Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Wasser | Januar 2011
Ein entspanntes Bad
von Nicole Müller

Von hier aus konnte ich es eigentlich sonst sehen, doch diesmal blendeten mich blaue Lichter. Einen Augenblick blieb ich stehen und kniff die Augen zusammen. Vor unserem Mietshaus stand die Polizei!
Eine Beamte stellte sich mir vor der Tür jedoch in den Weg: „Entschuldigung! Wir können Sie nicht hinein lassen.“
„Ich wohne hier“, widersprach ich entrüstet.
„Guten Abend. Mein Name ist Trebe, Kripo Bochum“, stellte sie sich vor. „In welcher Etage wohnen Sie?“
Sie wirkte auf mich sehr angespannt, war blass und ihre steife Mimik zeigte deutlich, dass ich mir jetzt keinen Scherz erlauben durfte.
„Dritte Etage, Leiram. … Ich bin Miriam Leiram.“
Schlagartig fühlte ich mich wie ein Schulmädchen, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
„Frau Leiram, haben Sie die Möglichkeit, bei Familie oder Freunden zu übernachten? Für unsere Ermittlungen benötigen wir Zeit. Solange darf ich Sie nicht ins Haus lassen.“
Wispernd hörte ich meine Stimme: „Was ist denn passiert?“
Mit einem geschickten Griff beförderte Frau Trebe einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Jackentasche.
„Kannten Sie Frau Jasalski?“
„Nein … ja“, ich stockte. „Kennen kann man es nicht nennen. Wir haben uns gesehen, sie ist meine Nachbarin. Manchmal treffen wir uns am Briefkasten oder halten uns gegenseitig die Tür auf. Sonst haben wir keinen Kontakt.“
„Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“
Ich musste überlegen. Es war schon einige Tage her, das wurde mir jetzt erst bewusst.
„Freitag. Also, … vo-vor neun Tagen“, stammelte ich.
„Vielen Dank, Frau Leiram. Dürfte ich für eventuelle Rückfragen erfahren, wo ich Sie in den nächsten Tagen erreichen kann?“
Ich gab die Adresse und Telefonnummer meiner Firma und die meines Freundes Claudius an. Frau Trebe notierte alles und atmete tief ein. Ihre Gesichtszüge wirkten sanfter, der mitfühlende Ausdruck ihrer Augen ließen mich das Schlimmste erwarten. Ich knetete meine durchgefrorenen Hände, meine Schulter und der Nacken verspannten sich.
„Frau Jasalski wurde tot in ihrer Badewanne aufgefunden!“, berichtete sie.
Ich glaube, dass ich die Polizistin eine Weile anstarrte. Mein ganzer Körper fühlte sich schlagartig versteinert an.
„Frau Leiram?“ Die Polizistin neigte ihren Kopf zu Seite und kam wenige Zentimeter näher.
„Frau Leiram? Soll ich Ihnen ein Taxi bestellen?“

Ich ignorierte ihre Frage und stolperte davon. Mein Herz hämmerte.
‚Claudius, ich will zu Claudius‘, steuerte mich meine innere Stimme. Wenige Straßen vor seiner Tür zögerte ich. Die letzten zwei Wochen hatte ich seine Nähe gemieden, mich mit Überstunden herausgeredet. Und jetzt ist er der Erste, an den ich dachte. Es war an der Zeit, dass ich mein Gefühlschaos ins Gleichgewicht bekam.

„Na, hast du es dir anders überlegt?“
Seine braunen Augen strahlten, sein Lächeln breitete sich über das ganze Gesicht aus.

Nachdem ich berichtet hatte, was geschehen war, zündete er ein Feuer im Kamin und Kerzen an.
„Ich habe den Ofen an. Lass dich verwöhnen, es wird dir schmecken.“
„Ich habe eigentlich gar keinen Appetit“, entschuldigte ich mich.
„Miri, iss bitte ein wenig. Wer weiß, was mit der Frau war! Das hat doch nichts mit dir zu tun. Bestrafe deswegen doch nicht deinen Magen.“ Er griff nach meiner Hand. „Und danach lass ich dir ein schönes, entspannendes Bad ein!“
„Nein!“ Ich riss meine Hand weg. Selbst entsetzt über meine Reaktion fügte ich ruhiger hinzu: „Ich möchte nur ein Bett.“
Er nickte: „Ok, mein Sensibelchen. Doch den Kontakt zum Wasser kannst du auf Dauer nicht vermeiden.“
Ich pickte mit meiner Gabel lustlos ein wenig Rotkohl auf und würgte es an meinem dicken Kloß im Hals vorbei.
Endlich im Bett versuchte ich mich zu beruhigen. Claudius hatte Recht: Wer weiß warum Frau Jasalski so etwas zustoßen konnte? Es hat ganz sicher nichts mit mir zu tun. Irgendwann schlief ich ein.

