Untergang geweiht war.
Nach ein paar Stunden würde die Frau Kopf- und Gliederschmerzen bekommen. Einen Tag später folgten Fieber und juckende eitrige Geschwülste, die sich am ganzen Körper bildeten. Am zweiten Tag schwollen die Geschwülste an und zerplatzten nach innen, was zu einer Blutvergiftung führte. Der dritte Tag war für die Menschen, die bei vollem Bewusstsein waren, tödlich.
Der Mönch zog sich wieder aufs Land zurück und wartete.
Im Angesicht des Todes war er bei jedem Sterbenden. Wenn seine Aufgabe hier erledigt war, würde er weiter in Richtung Norden gehen und sein Werk fortführen.
Bei Anbruch der Dunkelheit näherte sich eine lange Schlange brennender Fackeln.
Es war zu spät, um zu flüchten. Lefuet hätte sich in einen Vogel verwandeln können, um dann fliegend zu entkommen, aber er hatte noch nicht genügend Seelen gefangen.
Angst verspürte er nicht. Er hätte sein Aussehen früher ändern sollen. Sicherlich hatten sich Überlebende an ihn erinnert und dies weitergegeben.
Es würde nicht mehr lange dauern und eine Menge aus wütenden Menschen hätte ihn erreicht. Der Mob war mit Dreschflegeln, Heugabeln und allerart bäuerlichen Werkzeugen bewaffnet.
Lefuet hätte immer noch wegrennen können, aber da er unsterblich war, ließ er ihrem Hass freien Lauf und erfreute sich daran.
Sie hielten ihn fest und rissen ihm die Kleider vom Leib. An einem Pferd, den der Pöbel mit sich führte, befanden sich dampfende Töpfe mit kochendem Teer.
Lefuet grinste die Menschen an, während sie sich ihrer Wut entledigten. Das stärkte ihn immer mehr.
Da der Teer nicht die gewünschte Genugtuung brachte, stießen die Angreifer ihre Waffen in den Körper des Mönches.
Lefuet wurde des Kampfes überdrüssig. Er streckte seine Hände zum Himmel und zog einen Blitz hinab. Er hatte die ganze negative Energie, die ihm entgegengebracht wurde, gebündelt.
Die Entladung war so gewaltig, dass die Erde bebte. Im Umkreis von hundert Metern wurde jegliches Leben ausgelöscht. Der Blitz hinterließ einen Krater, in dem brennende Büsche und Bäume standen. Es stank nach verbranntem Fleisch.
Lefuet lag am Boden und rührte sich nicht mehr. Von ihm war nur ein rauchendes Skelett übrig geblieben.
Langsam erhoben sich seine menschlichen Ãœberreste, auf wundersame Weise zusammengehalten.
Die Gebeine sahen sich um: Das Pferd war beiseite geschleudert worden. Er entriss dem Kadaver die schwarze Decke und legte sie um seinen eigenen Körper. Dann schnürte er sie an seinem Hals zusammen, damit sie auch seinen Kopf verhüllte. Lefuet suchte sich unter den Gerätschaften eine Sense. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich wieder verwandeln konnte. Aber er war jetzt wenigstens bewaffnet.
Und bald würde das große Sterben beginnen.
Letzte Aktualisierung: 22.11.2010 - 23.08 Uhr Dieser Text enthält 6162 Zeichen.