Honigfalter
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Wasser | Januar 2011
Mintgrünes Abenteuer
von Monika Reidegeld

Im Nu wurde sie von einer stillen, geheimnisvollen Welt verschluckt.
Einer Welt, von der die Erwachsenen immer sagten, sie wäre ihr Element.
Ein mattes, pastellfarbenes Mintgrün umhüllte sie. Überrascht sah sie auf diese Farbe.
Sie hatte etwas gänzlich anderes erwartet. Ihre Haut, die gerade noch geglüht hatte, wurde von einer sanften Kühle umspült.
Ihr war, als befände sie sich in einem in Watte gepackten, zeitlupenähnlichen Traum.
Alles fühlte sich schwerelos und dennoch zäh an. Außer diesem seltsamen Blubbern war kein Geräusch mehr zu hören.
Ihre langen Haare schwebten ziellos um ihren Kopf herum. Unzählige Luftblasen schienen ihren Körper erst zu umschmeicheln, um dann zielstrebig nach oben zu steigen.
Sie war nicht im Mindesten erschrocken, eher vollkommen gebannt.
Aus ihrem geöffneten Mund und aus ihrer sommersprossigen Nase entfernten sich hastig ein paar Bläschen. Ihr Herz pochte.

Lautlos glitt sie in die scheinbar unendliche Tiefe des Schwimmbeckens.

Sie verspürte keinerlei Furcht, aber sie war aufgeregt.
Denn sie hatte sich immer wieder vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn man „ins Große“ springt. Es wäre bestimmt toll.
Sie hatte schon oft beobachtet, wie die Erwachsenen hineinsprangen. Sie hatten Freude dabei, denn sie tauchten jedes Mal lachend und prustend wieder auf.
Bestimmt würden sie zum Boden gelangen und sich dann mit den Füßen abstoßen, sodass sie wieder auftauchten. So dachte sie.

Mama nickte, als sie gefragt hatte, ob es Freude mache und versichert, dass man immer wieder hoch käme.
Dann aber hatte sie mit dem Zeigefinger gedroht, dass sie das nicht ohne ihren Schwimmreifen ausprobieren solle.
„Wehe, du kleine Wasserratte“, hatte sie gesagt. „Wehe!“
Und Papa mahnte, dass sie sich nie ohne ihn am Beckenrand aufhalten solle. Die wilden Jungs könnten Schabernack mit ihr treiben und sie hineinwerfen oder sie könnte ausrutschen und hineinfallen.
Angelika hatte aufmerksam zugehört, eifrig genickt und schließlich ein Versprechen abgegeben.

Im Augenblick aber wusste sie gar nicht, wie ihr geschehen war. Sie hatte doch alles richtig gemacht.
Sie war doch gar nicht ohne ihren Reifen ins Wasser gesprungen und es hatte sie auch niemand ins Wasser geschubst.
Nein, sie hatte ihr Versprechen nicht gebrochen.

So wunderte sie sich weiter, während ihr kleiner Körper unaufhaltsam in die Tiefe sank.

Überlegen musste sie nicht, was zu tun sei. Sie würde es einfach so machen, wie sie es sich in ihren Tagträumen ausgemalt hatte.
Irgendwann musste sie auf dem Grund ankommen und wenn sie erst dort war, würde sie sich mit ihren Füßen abstoßen, wie die Großen.
Sie war mutig, fand sie. Sie musste nur abwarten. Bald würde sie den Kopf wieder über Wasser haben. Ganz schnell. Ganz sicher.

Dass sie noch nicht schwimmen konnte, daran dachte Angelika nicht. Im nächsten Monat würde sie fünf Jahre alt werden.
Ihre Augen blickten erwartungsvoll nach unten. Der Boden war immer noch nicht zu sehen. Alles war nur eine milchig-trübe mintgrüne Masse.
Niemand war dort unten. Keinen konnte sie sehen, der sich ebenfalls abstieß.
Die Tiefe des Schwimmbeckens erschien endlos und unergründlich für ein kleines Mädchen.
Wann kam denn nur der Grund, von dem sie sich abstoßen konnte?

Wertvolle Sekunden vergingen.

