Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
„Wir sollten mehr Sport machen“, bemerkt mein Gatte am zweiten Weihnachtstag aus heiterem Himmel und mir bleibt vor Schreck ein Dominostein im Halse stecken.
„Noch mehr Sport?“, frage ich entsetzt und habe augenblicklich die letzte unserer mörderischen Radtouren vom vergangenen Sommer vor Augen. Schmerzende Oberschenkel, wunder Hintern und anschließend eine Ehekrise wegen angeblicher Dauer-Nörgelei meinerseits.
Der Herr Gemahl hat meine Frage offensichtlich überhört und behauptet, dass wir dringend einer Wintersportart nachgehen sollten. Und er hätte auch bereits eine geniale Idee. Zwischen meine Überlegungen von Langlauf über Wok-Rennen wirft er lässig das Wort ‚Aqua-Jogging’ in den Raum.
„Bitte?“
„Was hältst du von Aqua-Jogging?“
„Nichts!“
„Wieso nicht?“ Mein Gatte schaut erstaunt.
„Weil mein Badeanzug nicht mehr passt.“
Diese Tatsache wird ebenfalls ignoriert und er hebt erneut an.
„Ich hatte mir gedacht, Wassersport würde dir Spaß machen.“
Es gibt Momente, in denen Männer besser nicht denken sollten.
Ich schüttele entgeistert den Kopf, woraufhin er mir eröffnet, er hätte bereits im Internet den idealen Kurs für uns gefunden.
Ich stelle fest, dass es außerdem Momente gibt, in denen Männer nicht nur nicht denken, sondern besser auch nicht an den PC gehen sollten.
„Oh nein. Bitte kein Wassersport.“ Auf gar keinen Fall werde ich mich auf Aqua-Jogging einlassen. Von mir aus ein Hometrainer, aber keine Wassergymnastik! Zur Beruhigung meiner Nerven greife ich erneut in die Dominosteine und überlege bereits, ob solch ein Ungetüm ins Schlafzimmer passen würde. Vielleicht, wenn wir die Kommode etwas nach links –
„Ich habe den Aqua-Jogging-Kurs bereits gebucht!“ murmelt mein Gatte etwas kleinlaut und schiebt zu seiner Verteidigung hinterher, dass nur noch zwei Plätze frei waren und seine Onlinebuchung somithin ein außerordentlicher Glücksfall war.
Heiliges Kanonenrohr. Das war dann wohl einer der Momente, in denen Männer am besten einfach kein Glück haben sollten.
„So, meine Damen und Herren, jetzt drücken wir mal die Schwimmnudeln unter Wasser – ja, so ist’s recht – und nun heben wir vorsichtig das rechte Bein darüber und – neeeiin, nicht so ruckartig – Achtung! Der Herr da hinten! Sie müssen –“
Zu spät.
Eine rosa Schwimmnudel flitscht nach oben und mein Aqua-Nachbar blubbert nach unten.
„Hoppla!“
Ich greife beherzt zu und fische ihn an einem seiner Oberarme wieder hervor. Er prustet einen halben Liter Wasser aus Ohren, Nase und Mund, zuckt leicht verschämt mit den Schultern und brabbelt spuckend, dass das alles noch nicht so gut funktioniert mit seiner neuen Hüfte.
„Ach“, wendet sich ihm umgehend eine Dame mit geblümter Badekappe zu, „interessant! Sie auch? Wann war denn Ihre OP?“
Während die beiden sich ausgiebig einem Gespräch über ihre Hüften widmen, werfe ich meinem Gatten einen verzweifelten Blick zu. Von wegen „es werden sicher viele in unserem Alter da sein“ und „du wirst sehen, es wird dir Spaß machen“. Hier wimmelt es nur so von künstlichen Kniegelenken, Oberschenkelhalsbrüchen und Möchtegerndoktoren, die ihre postoperativen Erfahrungen nebst medizinischem Halbwissen quer durchs Lehrschwimmbecken posaunen.
Ein Bandscheibenoperierter umschwimmt mich seit geraumer Zeit lüstern und jetzt halten auch noch die zwei neuen Hüften den Verkehr auf, indem sie lautstark über ihre Operationswunden fachsimpeln.
Der Bademeister klatscht aufmunternd in die Hände und spornt die gesamte Truppe erneut zum Übers-Schwimmnudeln-Klettern an. Sein Goldkreuzchen verheddert sich bei jeder Bewegung in der arg gekräuselten Brustbehaarung und ich überlege, ob Frau Merkel vielleicht für die Zukunft eine ‚T-Shirt-Pflicht für Bademeister’ im Grundgesetz verankern sollte.