Die Tage verstrichen, der Alltag hatte mich wieder. Die Kripo hatte sich nicht mehr bei mir gemeldet. Zumindest wohnte ich vorübergehend bei Claudius, der mir jeden Wunsch von den Augen ablas.
Drei Wochen waren nun vergangen. Ich hielt es für sinnvoll, meine unbegründeten Ängste zu überwinden und zu meiner Wohnung zu gehen. In den letzten Wochen hatte Claudius die Post für mich abgeholt. Doch meine Pflanzen benötigten bestimmt dringend Wasser und ich musste einfach einen Moment alleine sein, mich nicht ständig von ihm umschlungen fühlen.
Die Stufen zur Haustür erschienen mir erheblich größer als zuvor. Ich suchte meinen Schlüssel in der Tasche. Sie glich dem Bermuda-Dreieck, alles versank in ihr und nichts war mehr aufzuspüren. Während ich wühlte, öffnete sich die Haustür.
„Ach! Tach Frau Leiram“, begrüßte mich Frau Kling aus der ersten Etage. „Sin Se auch ma widda hier? Ja, dat war schon ne schlimme Sache mitte Jasalski, woll? Ich wär ja auch abgehaun. Aber wissen Se, mit mir will die Familie ja nix zu tun ham. Mensch, dat da ma so ne Frau in ner Wanne ertränkt wird und uns isses nich ma aufgefalln! Und wer weiß et schon? Vielleicht is dat ja n Serientäter? Sagn tun se ja nix von der Polizei, ne. Aber den Täter ham se ja au noch nich. Mensch, dat war auch ne Liebe, die Jasalski. Und dann sowat! Ich bring eben den Müll raus. Machen Se`s jut und passn Se auf sich auf, ja?“
Mit offenem Mund ging ich in den Hausflur, öffnete meinen Briefkasten und schielte ungewollt ständig auf die versiegelte Wohnungstür. Mir reichte es. In diesem Horrorhaus wollte ich keine Sekunde länger bleiben. So wichtig waren mir die Blumen auch nicht. Die Post verstaute ich in meiner Tasche und verließ ohne zu zögern das Haus.
Auf dem Weg zu Claudius glaubte ich, hinter mir Schritte zu hören. Oder bildete ich mir das nur ein? Ich ging schneller, wandte meinen Kopf leicht zur Seite, versuchte in der Dunkelheit einen Schatten zu erspähen. Da war niemand. Oder doch? Ich blieb stehen und setzte zu einer blitzartigen Drehung an. Nichts! Wieder horchte ich. Nichts! Ich atmete tief ein. Vielleicht sollte ich mir mal ein Auto kaufen?

Abends saßen Claudius und ich auf der Couch. Ich berichtete ihm von meinem Entschluss, umziehen zu wollen.
„Mein Haus ist größer als eine Wohnung“, versuchte er mich wieder einmal zu überzeugen. „Du könntest Geld sparen, wenn du bei mir einziehst. Lass es uns versuchen. Wir sind doch lange genug ein Paar. Du müsstest wissen, dass du kein Risiko eingehst. Die letzten Wochen waren herrlich. Es ändert sich nichts. Und den Schlüssel hast du schon.“
Mein Magen drehte sich, mir wurde übel. Der Gedanke, immer hier zu wohnen, war unerträglich.
„Wir haben noch so viel Zeit, Schatz!“, versuchte ich das Gespräch zu umgehen und fixierte den Fernseher.
„Ich glaube, du willst das gar nicht! Liebst du mich nicht?“
Seine Halsadern schwollen an, die Augen vergrößerten sich, seine Gesichtsfarbe wechselte zwischen Rot und Weiß. Meine Beine wurden weich.
„Natürlich liebe ich dich!“, presste ich bemüht zuversichtlich hervor. „Ich meine nur, wir haben noch das ganze Leben vor uns.“
Um meiner Aussage mehr Kraft zu verleihen, küsste ich ihn und versuchte, gleichzeitig meinen Würgreiz herunterzuschlucken. Kannte ich diesen Mann?
„Pass auf: Ich lasse uns Wasser ein, dann können wir gemeinsam in der Wanne entspannen“, schlug er vor. Ich nickte unsicher. Er ging Richtung Badzimmer. Ich griff meine Handtasche und wollte zur Tür hinaus. Abgeschlossen. Der Schlüssel! Ich wollte in meiner Tasche kramen, da stand er plötzlich hinter mir und umarmte mich.
„Was machst du da?“ Seine Stimme klang aufgesetzt freundlich.
„Ich … ich hatte vergessen die Briefe zu öffnen.“
„Das kannst du auch nachher noch! Jetzt steht Wellness auf der Tagesordnung.“
Sein Arm lag bleischwer auf meinen Schultern und lenkte mich in seinen selbsternannten Wellnessraum. Flackernde Kerzen erhellten das Zimmer.

„Zieh dich aus“, befahl er mir. Während ich gehorchte, überlegte ich, wie ich aus dem Haus kam.
„Geh du zuerst hinein“, forderte er und streifte dabei seinen Pullover über den Kopf.
Mein ganzer Körper zitterte. Ich hielt mich krampfhaft mit beiden Händen am Badewannenrand fest, ertaste mit der Zehenspitze das kochendheiße Wasser.
„Schatz, wäre jetzt nicht Sekt zum Anstoßen angebracht?“, bemühte ich mich, ihn von mir abzulenken.
„Den musst du dir verdienen, Liebes! Steig rein!“, grinste er breit.
Ich versuchte, mich langsam an die Hitze zu gewöhnen, meine Arme gaben nach. Ich rutschte aus und knallte mit den Rippen gegen den Wannenrand. Das Wasser spritze und schwappte über.
Er kletterte mit Jeanshose und Socken bekleidet zu mir in die Badewanne, setzte sich auf meinen Oberschenkel, packte mich und drückte mich runter. Ich hielt den Atem an, hoffte, gleich wieder Luft schnappen zu können. Meine Glieder waren steif, meine Rippen schmerzten. Ich probierte mich zu bewegen, seinen monströsen Körper abzuschütteln.
Durch das Wasser hörte ich gedämpft seine wütende Stimme: „Ich habe die Jasalski umgebracht, damit du blöde Kuh bei mir einziehst! Monatelang habe ich dir gezeigt, wie sehr ich dich liebe. Und das ist dein Dank, du Miststück?“

Letzte Aktualisierung: 25.01.2011 - 09.05 Uhr
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