Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Wasser | Januar 2011
Jetzt aber
von Eva Fischer

England, Ende des 16. Jahrhunderts

„William Shakespeare, hiermit verurteile ich Euch zum Tode. Ihr habt Euch eines schweren Verbrechens schuldig gemacht. Deshalb werdet Ihr an die Mauern des Towers festgekettet und während das Wasser der Themse langsam steigt, werdet Ihr genügend Zeit finden, über Eure Missetaten nachzudenken, bevor Euer nichtswürdiges Leben endlich ein Ende nimmt.“
Der so Genannte schaut in die Augen seines Richters. An wen erinnern sie ihn nur? Die seiner Geliebten sind es nicht. Die sieht ihn doch zärtlicher an. Zumindest gestern Nacht noch.
Sind es die Augen seines Eheweibes? Nein, eher erinnern sie ihn an einen Mann. Wütend funkelnd, rot unterlaufen. Durch den alkoholisierten Nebel wabern Erinnerungsfetzen. Ist es der Earl of Southhampton?
Verdammt, wie spät ist es schon? Er muss unbedingt an seiner Komödie „Wie es euch gefällt“ weiterschreiben, sonst wird es ein Drama und sein Albtraum Wirklichkeit.
Seufzend löst er sich aus den Armen seines Täubchens und eilt seine Kleidung suchend und laut fluchend davon. Mist, dass die Aspirintablette noch nicht erfunden ist.

