Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Wasser | Januar 2011
Er ist ein Pirat!
von Martina Bracke

Mit vollen Segeln zerschnitt die Schwarze Perle die See. Jeder Handgriff der Seeleute in dem Gewirr von Tauen, Segeln und Gerätschaften saß. Wie ein Fels thronte ihr Kapitän über ihnen am Bug. Seine schwarzen Haare liebkoste der Fahrtwind, während seine dunklen Augen in eine Ferne gerichtet waren, die schnell näher rückte. Eine spanische Galeone, die sich völlig ohne Begleitung in seine Gewässer wagte. Ein Lächeln glitt über das Gesicht von Jakob Sperling.
„Zieht die Fahne auf!“ Sein Kommando beflügelte einmal mehr die Mannschaft. Nur kurz hatte er sich umgewandt. Jakob konnte sich blind auf jeden Einzelnen verlassen.
Wenn die Spanier bislang noch nicht geahnt hatten, welches Schiff auf sie zuflog, nun bestand kein Zweifel mehr. Die Totenkopfflagge flatterte frei im Wind. Sie würden wissen, was ihnen blühte.
„Klarmachen zum Angriff!“, schallte es über das Deck.
Noch einmal versicherte sich Jakob mit Hilfe seines Fernrohres, dass der Horizont leer blieb. Nur Wasser, so weit das Auge reichte, keine Störung in Sicht. Die Galeone konnte nicht entkommen, das wusste er. Sie war viel schwerfälliger als die Schwarze Perle. Dafür verfügte sie allerdings über eine stattliche Anzahl an Kanonen. Aber der größte Pirat aller Zeiten hatte noch nie eine Schlacht verloren! Jakobs Finger strichen einen Moment gedankenverloren über den Knauf seiner Pistole, die im breiten Gürtel steckte, und den Degen, der sich an seine Seite schmiegte. Die erwartungsvolle Stille hinter ihm brachte seine Gedanken wieder zurück.
„An die Kanonen!“
Das ließen sich die Männer nicht zweimal sagen.
„Hart Steuerbord!“, kommandierte Jakob.
Der Steuermann riss das Ruder herum, das Schiff warf sich zur Seite. Tief. Sehr tief. Die See leckte an der Bordwand, Wasser spritzte an Deck. Doch schon richtete sich die Schwarze Perle wieder auf, genau längsseits zur „Isabella“, wie Jakob jetzt auf der Galeone lesen konnte.
„Ah, Commodore Vásquez“, murmelte der Pirat. Für mehr blieb keine Zeit. Auch die Spanier hatten ihre Kanonen bereits durch die Luken geschoben.
„Feuer!“, donnerte Jakobs Stimme.
Die Kugeln flogen den Spaniern um die Ohren, noch bevor sie selbst feuern konnten. Ein Jubelschrei erscholl auf dem Piratenschiff. Doch nur kurz.
„Nachladen!“, ermahnte die Stimme ihres Kapitäns die Männer.
Schlag auf Schlag ging es, dem Gegner keine Verschnaufpause gönnen, die Ordnung zerstören, den Mut untergraben.
Und tatsächlich, schon nach der zweiten Salve liefen die ersten Matrosen auf der „Isabella“ kopflos über die Bohlen. Der Commodore schrie seine Befehle, doch drang er kaum zu seinen Leuten durch. Mehrere der bronzenen Geschütze, aber beileibe nicht alle, feuerten sie ab, einige Einschläge musste auch die Schwarze Perle einstecken.
„Backbord!“ Die Stimme des Piratenkönigs hallte über das gesamte Schiff.
Sein Steuermann warf das Ruder nach links. In einem gekonnten Manöver setzte sich die Schwarze Perle auf die andere Seite der angeschlagenen „Isabella“ - einer ihrer vier Masten war gebrochen, ein Loch in der Seitenwand ließ Kanonen ins Meer stürzen. Ganz nah glitt das Piratenschiff heran. Die Spanier griffen zu ihren Musketen.
„Fertigmachen! Entern!“, rief Jakob völlig unbeeindruckt.
Planken schoben die Piraten von Deck zu Deck, sie liefen oder schwangen sich an Seilen hinüber. Im Nahkampfgetümmel klirrten die Degen, knallten Pistolenschüsse, ertönten Kriegsgeheul der Angreifer und Schreie von Verletzten. Einige Male stürzten Männer über Bord in das erbarmungslose Wasser der See.
