Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Wasser | Januar 2011
Mandos Träne
von Michael Pick

Die Hand auf ihrem Mund war so groß wie ihr Gesicht. Sie fühlte sich machtlos gegen seine Kraft, eine Puppe in der Hand des Mannes. Regen lag in der Luft. Der Schweißgeruch war bedrückend, ließ keinen Raum für andere Düfte.
Sie nahm an, dass der Mann ein Handlanger der schwarzblauen Zauberin Andomi war. Der Gedanke tröstete – es war gut zu wissen, wer hinter der Entführung stand.
Der Entführer klemmte sie wie ein Paket unter seine Arme. Am Stand des Mondes und des Nordsterns erkannte sie, dass ihr Weg nach Osten führte – in die Drachensümpfe.
Sie hatte schon viel über diese Region ihres Königreiches gehört, sie aber niemals zuvor betreten. Es war der Spielplatz der Drachen, die hier zu ihrem Vergnügen und Zeitvertreib Menschen gefangen hielten.
Die Prinzessin wünschte sich, wenn sie schon entführt wurde, dass es tagsüber geschehen wäre, damit sie die Drachensümpfe mit eigenen Augen hätte sehen können. Wenn sie gerade dabei war sich zu beschweren: Warum nicht an diesen Tagen, an denen sie vor Langeweile nicht wusste, was sie tun sollte? Die Welt, fand Prinzessin Akina, war ungerecht.
Ihren Entführer schienen solche Gedanken nicht zu belasten. Er raste über die Erde, dass die Prinzessin glaubte, sie würden fliegen. Auf jeden Fall fand sie die Geschwindigkeit für einen schlüpfrigen Boden wie den Drachensumpf zu waghalsig. Die dunkle Erde ließ sich von dem schwarzen Sumpf nicht unterscheiden. Sie fragte sich, wie ihr Begleiter den Weg erkennen konnte, als für einen Augenblick ein Blitz quer über dem nächtlichen Himmel lag.
Keine zehn Meter von ihnen sprengte er einen bleichen, borkenlosen Baumstamm und setzte ihn in Brand. Mit gierigen Zungen leckten die Flammen an dem toten Holz, während ein Donnerschlag die Luft erzitterte.
Prinzessin Akina fühlte, wie ihr Herz einen Schlag ausließ. Es war, als würde die Welt zur Strafe für ihre Entführung untergehen.
Die Szene ging nicht spurlos an ihrem Entführer vorüber. Er blieb stehen und streckte den Kopf nach vorne, als lausche er. Der brennende Baum tunkte die Gegend in ein zweifelhaftes, unbeständiges Licht.
Der Weg, den sie bisher benutzt hatten, war kaum breiter als ihr Entführer. Auf beiden Seiten lauerten die schwarzen Sümpfe, aus denen glucksend Blasen mit dem Geruch von toten Fischen aufstiegen.
Prinzessin Akina schloss mit Grausen die Augen. Sie glaubte, das Wimmern von Metall zu hören, nein - kein Klirren, ein Schubbern von rostigen Metallteilen. Sie kannte nur einen Menschen, der stets rostige Kleidung trug: Mando, der letzte Ritter. Sie zählte bis dreizehn; ein Gefühl sagte ihr, dass er dann bei ihr wäre.
Ihr Entführer musste etwas gehört haben, er wandte den Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Als Prinzessin Akina die Dreizehn zählte, blitzte es und in diesem Licht bröckelte die Patina von der Zeit und das Mädchen entdeckte den Ritter Mando; in seinen Augen ein gleichgrelles Leuchten wie es in der Natur die Lichter am Polarmeer hervorbrachten.
Mein Ritter, dachte das Mädchen und fühlte die Wärme und Geborgenheit in der Nähe dieses Mannes. Bevor Mando auch nur einen Schlag zu ihrer Befreiung ausführen konnte, warf Akinas Entführer die Prinzessin in den Sumpf. Der schwarze Schlamm schlug über ihr zusammen, das Mädchen konnte noch erkennen, wie der Ritter eine Bewegung tat, als wolle er hinter ihr her springen.
Dann wurde es schwarz vor ihren Augen. Alles war so schnell gegangen, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Instinktiv ruderte sie mit den Armen wie Windmühlenräder – mit dem Ergebnis noch schneller zu sinken.
Nach einer Weile fragte sich die Prinzessin, warum sie noch denken konnte. Auf ihrer Haut lag eine Kälte, wie sie nur vom Tod kommen konnte, doch vor ihren Augen war purpurne Farbe, in Tönungen von Weiß und einem dunklen Lila, das knapp vom Schwarz des Sumpfes zu unterscheiden war.
Ohne Zweifel befand sie sich im Morast, sie konnte weder etwas hören noch atmen. Zum Glück hatte sie auch nicht das Bedürfnis nach letzterem. Es war, als hätte der Sumpf einen Mantel, eine Eisdecke wie ein See im Winter. Nur war diese Decke schwarz und glucksend. Darunter breitete sich eine Welt aus, in der die Zeit viermal so langsam verging wie im Königreich Miluael.
Akina versuchte sich in dieser Purpürlichkeit zu bewegen, doch ging es nur so langsam, dass sie es sehr ermüdete. Es schien, als wäre sie in dieser Welt gefangen und sie fragte sich, ob sie sich freuen sollte, nicht gestorben zu sein.
Auch fragte sie sich, ob die dort draußen, besonders Ritter Mando, sie sehen konnten. Der Ritter stand am Rand des Sumpfes und hielt nach ihr Ausschau.
Er lehnte sich vornüber, als würde er jeden Augenblick in den Sumpf springen wollen. Herr Ritter, schrie Akina, Herr Ritter, passt auf Eure rechte Flanke auf! Wie sehr sie sich auch mühte, es drang nicht ein Ton an ihr Ohr.
Der Feind näherte sich. Ritter Mando war Kämpfer genug, die Gefahr instinktiv zu spüren. Er hob das Schwert und wehrte den Schlag ab.
Ihr Herz stockte, wenn der Entführer dem Ritter besonders hart zusetzte. Sie zitterte und stöhnte, als Mando einen Schritt rückwärts machen musste und fast gefallen wäre.
Vielleicht war es der Gedanke an die Prinzessin, die dem Ritter Kraft gab. Die Prinzessin hatte nur Augen für den Ritter, seine kräftigen Schläge, seine Gewandtheit. Trotz seines Alters war er geschmeidig wie eine Katze, umkreiste seinen Gegner wohl zwanzigmal.
Am Ende stand ihr Kämpfer alleine auf dem Weg. Der Gedanke an ihn zerriss ihr das Herz und die Prinzessin wünschte, gestorben zu sein, als die Qualen der Trennung ertragen zu müssen.
Der Ritter kniete vor dem Sumpf, an der Stelle, an der die Prinzessin in die schwarze Masse gefallen war. Sie sah es in seinen Augen blitzen. Eine Träne lief über seine Wange. Akina folgte ihr den Hügel der Oberlippe hinauf und von dort in einem Sprung in den Sumpf. Als wäre die Träne ein Zauber. Ganz sicher etwas Wunderbares. Kaum berührte die Träne den Morast, löste sich alles Purpur um Prinzessin Akina auf, neutralisierte zu klarem Wasser.
Die Träne verjagte die schwarze Decke des Sumpfes und plötzlich entdeckte Akina die blauen Augen ihres Retters – ein Blau, wie es saftiger nicht hätte sein können. Dass auch er sie entdeckt hatte, erkannte sie an dem Leuchten in seinem Gesicht.

Letzte Aktualisierung: 14.01.2011 - 19.42 Uhr
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