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Wasser | Januar 2011
Palmen wiegen leicht im Wind
von Jens Ritter

Wellen brechen sich am Strand
Sonnenbrand bleibt unerkannt
Die Sonne spiegelt sich im Meer
Die Strandbar hat genug Verkehr
Palmen wiegen leicht im Wind

Stop mal! Was für Palmen? Es war eine unerträgliche Hitze und ich stand mit Lisa, meiner Schwester, knietief im Wasser der Ostsee, nur war sie dem Ufer ein Stück näher. Außer ein paar Metern trennten uns auch zehn Jahre. Sie war ein sogenannter Nachzügler, was einige Dinge in ihrem Leben betraf.
Meine Eltern hatten es sich im Strandkorb bequem gemacht. Meine Mutter, um die Naturbräune aufzufrischen, und mein Vater, um zu lesen. Er musste in diesem Urlaub unbedingt noch „Moby Dick“ lesen und wie der Titel schon sagt, das Buch war dick. Wieder einmal war er dabei, seine Liste abzuarbeiten. „Bücher, die man gelesen haben sollte“, bevor man den Löffel abgibt. Seine Liste hatte 121 Anstriche und „Moby Dick“ stand auf Platz zwei. Es würde also noch ein ganze Menge Wasser an den Ostseestrand klatschen, bevor er seine nächste Liste abarbeiten konnte. Wahrscheinlich dann: „Frauen, die ich schon immer mal kennenlernen wollte, um mit ihnen über die Bücher zu reden.“ Meine Eltern waren sich also wieder mal einig, wer die Kontrolle über Lisa hatte, ich.
Ich war hier der Alleinunterhalter, der Pausenclown, der Kindergärtner meiner Schwester. Wieso hieß es eigentlich Gärtner? Bei dieser Bezeichnung sah ich immer Kinder vor mir, die wie eine Pflanze im Blumentopf standen und darin heranwuchsen. Fröbel, du alter Reformer! Was hattest du dir nur dabei gedacht? Mittlerweile nennt man sie auch Erzieher. Sie hatten wahrscheinlich Angst, dass das mit den Blumentöpfen noch Realität wird. Warum ich, mit vierzehn, Friedrich Fröbel kenne? Unsere letzte Klassenfahrt ging nach Bad Blankenburg und da ließ es sich einfach nicht vermeiden, ins Fröbel-Museum zu gehen.
Ich war also der Erzieher meiner Schwester und meine Eltern machten Urlaub. Was sollte denn auch passieren? Lisa war doch vollständig beringt. Einen großen Schwimmring um die Hüfte und jeweils einen Flügel um jeden Arm. Da konnte man die Aufsicht getrost einem Vierzehnjährigen überlassen. Sie hatte doch gar keine Chance unterzugehen, auch wenn ich sie noch so ignorierte und stattdessen lieber die Kokosnüsse auf den Palmen zählte.
Schon wieder Palmen? Jetzt war Schluss! Ich brauchte unbedingt eine Abkühlung, von den Knien aufwärts bis zur äußersten Haarspitze. Lisa hatte sich inzwischen etwas weiter hineingewagt, doch der Schwimmreifen schwebte immer noch über dem Wasser. „Vielleicht solltest du langsam in die Hocke gehen“ und zur Landung ansetzten, aber dazu fehlte ihr wahrscheinlich wieder der Mut. Es war Zeit, ihr welchen zu machen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich ging ihr entgegen und ließ mich in die nächste Welle fallen, direkt vor Lisa hin. Sie schrie dabei auf, hatte wahrscheinlich nicht so schnell mit einer Dusche gerechnet. Ihr Schwimmreifen war auf den Geschmack gekommen. Für ihn gab es jetzt nur noch eins. „Ab, hinein!“ Für Lisa nicht. Sie hielt ihn immer noch davon ab.
Meine Eltern waren sich inzwischen erneut einig geworden und nun vollständig von der Bildfläche verschwunden. Egal, jetzt war erstmal meine Abkühlung dran und so schwamm ich hinaus, immer weiter von Lisa weg. Allein würde sie im Moment sowieso keinen weiteren Schritt ins Wasser wagen und so machte ich eine ausführliche erzieherische Pause. Nachdem auch die letzte Haarspitze eine Abkühlung erfahren hatte, drehte ich mich mit einem Ruck zum Ufer um und der Anblick ließ nur noch ein kurzes „Na, prima!“ zu. Nicht nur der Strandkorb meiner Eltern war immer noch leer, nein, auch der Schwimmring von Lisa drehte einsam seine Kreise auf dem Wasser und sie war weit und breit nirgendswo zu sehen.
Nun hieß es Ruhe bewahren. Wie ein Wahnsinniger schwamm ich auf den Schwimmring zu und durchwühlte jede einzelne Welle. Das konnte doch nicht wirklich geschehen sein? Sie war doch nicht in diesem flachen Wasser untergegangen? Nur eine Minute hatte ich Lisa aus den Augen gelassen und jetzt das. Wie konnte ich nur so dumm sein und sie im Wasser allein lassen? Da war ich doch kein Stückchen besser als meine Eltern. Die werden mich sowieso in der Luft zerfetzen und mir nie verzeihen, dass ich Lisa allein gelassen hatte. Nie! Auch ich nicht.
Ich weiß nicht, wie lange ich erfolglos das Wasser durchkämmte, aber irgendwann hörte ich meine Eltern meinen Namen rufen. „Tom! Tom! Komm mal wieder aus dem Wasser raus und bring den Schwimmring von Lisa mit.“ Wie verdutzt musste ich wohl ausgesehen haben, als ich meine Suche aufgab und einen Blick zum Ufer riskierte. Dort standen, friedlich nebeneinander, meine Eltern mit Lisa, jeder mit einem Eis bestückt. Was mich da für ein Glücksgefühl überkam, lässt sich kaum beschreiben. Wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben das Meer gesehen hatte, sprang ich zwischen den Wellen hin und her und stieß die peinlichsten Jubelschreie aus.
Nachdem ich mich mit meiner Freude wieder auf das Niveau eines Vierzehnjährigen gebracht hatte, verließ ich das Wasser. Tropfnass, mit dem Schwimmring in der Hand, stand ich vor meinen Eltern. Meine Mutter schaute mich etwas verdutzt an und drückte mir zwei Euro in die Hand. „Alles klar Tom? Wenn du magst, hol dir doch auch ein Eis, da hinten unter den Palmen.“ Schon wieder Palmen? Wie ich auf einen zweiten Blick aber erkannte, waren diese zum Glück aus Plastik. Vater nutzte den Moment, die Aufmerksamkeit, die auf mich gerichtet war und riskierte auch noch einen Blick. Scheinbar arbeitete er gerade an seiner zweiten Liste. Glaubte er wirklich, dass diese Frau „Moby Dick“ gelesen hatte?

Palmen wiegen leicht im Wind
Nur nicht, wenn sie aus Plastik sind

Letzte Aktualisierung: 18.01.2011 - 14.52 Uhr
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