Deutschland, Beginn des 21. Jahrhunderts

Es gibt doch nichts Schöneres als Urlaub! Endlich habe ich den Radiowecker mundtot gemacht. Ich kann ganz meinem Biorhythmus folgen, der mir sagt: erst mal ein leckeres Frühstück.
Während der Kaffeeautomat läuft, angle ich mir die Zeitung aus dem Postkasten. Den politischen Teil überschlage ich großzügig. Dass ich kein dioxinverseuchtes Ei essen soll, weiß ich schon. Ich blättere im Feuilleton. Was könnte ich denn heute Nettes machen?
Ich wollte schon immer zur Pariser Impressionistenausstellung im neuen Essener Folkwang-
Museum. Oder sehe ich mir lieber den Film mit Gérard Depardieu an? Die Zeitung ist voll des Lobes über den schwergewichtigen, alten Schauspieler, der zu sich selbst gefunden hat, und nur noch sich selbst spielen muss. Der hat’s gut, denke ich, und entscheide mich für ein zweites Brötchen mit dick Käse. Ich habe meinen inneren Schweinehund von der Leine gelassen. Im Urlaub soll auch er nicht hungern.
Na, vielleicht räume ich auch meinen Kleiderschrank auf, wiege mich zur Musik im Takt vor dem Spiegel und überlege, welches Teil ich behalte und welches Teil ich in die Tonne kloppe, um dann nachher in der Stadt für Nachschub zu sorgen. Ich heiße ja nicht umsonst Eva.
Da klingelt das Telefon. Meine liebe Freundin Christa ist dran. Okay. Ich bin flexibel, dann heute Folkwang, morgen Kino und übermorgen schauen wir mal.
Übermorgen geht es dann nach Köln, wo ich Leute treffe, die ich nur aus dem Internet kenne.
Das ist eine spannende und interessante Angelegenheit, wenn virtuelle Personen leibhaftig vor einem stehen. Wir trinken Kölsch, was mir als Düsseldorferin hervorragend schmeckt. Köln könnte man ruhig als Südstadt mit Düsseldorf wiedervereinen. Aber den Witz machen die Kölner zu Karneval auch jedes Jahr, natürlich umgedreht.
Ich bestelle Kartoffelsalat mit Zwiebeln. „Durchwachsen oder mager?“, fragt die Kellnerin. Wie jetzt? Gibt es in diesem Brauhaus auch Kartoffelsalat in Lightversion? Was bitte schön sind denn durchwachsene Zwiebeln?
„Ich möchte wissen, wie Sie Ihr Kotelett wollen?“, hakt sie nach.
„Gar nicht. Ich meine, ich möchte gar kein Fleisch.“
Renate hat sich nicht abhalten lassen, ein monströses Kotelett zu ordern, das sie jedoch schwesterlich auf unseren Tellern verteilt. Nur Mann schafft den Kampf mit dem Riesenfleischklops allein.
Falls ich es noch nicht erwähnt habe, wir schreiben alle einmal im Monat eine Geschichte im Internet. Dieses Mal ist das Thema Wasser dran. Es ist zum Heulen, aber mir fällt nichts ein. Die Fee Esmee könnte keine schönen Perlen für ihre Sammlung von mir bekommen, denn es sind ja nur schmierige Wuttränen, die ich herausquetschen könnte.
Wasser, das kann doch nicht so schwierig sein!
Ich könnte von unserem Wasserschaden im Bad berichten. Da ist Wasser bei der letzten Regenphase durch die Mauer gesickert und hat unschöne, kackbraune Flecken an der Decke hinterlassen. Aber wie soll ich daraus eine Story basteln?
Oder ich schreibe über den letzten mir verbliebenen Goldfisch in meinem Teich, nachdem der Fischreiher seine Brüder und Schwestern gefressen hat? Momentan liegt dickes Eis über dem Teich und ich weiß nicht so genau, ob mein letzter Fisch die vergangenen Wochen, abgeschnitten von jeglicher Luftzufuhr, überhaupt überlebt hat.
Als Fünfjährige fiel ich vom Steg in den Starnberger See. Völlig angstfrei, mit weit offenen Augen, kam ich zum ersten Mal mit der Unterwasserwelt in Berührung, bevor mein Vater die Nichtschwimmerin rettete. Aber wen interessieren schon so alte Kamellen?
Ich könnte mich natürlich auch dem politischen Teil meiner Zeitung gründlicher widmen und mir etwas zur Überschwemmung in Australien einfallen lassen. Nur kommt im Augenblick nicht mehr als Mitgefühl aus mir herausgeschwappt.
Warum schreibe ich überhaupt?
Weil ich so schrecklich gern mitspiele.
Jeden Monat gehen die Figürchen neu auf Start. Dann kann jeder seine Geschichte hochladen lassen. Es wird gepostet, Rezis werden verfasst, man besucht andere auf ihren Threads. Das ist schon recht spannend und amüsant. Es erinnert manchmal ein bisschen an Mensch–ärgere- dich-nicht. Harsche Kritik wirft dich ein paar Felder zurück, aber dann würfelst du wieder eine Sechs, wenn deine Worte ins Schwarze getroffen haben. Wer kommt am Monatsende aufs Treppchen? Wer hat gewonnen? Aber ein echter Spieler weiß: Neues Spiel, neues Glück! Verlieren-können trägt zur Charakterbildung bei.
Ich bin zwar kein William Shakespeare - Gott sei Dank! Sonst wäre ich schon tot, wenn auch berühmt, - aber mitmischen täte ich in diesem Monat doch gern. Und jetzt fällt mir nichts ein!
Wo bleibt die geniale Idee? Die hatte Sylvia, als sie den letzten Menschen in einer Luftblase unter Wasser überleben ließ.
Bei mir wird es mittlerweile auch eng. Sie erinnern sich. Ich habe Urlaub. Hatte, muss es mittlerweile heißen. Morgen muss ich wieder arbeiten.
Ich könnte eine Geschichte anfangen und sie dann von anderen weiterschreiben lassen. Das machen manche aus dem Forum gerne, nein ehrlich. Aber man hat ja auch seinen Stolz.
Ich sage Ihnen, ich hätte sooo gerne etwas, was ich in den Computer tippen könnte. Wenn nur dieser verdammter Zeitdruck nicht wäre!
Mir steht das Wasser bis zum Halse!


Das was.............................................................................................................?

Letzte Aktualisierung: 10.01.2011 - 21.47 Uhr
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