Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Wasser | Januar 2011
Wasser
von Ann Nissuth

Kalt. Eiseskalt. Ich sitze an meinem Lieblingsplatz am Fluss und friere. Mich tot? Wenn das so einfach ginge! Fremd fließt das Wasser vor mir dahin. In meinem Kopf ist eine trübe Brühe. Wie ferngesteuert stehe ich auf. Klettern war für mich nie ein Problem. Die Brücke ist nicht furchtbar hoch. Atem anhalten. Nicht atmen, wenn du unten bist. Ich springe. Pralle auf. Gehe unter. Nicht atmen! Kopf droht zu platzen. Platz doch! Schnell! Bring mich hinter mich, verdammt noch mal! Aber mit einem Mal wird alles langsamer. Und dann fängt diese blöde Zuckerei an. Arme, Beine. Alles zuckt. Ich wache schweißgebadet auf. Taste nach der Flasche neben mir. Wasser. Niemals könnte ich so aus dem Leben gehen.
Gierig trinke ich, rapple mich aus dem Bett hoch, reiße das Fenster auf, atme tief durch. Nieselregen. Es riecht nach feuchter Erde. Mein Lieblingslaufwetter. Schnell stopfe ich eine Banane in mich rein, ziehe mich an. Wo ist das Handy für den Notfall?
Auf der Straße sehe ich, ich habe eine neue SMS. Er hat sie gestern Abend abgeschickt: Kann nicht, DL. Eine Riesentraurigkeit überschwemmt meine Freude, reißt sie fort in den nächsten Gully. Meine Beine mögen nicht mehr laufen, kehren einfach um. Sonntag. Tag des Laufens, Tag der Liebe. Nichts von beidem wird er heute sein.
Lass dich nicht runterziehen, mahnt mein Inner-Ich. Wut tritt an Stelle der Enttäuschung. Irgendwann werde ich dieses blöde Weib… Ich habe keine Ahnung, was ich mit ihr machen werde, wenn ich sie jemals in die Finger kriege. Ich kenne sie ja nicht einmal. Will sie auch gar nicht kennen lernen. Will nur, dass sie verschwindet. Aus seinem und damit aus meinem Leben.
In meiner Wohnung zerre ich mir die Klamotten vom Leib, schalte das Radio ein: Hurts. Die gehen jetzt auf keinen Fall. Dann lieber Dusche ohne Musik.
Das warme Wasser spült die aufkommende Verzweiflung ganz allmählich fort. Ob er jetzt auch gerade duscht? Ich denke dran, wie schön es das letzte Mal zu zweit unter der Brause war. Gut möglich, dass er sich auch gerade dran erinnert. Das, was uns zwischen hastigen Treffen am Leben hält: Erinnern.
Weiches Wasser streichelt meinen Körper. Bald wird er es wieder sein. Ich stelle den Strahl um auf Massage - und mir vor, dass er mir zuschaut. Werde mit dem Wasser eins und gönne mir anschließend einen kalten Guss. Während ich mich abrubbele, höre ich die Wohnungstür gehen.
„Kampfsportseminar ausgefallen“, sagt Sohn. Und noch bevor ich einen Solidar-Spruch ablassen kann:
„Macht nichts. Wir haben gemütlich gefrühstückt und uns über Bruce Lee unterhalten.“ Er lacht, als ich die Nase kraus ziehe.
„Schau mal, was ich geschenkt bekommen habe.“
Ich mummle mich in meinen Bademantel und bewundere das, wie er erklärt, von seinem Freund illustrierte Plakat.
Leere deinen Geist. Werde formlos, gestaltlos - wie Wasser... Wasser kann fließen, kriechen, tropfen, stürzen und schmettern. Sei Wasser, mein Freund.
Stirnrunzelnd lese ich das vor. Was Sohn veranlasst zu erklären:
„Weißt du, Wasser kann weich sein, sich anpassen: Aber es hat auch die Kraft, einen Stein auszuhöhlen, zum Beispiel.“
„Steter Tropfen höhlt den Stein“, ergänze ich. „Bist ein Schatz.“
„Gut, dass ich Kummer gewöhnt bin“, grinst er und schaut dann doch verblüfft, als ich die Sportsocken anziehe.
„Ich geh jetzt laufen“, erkläre ich.
„Muss ich auch vorher duschen, wenn ich mitkommen will? – Oder willst du wieder alleine los?“
„Zweimal nein“, freue ich mich.
Sperma besteht überwiegend aus Wasser, schießt es mir übermütig durch den Kopf, als meine Beine wenig später über weichen Waldboden und unzählige Pfützen fliegen. It’s such a wonderful life!

Letzte Aktualisierung: 26.01.2011 - 19.11 Uhr
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