Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Düstere Zeiten | November 2010
Honiggrütze
von Martina Bracke

Die Whiskyflasche neben mir schreckt auf, tanzt bedrohlich auf dem Nachttisch, als ich halbschlafend mit den Armen wedele. Sie fängt sich, so betrunken ist sie nicht, nur ihr Inhalt schwappt weiter, wiegt sich verführerisch hin und her. Meine Augen klären sich und nehmen das braune Meer in sich auf, meine Lippen verzehren sich nach dem scharfen Geschmack des Alkohols, während meine Zunge an den schalen Wänden des nachtmüden Mundes leckt. Jetzt ein Schluck. Alles würde er wegspülen – das stumpfe Gefühl der weichwandigen Mundhöhle und den Nachklang des letzten Gelages in meinen wurmstichigen Gehirnwindungen. Könnte ein Schluck das Trümmerfeld meiner Wohnung entkernen, fortwirbeln in die Tiefen eines Ozeans, ins Dunkel eines vergessenen Grundes. Tief. Ja. Einen Grund musste es gegeben haben. Oder wollte ich mir das nur einreden? Was war gestern wieder los? Brauchte es noch einen Grund? Meine Erinnerung ist flüchtig, getrieben wie Sand am Meeressaum, hin- und hergeworfen, abgeschliffen bis kein Korn mehr übrig ist.
Endlich beruhigen sich die in die Flasche eingezwängten Wogen, still lächelt mich die bernsteinfarbene Flüssigkeit an. In ihr meine ich den Schimmer eines melancholischen Augenpaares zu sehen.
Vehement zerstöre ich das Trugbild eines angesäuselten Morgens, die Flasche zerschellt auf den Klippen meiner aufgetürmten Unordnung, in Wahrheit ganz leise und heil ergießt sie dennoch ihren Inhalt in meine Schuhe.
Mit einem Bedauern und Stichen im Kopf schäle ich mich aus dem Bett, um am Fenster meinen Zustand weiter zu verschlimmern. Die Sonne scheint, bohrt sich in mich hinein, will sich festsetzen, brennt auf meinem Pelz, ich kann den Vorhang wieder zurückreißen, wohlige Dunkelheit empfangend. Ein Seufzer lässt mich aufhorchen, ermutigt mich, meine Stimme zu testen. „Scheiße“, ist das einzige Wort, das sich fremd den Pfad durch meine Lippen presst. Tapsend und tastend suche ich meinen Weg ins Bad, vielleicht hilft ein Pillencocktail, wenn schon der Alkohol das Meer wahr werden lässt, mitten in meinem Schlafzimmer. Mit dem absoluten Ekel eines Zwittermorgens zwischen den Zuckungen einer durchzechten Nacht und den Wehen eines quälenden Katertages schütte ich eine Portion Tabletten mit Wasser herunter.
Meine Kehle brennt, ich schleppe mich in die Küche, getragen von dem heroischen Gedanken an eine Tasse Tee. Die Packung aber ist leer, nicht entsorgt, ich zerquetsche sie mit einer kräftigen Handzuckung und lasse sie fallen. Ist jetzt schon egal.
Bevor ich mich auf einem Küchenstuhl von den Strapazen erhole, drängt sich die honigbraune, süß schimmernde Flüssigkeit wieder in mein Gedächtnis. Doch. Es gibt noch eine Flasche, angebrochen, aber nicht alt. Wie auch. Unter der Spüle, hinter dem Vorhang, den ich jetzt gern aufreiße, strahlt mir meine Wonne entgegen. Da steht sie, ruhig und gelassen, halb voll, halb leer, unschuldig. Ein letztes Zaudern, bevor ich sie an mich reiße, ihr den Garaus mache, mit gierigen Lippen ihren vollen Hals umschließe, sauge, schütte, mich fülle.
Gleich einem Vulkan spucke ich das trübe Gesöff wieder aus, eruptiv versprühen die Tropfen im Raum, ein Würgereiz, ein ächzender Husten.
Verdammt, Marie. Wann warst du hier? Wann hast du den Whisky gegen Pfefferminztee getauscht?

© mb2010

Letzte Aktualisierung: 20.11.2010 - 12.44 Uhr
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