Was war nur passiert? Sie hatte ihren rot-weißen Schwimmreifen unter die Arme geklemmt und mit beiden Händen ganz festgehalten, als sie am Beckenrand des mintgrün gestrichenen Schwimmbades stand.
Er war schön, aber ein bisschen prall. Und schwimmen konnte sie damit auch nicht richtig. Es war fast so, als ob sie auf dem Wasser liegen würde, daher konnte sie es mit ihren kurzen Armen schlecht erreichen.
Sie hatte sie zu den Kindern rübergeschielt, die schon schwimmen konnten und war richtig neidisch geworden.
Dieser lästige Reifen. Er störte wirklich ganz gewaltig unter den Armen. Zu blöd, dass sie ihn noch brauchte.

Doch dann hatte sie die rettende Idee.

Sie würde den Reifen ganz einfach um den Hals legen. Dann hätte sie genügend Platz unter den Armen.
Und so war sie voller Stolz über ihren Einfall „ins Große“ gesprungen und in das mintgrüne Nass versunken.

Noch während ihre Aufmerksamkeit in die Tiefe gerichtet war, vernahm sie über sich plötzlich eine Bewegung. Unwillkürlich richtete sie ihren Blick ins Licht.
Ein Schatten zog langsam vorbei.
Erstaunt besah sie, dass sich oberhalb ihres Kopfes ein paar Arme befanden, die sich fortbewegten, Blasen erzeugten und Beine, die froschähnliche Bewegungen machten.

Ihre Augen begannen zu brennen und sie hätte jetzt auch gerne wieder geatmet. Aber das Fundament des Schwimmbades war immer noch nicht zu spüren.
Ihr Herz klopfte jetzt ein wenig schneller.
Gleich aber würde sie allen erzählen, was sie erlebt und was sie geschafft hatte. Die Erwachsenen würden stolz auf sie sein, auf sie, die kleine Wasserratte.

Hinter den Froschbeinen, fast über ihrem Kopf, setzte plötzlich ein riesiges, blubberndes Blasengewitter ein, das sich geradewegs auf sie zu bewegte.
Dann sah sie große Füße, ein paar kräftige Beine, einen Männerkörper und Papas blaue Badehose.
Sein starker Arm schlang sich entschlossen und kraftvoll um ihre Taille und trug sie ohne zu zögern viel zu hastig wieder in das Licht und in das Leben.

Der drückende Juli-Tag begrüßte ihr Wiederauftauchen, als wenn nichts gewesen wäre.
Die Kinder kreischten immer noch vor Vergnügen, die Erwachsenen lachten, tranken und rauchten und das Transistorradio spielte die neuesten Schlager.
Triefend und immer noch verblüfft über die überreichlichen Ereignisse, Empfindungen und Gedanken der letzten Momente schaute sie ihre Mutter an, die offenbar von ihrer Decke an das Schwimmbecken geeilt war und deren Gesicht sich noch nicht entschieden hatte, ob es mit Erleichterung oder Verärgerung reagieren sollte.

Ihr Vater fuhr sich mit der Hand über Augen und Haar und tadelte lauter als gewöhnlich:

„Sag mal, Geli, was machst du denn für einen Unsinn? Du solltest doch nicht ohne Aufsicht ins große Becken springen. Wenn ich nicht zufällig ein paar Meter weiter gestanden hätte, wärest du jetzt vielleicht ertrunken.“

Angelika begann zu schluchzen. Ihre Mutter kniete sich vor sie hin, umarmte sie und strich ihr über den Kopf und meinte besänftigend:

„Papa hat Recht, Geli. Wir haben uns sehr erschreckt. So einen Quatsch darfst du wirklich nicht mehr machen.“
Sie lächelte sanft.
„Aber jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben. Alles ist wieder gut. Du brauchst nicht mehr weinen.“

Aber Angelika vergoß keine Tränen, weil sie Angst gehabt hatte.
Sie verwünschte Papa, weil er so gemein gewesen war und sie aus dem Wasser geholt hatte.
Er hätte wenigstens warten können, bis sie von ganz alleine wieder aufgetaucht war.
Dann hätte er sie immer noch retten können.
Er hatte sie ungefragt um ihren größten Triumph gebracht.

Jetzt brauchte sie erst einmal ein großes Eis.

Letzte Aktualisierung: 22.01.2011 - 01.02 Uhr
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