Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Freude | Dezember 2010
Geteilte Freude – doppelte Freude
von Farida Halib

Die nächtlichen Schatten weichen allmählich milchigem Licht. Ein anfänglich zaghaftes Zirpen steigert sich langsam zu munterem Zwitschern, mit dem die Vögel diesen prächtigen Sonntag im Spätsommer einläuten.

Durchdrungen von der friedlichen Atmosphäre dieses neugeborenen Morgens gebe ich mich meinem Glücksgefühl hin. Diese sonderbare Mischung aus freudiger Leichtigkeit und entspannter Schwere fühle ich geradezu körperlich. Und ich bin mir gewiss, dass ich diesen Moment bis ans Ende meiner Tage nicht vergessen werde. Das Jubilieren der Vögel während dieses einzigartigen Tagesanbruches wird sich dauerhaft in mein Gedächtnis einprägen, wie das schier Unfassbare meiner Empfindungen.

„Autsch!“, ein Stechen holt mich auf die hiesige Seite der Milchglasfenster zurück, hinter die ich den Blick meines geistigen Auges gerichtet hatte. Der junge Arzt setzt die Nadel neu an und trifft diesmal zum Glück auf eine taube Stelle.

Mein Mann wirkt sichtlich gelöst und schäkert mit dem Arzt, der konzentriert stichelt, knotet und schneidet. Ich schnappe gerade noch auf, dass er dem Arzt empfiehlt: „... meglio un punto in più!“, womit er ihm bedeutet: „Nähen Sie auch alles wieder gut zu, im Zweifelsfalle lieber einen Stich zuviel als einen zu wenig!“ Der Arzt grinst, und mein Mann strahlt mich an. Ich verdrehe die Augen – „Männer!“

Eine Schwester betritt den Saal und rollt einen durchsichtigen Kasten herein. Ich erhasche einen ersten Blick auf den Inhalt. Zwei weiße Leinentücher, zu Rouladen gewickelt, enthalten die winzigen Urheber unseres Glückes. Die Schwester stellt knapp und geschäftsmäßig vor: „Gioia, 2210 g, geboren 4:20 – Alba, 2165 g, geboren 4:24!“ – Ja, das ist sie, die Freude, „la gioia“, die uns in der Morgendämmerung, „all´alba“, widerfahren ist.

Nach den letzten anstrengenden Stunden geben sich die beiden Püppchen wohlverdientem Schlaf hin. Ihre roten Gesichtchen sind umrahmt von einer Menge wild abstehender, dunkler Haare. Ich verspüre das Bedürfnis, sie zu berühren und frage mich, wann uns das gestattet sein wird. Ich wage kaum, mir diesen Moment auszumalen ... aber da hat die Kinderschwester den Brutkasten auch schon aus meinem Blickfeld gerollt. Unsere Töchter kommen auf die Intensivstation für Frühgeborene.

Als ich zuguterletzt meine Blöße bedecken darf und dem Scheinwerferlicht entrinne, fühle ich mich dankbar, wieder in den freundlichen Schutz meiner Kleidung und somit in einen neuen Alltag zu finden. Nun bin ich bereit, mich meinen Freuden und Pflichten als Mutter zu stellen.

Zuvor aber darf ich noch ein paar Stündchen ruhen ... Stunden, während derer ich träumen werde ... träumen von zwei kleinen Mädchen, die von nun an alljährlich diesen Freudentag als Fest begehen werden ... ein Fest in Erinnerung einer fernen Morgendämmerung, eines prächtigen Sonntags im Spätsommer.

Letzte Aktualisierung: 23.12.2010 - 22.31 Uhr
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