Der himmelblaue Schmengeling
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Düstere Zeiten | November 2010
Frohsinn
von Jens Ritter

Es war einer dieser offenen Sonntage, an denen alle das taten, was sie sowieso schon von Montag bis Samstag taten. Geld ausgeben. Geld, das ihre Arbeit einbrachte, die sie oft nicht mochten, aber beim Einkauf darüber hinwegtröstete.
Und ich mit Ella mittendrin. Ella war meine große Schwester, doch es war nicht sie, die auf mich aufpasste. Bei uns war es etwas anders. Ella war anders und manchmal hatte ich das Gefühl, dass auch ich nicht weit davon entfernt war. Auch Mutter tat zu Hause wieder das, was sie immer tat, auch als sie mit Ella schwanger war. Sie trank. Warum sie es kurzzeitig aufgegeben hatte, als sie es mit mir war, wusste ich nicht. Es war wohl nur das Ergebnis eines glücklichen Zufalls. Ella machten die vielen Menschen, die im Einkaufszentrum um uns herumliefen, Angst. Sie hielt sich krampfhaft an meinem Arm fest, hätte sich am liebsten unter meiner Jacke versteckt. Zur Beruhigung hatte ich ihr zusätzlich eine ihrer Tabletten gegeben, die sie regelmäßig nahm. In letzter Zeit hatte ich diese Regelmäßigkeit ab und zu unterbrochen und mittlerweile mehrere Streifen von ihren Tabletten zur Seite gelegt. Ella drückte sich immer fester an mich heran. „Es lässt sich nicht vermeiden, sie kommen von allen Seiten“, hörte ich sie dabei immer wieder sagen. Die Blicke, die Aufmerksamkeit der Passanten waren uns gewiss.
Es war eine gute Idee und doch auch wieder keine, mit Ella im größten Weihnachtstrubel unterwegs zu sein. Ich fühlte mich mit ihr hier sicherer zwischen all den Menschen. Wir hatten kein Geld zu viel, um uns irgendetwas zu kaufen und so liefen wir ziellos im Einkaufszentrum hin und her. Unsere Mutter würde uns nicht brauchen, nur anschreien, besonders Ella. Vorsorglich hatte ich ihr zu Hause zwei weitere Bier geöffnet und neben ihr auf den Tisch gestellt. Sie stellte mich oft an, ihr das Bier aus der Küche zu holen, so war sie es gewohnt. Nur heute hielt ich mich dabei etwas länger auf. Lautsprecherboxen forderten uns auf froh und munter zu sein, doch Frohsinn wollte noch nicht aufkommen. Ella stimmte in die Melodie mit ein, behielt aber ihren Text bei. Sie schaffte es immer wieder ohne Probleme, ihre Texte in Form von Reimen, egal mit welcher Melodie zu verknüpfen. Ab und zu riskierten wir einen Blick in die Schaufenster, taten aber keinen Schritt in einen Laden hinein.
So waren wir stundenlang unterwegs, nur um nicht zu Hause zu sein, bei Mutter, die längst die beiden Bier getrunken haben musste. Wenn wir dann nach Hause gingen, würde sie in ihrem Sessel eingeschlafen sein. Oder? Ich würde nur noch die leeren Tablettenstreifen daneben legen und die Polizei rufen. Dann wäre alles geschehen und vorbei. Seit ein paar Stunden war es draußen dunkel und die ersten Geschäfte machten langsam zu. Nun gab es keinen Grund mehr hier unterwegs zu sein. Ellas Gesicht erhellte sich, als sie merkte, dass es wieder nach Hause ging. Auch ich wollte keine weitere Runde im Einkaufszentrum drehen.
Eine viertel Stunde später standen wir schweigend vor der Wohnungstür. Ich schaute Ella an, sie mich. Schon auf der Treppe hatte sie sich von meinem Arm gelöst und doch schien sie die Anspannung, die mich überkam, zu spüren. Mit etwas zitternden Händen steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Ein Blick zu Ella. Sie hatte ihren Blick immer noch nicht von mir abgewandt und lächelte mich jetzt an. Hatte sie verstanden, was vermutlich geschehen war? Ich lächelte zurück und öffnete die Tür.

Letzte Aktualisierung: 19.11.2010 - 08.58 Uhr
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