Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Freude | Dezember 2010
Rastplatz
von Barbara Hennermann

Der Tag hatte schlecht angefangen. Sein Verleger hatte ihm eröffnet, dass der Verlag sein neues Manuskript doch nicht verlegen würde. Die Zeiten wären hart, es gäbe keinen Markt mehr für anspruchsvolle Satire. Wenn er sich allerdings dazu durchringen könnte, etwas Seichtes, am besten leicht Schlüpfriges …? Dann sähe die Sache anders aus.
Wutentbrannt hatte er das Verlagsgebäude verlassen und war ziellos durch die geschmückte Stadt geeilt, alle anderen Termine außer Acht lassend. Das wäre ja noch schöner! Seine Seele verkaufen, um hirnlose Leser zu unterhalten? Nicht mit ihm, o nein, nicht mit ihm!
Was dachte sich dieser junge Schnösel eigentlich, der in seinem Leben noch nichts Eigenes zu Stande gebracht hatte? Da saß er breit in seinem Ledersessel, den er vom Herrn Papa geerbt hatte und wollte ihm, der seit dreißig Jahren eben diesem Verlag gute Umsätze beschert hatte, Vorschriften machen?
Hastig holte er das Handy aus der Hosentasche, suchte die bekannte Nummer – Vera musste die gebuchte Reise nach Venedig stornieren. Jetzt würden sie sich das nicht mehr leisten können. Er lauschte dem Klingeln, dann ertönte die mechanische Stimme: „Der Anschluss ist zur Zeit nicht besetzt, bitte geben Sie …“ Automatisch drückte er den Ausknopf. Wieso stellte sie nur in letzter Zeit ihr Handy immer ab?
Sein Ärger wuchs, als er durch das beginnende Schneegrieseln zu seinem Auto hastete. Natürlich. Das hätte er sich ja denken können. Hinter dem rechten Scheibenwischer klemmte ein Zettel. Parkzeit überschritten. Ging denn heute alles schief?
Burkard stieß einen ärgerlichen Laut aus, als der den Zettel hervorholte und zusammengeknüllt ins Auto warf. Der Motor heulte auf, mit quietschenden Reifen fuhr er aus der Parklücke, rammte um ein Haar einen vorbei fahrenden PKW. „Reiß dich zusammen, Junge, lass dich nicht so gehen“, ermahnte er sich selbst. Langsam legte sich seine Wut etwas und die Gedanken begannen, sich wieder in geordnetere Bahnen einzufädeln. Zweifellos würde Vera außer sich sein. Sie hatte sich auf den Venedigaufenthalt so gefreut. Alle ihre Freundinnen waren schon da gewesen. „Burkard, ich kann gar nicht mitreden! Gondelfahrten, Dogenpalast, Markusplatz … was weiß ich noch, Liebling. Komm, lass uns die Reise buchen! Es ist doch bald Weihnachten.“ Wie immer konnte er ihrem Schmeicheln nicht widerstehen. Sie war so schön, wenn sie sich freute! Wenn sie ihren jungen Körper an ihn schmiegte, er ihre zarte Haut fühlte, ihren Duft in sich einsog – sie bezauberte ihn immer wieder. Im Übrigen war er sich sicher gewesen, dass sein neues Buch ein Renner würde, warum also ihr diesen Weihnachtswunsch nicht erfüllen? Bis sie im Sommer die Reise antreten würden, sollte das Konto wieder satte Erträge aufzuweisen haben.
Erneut fühlte er eine Welle heißen Zorns in sich aufsteigen. Etwas Seichtes, leicht Schlüpfriges … Nein, bei aller Liebe, das konnte er nicht! Vera würde ihn verstehen. Sie liebte ihn ja auch, beteuerte es ihm immer wieder. Sicher würde er einen anderen Verlag finden, der sein Buch mit Freuden in das Programm aufnehmen würde.
Er hatte sich derart in seinen Gedanken verloren, dass ihm gar nicht bewusst geworden war, wie lange er schon im stärker werdenden Schneefall auf der Autobahn fuhr. Es war gefährlich, was er da trieb! „Rastplatz Lichtenau - 1 km“. Er sollte besser abfahren, sich beruhigen, vielleicht erreichte er ja jetzt auch Vera … hoppla … fast verpasst ...
Mit einem hastigen Schwenk steuerte er in die Ausfahrt. Ein großes blaues Schild. „Rastplatz bitte sauber halten“ schimmerte durch den Vorhang aus Schnee. Eine Baumgruppe dahinter. Hässliches Grasgestrüpp, das sich gern schon zur Gänze unter dem schmückenden Schnee verborgen hätte.