Jakob bahnte sich mit seinem Degen den Weg zum Commodore.
„Vásquez! Sieh mich an!“, übertönte er das Schlachtengetümmel.
Und tatsächlich wandte sich der Commodore um. „Jakob Sperling! Wieder obenauf, wie ich sehe.“
„Kapitän Jakob Sperling, so viel Zeit muss sein.“
Sie umtänzelten, belauerten sich.
„Wie entkamt Ihr der Festung?“
„Ich bin hier. Das sollte Euch genügen.“
Seine Augen verrieten den Commodore, Jakob parierte den ersten Stoß. Umso wütender führte dieser den zweiten Streich, doch in ihrem Kampf ähnelten sie ihren Schiffen. Der Commodore war kraftvoll, aber schwerfällig, Jakob hingegen schnell und wendig.
„Seht es ein, Ihr seid bereits besiegt.“
„Niemals!“, stieß Vásquez aus. „Für die spanische Krone!“
„Für mich und meine Männer!“, antwortete Jakob und stieß zu. „Das ist der Grund“, Jakob parierte eine wütende Attacke, „warum wir gewinnen.“ Er wich zurück. „Die Krone ist fern.“ Sein nächster Angriff. „Und das Hemd sitzt uns näher.“ Außer Atem hieben sie weiter aufeinander ein.
Der Commodore führte seinen Degen von oben, plötzlich öffnete sich die Tür zum Unterdeck, Jakob sprang zurück, versuchte auszuweichen, doch abgelenkt traf ihn der Degen am Arm, Blut spritzte.
Überrascht sah Jakob auf die Wunde, dann zum Commodore. Zuletzt zu der Frau, die aus der Tür getreten war.
„Eine Frau an Bord – immer bringt sie Unglück“, seufzte Jakob.
„Nicht für mich“, erwiderte Vásquez und nahm den Kampf wieder auf.
Sie hatten bislang nicht bemerkt, dass das Schiff bereits den Piraten gehörte. Nur diese beiden Kämpfer blieben noch übrig.
„Kapitän!“, rief Jakobs Steuermann. „Das Schiff ist unser!“
Erst jetzt blickten sie über das Deck, sahen die Zerstörung und die gefesselten Spanier. Vásquez zögerte kurz, senkte seine Waffe und gab auf.
Ein Triumphgeschrei erhob sich über Schiff und Meer.
Der Piratenkönig wandte sich an die Dame: „Wer seid Ihr, schönes Kind?“ Denn schön war sie – ohne Zweifel.
Sie reckte das Kinn hoch.
„Das ist nur meine Nichte“, antwortete der Commodore.
„Pah, ich bin Isabella von Granada, Braut des Gouverneurs von Hispaniola. Mein zukünftiger Gatte wird Euch jagen bis an das Ende der Welt!“
Das ganze Schiff erzitterte vor Lachen.
„Ach ja? Ich sehe ihn gar nicht.“ Jakob wandte sich an seine Leute: „Hat jemand den armseligen Javier von Hispaniola gesehen?“
„Nein!“
„Haben wir Angst vor der spanischen Armada?“
„Nein!“
„Fürchten wir das Ende der Welt?“
„Nein!“
„Gut, das hätten wir geklärt. Bis Javier kommt“, er warf ihr einen unverschämten Blick zu, „seid Ihr mein Gast.“ Jakob lüftete seinen Hut und schenkte ihr eine formvollendete Verbeugung.
„Ein Glas Wasser für die Dame und ein Fass Rum für alle!“
Begeistert rissen die Piraten ihre Arme in die Höhe. Die Beute konnte warten, ihre durstigen Kehlen nicht.
Und so endete auch die fünfzigste Kaperfahrt des Kapitäns Jakob Sperling mit einem glorreichen Gelage.

Warum Jakob Sperling, der größte und beste Pirat aller Zeiten und Weltmeere, nicht in die Geschichte einging? Nun, seine grandiosen Schlachten finden nur im Kinderzimmer des neunjährigen Leon Schellenberg, Königstraße 7, statt. Hier liegt der Lego-Held nach jedem errungenen Sieg unter dem Kopfkissen des Jungen und schleicht sich nachts ebenso ruhelos und abenteuerlustig wie am Tage in dessen wilde Träume.

Letzte Aktualisierung: 27.01.2011 - 09.06 Uhr
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