'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Düstere Zeiten | November 2010
APOKALYPSE von/für David
von Irmgard Anderfuhr

David begann zu erzählen ...

Wie hatte sich die Welt geändert. Stürmisch war es, nass und kalt. David hatte sich in seine Jacke verkrochen und den dicken Fellkragen hochgeschlagen. Es war spät am Abend. Das glimmende Licht der Straßenlaternen spiegelte sich matt in den vereisten Pfützen, die seinen Weg säumten. Nur schwach fielen einige Lichtstrahlen durch die Fensterläden, die zeigten, dass sich die Menschen in ihre Stuben zurückgezogen hatten. Die verrammelten Gebäude stellten Bollwerke dar – gegen Kälte, Nässe, Wind und Unbehagen. Er schien allein unterwegs und beeilte sich, auch nach Hause zu kommen. Nach Hause, in seine Räume, wo ihn wohlige Wärme erwartete. Jetzt zog er seine Mütze tiefer ins Gesicht, noch kam der Wind von der Seite, doch gleich musste er abbiegen, dann würde die geballte Kraft der ungezähmten Sommernacht von vorn auf ihn eintrommeln. Jedoch waren es dann nur noch wenige Meter. Er blinzelte voraus. In der Dunkelheit konnte er einen Lichtschein auf den Gehweg erkennen. David beschleunigte seine Schritte und erstarrte vor seinem Eingang. Er richtete sich auf, hob seine Arme, schob die Mütze in den Nacken und hielt sich den Kopf. Konnte er glauben, was er sah?
Am seinem Haus war die Tür gewaltsam aus den Angeln gehoben. Es klaffte ein Loch in der Fassade, aus dem flackerndes Licht und laute Stimmen herausdrangen. Was geschah hier? Er ging hinein. Grobe Fußspuren auf den gehobelten Dielen zeigten, dass hier jemand rücksichtslos vorgegangen war. Glasscherben der Lampen knirschten unter seinen Schritten. Bilder waren von den Wänden gerissen, Wände mit Grafitti besprüht, Schränke geöffnet, Schubladen aufgerissen. Die so sorgsam geordneten Dinge lagen überall verstreut. Federn seiner indianischen Maske kräuselten umher. Er fing eine von ihnen ein und drückte sie an sein Herz. Hemmungslos hatte man die achtsam geordneten Räume in ein Chaos verwandelt. Er folgte den Spuren von der Diele die Treppe hinauf. Die Luft war von Rauch geschwängert. Es zeigte sich das gleich Bild der Verwüstung. Nichts hatte man unberührt gelassen, alles war hervorgeholt und zerstört worden. Apokalypse pur! Maßloser Zorn und Verzweiflung erfüllten ihn. Er betrat nun den Raum, in dem der Schrecken wütete. Der Lärm der Stimmen schwoll an: Gerede Gerede Gerede – ohne dass er jemand sah, ohne dass er ein Wort verstand. Er stellte sich in die Mitte des Raumes:
„WARUM?!!“
Durch seinem Schrei war der Lärm auf einen Schlag erstickt. Stille.
„Warum?“
Keine Antwort. David hockte sich auf den Boden, strich mit der Feder über die mit Brandspuren übersäten Holzdielen. Er fror mehr noch als draußen in Wind und Wetter, obwohl er noch immer seinen Mantel an hatte. Eisige Kälte erfüllte ihn. Er schloss seine Augen und begann zu singen – ein klagender Gesang, in der Sprache der Dakota Indianer. Und mit noch geschlossenen Augen stand er auf und begann im Takt der Melodie mit den Füßen aufzustampfen. Er erkannte, dass das Bild der Zerstörung hier in seiner Wohnung ein Abbild dessen war, wie wir Menschen mit Mutter Erde umgehen.
Haben wir nicht irgendwann in der Entwicklung die Tür eingetreten – ohne Rücksicht den Boden ausgebeutet, Schätze der Erde entrissen, nur um unseren Vorteil zu wahren? Wurde nicht viel zu viel geschwafelt und die Ordnung des Lebens zerstört? Wie viele Kulturen, wie viele Kreaturen hat man versklavt, vernichtet ...?
Er öffnete seine Augen und drehte sich noch einmal langsam um sich selbst. Ja, er stand in seinen Räumen. Nein, sie waren nicht zerstört - Das Bild seiner verwüsteten Wohnung in der Vision - war ein Spiegelbild der Welt gewesen, die rücksichtslos durch die Menschen zerstört wurde. Wo ist der Respekt geblieben, wo der Schutz der Natur ...?

Es war ein kühler, trister Februartag. Die Sonne war ohne Kraft und zeigte sich nur als matte Scheibe durch die graue Wolkenwand. Feucht war die Luft. Mit der blauen Stunde nahm die Kälte zu. Einige Menschen waren dem Ruf gefolgt und saßen hier im Kreis. Sie rückten die Steine, auf denen sie hockten, näher an das Lagerfeuer heran und krochen tiefer in ihre Decken. Die züngelnden Flammen taten ihre wärmende Wirkung. In den Gesichtern spiegelte sich der Feuerschein wider, und man konnte spüren, dass sie mit niemandem hätten tauschen mögen. Gerade diese nicht alltägliche Atmosphäre mit ihren ursprünglichen Reizen ließ sie ausharren. Ein Holzscheit brach knackend ein, rutschte in die Glut.
David rieselte etwas Tabak ins Feuer und nahm seine Trommel. Kräftig schlug er auf die gespannte Tierhaut und entlockte dem Instrument hypnotisierende, satte Töne. Der Rhythmus war einfach und klar. Selbstvergessen folgte die Gruppe Davids Klang. Der Takt wurde schneller, und David stieß klagende Laute aus. Er sang im Dialekt der Dakota-Indianer. Sie verstanden kein Wort, allein die Schwingungen der Melodie, das Feuer und die raue Stimme waren Information. Das Lied ging zu Ende, es tönte nur noch die Trommel, der Takt wurde wieder ruhig und als die Musik verklungen war, konnte man körperlich die Stille spüren. Eine Feder fiel lautlos vom Himmel herab.

David begann zu erzählen ...

Letzte Aktualisierung: 19.11.2010 - 10.39 Uhr
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