Er war groß und schwarz, mit weißem Brustfleck. Angebunden an dem blauen Schild. Der Schnee hatte sich über sein Fell gelegt, trügerisch, wie eine schützende Decke. Weit und breit kein anderes Fahrzeug, keine Menschenseele vorhanden.
Burkard näherte sich dem Tier vorsichtig. Weiß Gott, was es durchgemacht hatte, wie es sich verhalten würde? Es war ein Labradormischling. Ein bisschen kannte er sich schon aus mit Hunden, als Kind war er mit ihnen aufgewachsen. Schon lange war der Wunsch in ihm da gewesen, sich jetzt selbst einen ins Haus zu holen. Aber Vera wollte keinen. „Liebling, ein Hund schränkt uns doch nur ein! Die Arbeit und die Verpflichtungen ständig, die man durch ihn hat. Und dann, was machen wir mit ihm, wenn wir verreisen?“ Er hatte sich gebeugt, wie meist. Sie hatte ja Recht.
Behutsam streckte er jetzt die Hand aus. Der Hund legte den Kopf schief, winselte leise. Es war eine Hündin, das sah er nun. Er begann, sanft auf sie einzureden. Ihre Augen waren aufmerksam auf ihn gerichtet. Ein klarer, wacher Blick. Die Rute kam in Bewegung, wedelte leicht hin und her.
Wieder spürte er Wut in sich hochsteigen, doch es war eine ganz andere als vorhin. Murmelnd sprach er weiter auf die Hündin ein, beschwörend, mit gleich bleibendem Tonfall. Er löste die Leine, mit der sie am rechten Pfosten angebunden war. Sie seufzte, als hätte sie verstanden, blickte zu ihm auf, leckte seine Hand.
Es war entschieden …

Mit größter Selbstverständlichkeit trabte sie mit zu seinem Wagen, sprang auf den Beifahrersitz, vertraute ihm völlig. Als sie begann, wie geistesabwesend die Papierkugel vor sich mit den Zähnen zu zerfetzen, musste er zum ersten Mal an diesem Tag lachen. Sie wusste offenbar das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen! „Du bist ein Zornkiller, Hündchen“, sagte er schmunzelnd. „Ich werde dich Ira nennen!“

Er war bester Laune, als er die Auffahrt zu seiner Garage hochfuhr. Sicher würde Vera verstehen, weshalb er den Hund mit nach Hause brachte! Aus dem Augenwinkel bemerkte er den Wagen seines Verlegers. Burkard stutzte. Ob der es sich anders überlegt hatte, auf ihn wartete? Er nahm den Hund am Halsband, überquerte den Vorplatz, schloss die Haustür auf …

… sie lagen auf der Couch im Wohnzimmer, eindeutiger ging es nicht. Seine zarte, blonde, duftende Vera. Mit seinem Verleger, der gerne etwas Seichtes, leicht Schlüpfriges von ihm wollte …

Burkard war wie vor den Kopf geschlagen, erstarrte mitten in der Bewegung, sprachlos. Die Hündin knurrte, stieß mit dem Kopf gegen sein Knie, sah ihn an. Da löste sich seine Starre mit einem Mal in einem Lachanfall auf. Er lachte und lachte, konnte sich gar nicht wieder beruhigen. Die beiden Gestalten am Sofa ließen voneinander ab, blöde anzusehen in ihrer überraschten Nacktheit, plötzlich erfüllt von einer Scham, die zu spät kam. Burkard lachte hemmungslos weiter. „Liebling, Herr Gölter wollte nur …“ Vera brach ab, bemerkte selbst, wie dumm die Situation doch war, in der sie sich befand. Gölter versuchte mit den Händen zu bedecken, was er an sich für wichtig hielt.
Und der Hund knurrte weiter, unheilvoll, parteiisch. Es war der hirnrissigste Augenblick in Burkards Leben, das war ihm klar. Satire pur, Geschichten, die das Leben schreibt. „Psst, Ira, ist ja gut.“ Der Hund beruhigte sich.
Gölter verschwand mit rotem Kopf in Richtung Diele, hastig seine verstreuten Kleidungsstücke aufsammelnd. Vera rannte heulend ins Bad.

Burkard kraulte seiner neuen Liebe den Kopf. Mein Gott, was war schon Schlimmes passiert? Zwei Menschen hatten sich lächerlich gemacht - und wenn schon! Da gab es weitaus Wichtigeres im Leben als das.
Der Hund schmiegte sich an seine Seite. Er spürte die Wärme des geschmeidigen Körpers durch seine Kleidung, das kurze Fell unter seinen Fingern, die warme Zunge, die vorsichtig seine Hand leckte. Eine Welle nie gekannter Freude überflutete ihn. Sein Herz atmete frei. Seine Seele lächelte.

„Ach so, Vera, das ist übrigens Ira. Sie wird hier bleiben.“

Letzte Aktualisierung: 22.12.2010 - 09.59 Uhr
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