Wir heben artig ein Bein nach dem anderen, versuchen, so gut es geht, über die darunter geschobenen Nudeln zu hüpfen, während Goldkettchen uns vom Beckenrand aus mit einer Trockenübung vormacht, wie die richtige Beinstellung zu sein hat. Mein vorhin untergegangener Nachbar rudert emsig in Richtung seiner schweinchenrosa Schwimmhilfe, die sich jedoch durch seinen eifrigen Wellenschlag immer weiter entfernt. Als die Hüftkollegin mit der Blumenbademütze sich mir zuwendet und fragt, welche OP genau ich denn gehabt hätte, ergreife ich die Flucht und beschließe, zunächst einmal die Toilette aufzusuchen.
Als ich ans warme Nass zurückkehre, grölt Heino ein ohrenbetäubendes „Im Frühtau zu Berge, wir zieh’n, fallera!“, aus dem CD-Player und meinen fünfzehn Mitturnern wird rhythmisch brüllend die Aufgabe erteilt, möglichst hurtig im Kreis zu gehen, um damit einen Strudel zu erzeugen.
Goldkettchen scheucht mich zu der bereits fröhlich im Kreis paddelnden Truppe und mein Gatte macht mit einem geschickten Hüftschlenker Platz, damit ich mich ordnungsgemäß einreihen kann.
Mittlerweile haben wir ein ordentliches Tempo drauf und gleiten quasi wie von alleine durchs Wasser.
„Na, das macht doch Spaß, oder?“, ruft mir mein Gatte aufmunternd zu.
„Nein!“, zische ich zurück.
Wenn ich irgendetwas hasse, sind das solche bescheuerten Kollektiv-Turnübungen.
„Und hepp und vor und ja und hepp!“, feuert Goldkettchen uns an. Wir erzeugen einen kräftigen Strudel und lassen uns mitziehen. Das funktioniert zumindest einigermaßen reibungslos, und die Gesichtszüge meiner Mitschwimmer glätten sich zunehmend. Künstliche Knie, eingesetzte Hüften und eingerenkte Wirbel gleiten elfengleich durchs Wasser, als Goldkettchen aus heiterem Himmel die Musik abstellt und generalstabsmäßig das Kommando brüllt: „Und nun alle Mann in die andere Richtung!“
Zwei Oberschenkelhalsbrüche, mein Gatte und ich parieren in der Sekunde. Doch die anderen scheinen diese angeordnete Maßnahme erst einmal in Ruhe zu durchdenken. Der Wasserstrudel ist nicht zu unterschätzen. Zwei Knie-OPs donnern aufeinander und streifen dabei die Dame mit der Blümchenkappe. Diese verliert augenblicklich das Gleichgewicht und beim Untertauchen zusätzlich ihre Bademütze. Auch mein Hüftnachbar ist vom Sog erfasst. Er klammert sich an einen schwächlichen Herrn in neongelber Badehose und reißt diesen mit in die Tiefe.
Geistesgegenwärtig greift mein Mann nach dem Hüftnachbarn, und ich rette die gelbe Badehose. Leider tatsächlich nur diese, denn der hagere Besitzer hat sich vermutlich beim Kauf fatal in der Größe geirrt.
Er schafft es glücklicherweise ohne fremde Hilfe auf die Füße zu kommen. Ich schicke ein Dankgebet in den Himmel, dass ihm das Wasser ob seiner geringen Größe bis zum Bauchnabel reicht. Verlegen grinsend versucht er, unter Wasser in seine Schwimmhose zu schlüpfen und ich wende mich diskret zur Seite.
Die Blumenkappe wird akkurat über die ramponierte Dauerwelle gestülpt und die Besitzerin erzählt währenddessen von den ersten Tagen nach der Operation. Als sie mit ihrer detaillierten Schilderung beim komplizierten Entfernen der Wundschläuche und des vorsichtshalber eingesetzten Urin-Katheters angelangt ist, wechselt mein Gemahl abrupt die Gesichtsfarbe. Und ich biete mich großherzig an, ihn auf der Stelle in die Umkleidekabine zu begleiten.
Er nickt und ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, zerre ich ihn zur Badeleiter. Goldkettchen ist ihm beim Rausklettern behilflich und ich werfe Frau Blümchenkappe noch schnell einen dankbaren Blick zu.
Auf dem Weg zu den Duschen kommt uns eine Truppe fröhlicher Leuten entgegen. Die jugendliche Bademeisterin ruft ihnen zu, dass der Kurs Aqua-Jogging in ungefähr zehn Minuten, also sofort im Anschluss an die medizinische Wassergymnastik, stattfindet.
Wir erstarren auf der Stelle.
Mein Gatte hat den falschen Kurs angeklickt.
Er sieht mich entschuldigend an und ich schweige. Es gibt Momente, in denen Frauen lieber nichts sagen sollten, sondern lediglich handeln.
„Wir nehmen den mit dem integrierten Pulsmesser“, sage ich zu dem Verkäufer und dieser nickt beflissen. „Sollen wir ihn anliefern?“
Nein. Ich bestehe darauf, dass wir den Hometrainer sofort mitnehmen. Nicht, dass am Ende wieder einer dieser Momente des unkontrollierten Denkens in das Leben meines sportbesessenen Gatten tritt.