Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Jubilum | Februar 2011
Liebe hier Versammelte
von Anne Zeisig

„Der Anzug kleidet Sie ausgezeichnet.”
Klaus besah sich im Spiegel. „Mit der Klamotte könnte ich mich glatt bei ‘ner Bank vorstellen.”
„Das Outfit soll für ein Vorstellungsgespräch sein?”
Er schüttelte den Kopf.
„Hab ‘n halbet Leben am Hochofen Stahl gekocht. Dat war Knochenmaloche. Doch mit die Kollegen, da war dat echt töffte. Abba der deutsche Stahl wurde zu teuer für dat, wat se internationalen Wettbewerb nennen. Später wollten die ’nen Bürofutzi aus mir machen. Nich mit mirWäre ungefähr so, als wenn ‘n Fisch im Wüstensand überleben soll.” Er zerrte am Krawattenknoten. „Ich bin am Ersticken.”
Die botoxgeglättete Verkäuferin zog ihre Permanent-Augenbrauen hoch. „Der Anzug ist von Logiani Luccerini. Cool-Wool. Eintausend Euro. Mit Weste. Ein Schnäppchen aus unserem Outlet.”
Klaus band sich unbeholfen die Krawatte ab und zog das Sakko aus. „Outlet? Dann is die Klamotte also out. Für sowat soll ich eintausend Tacken berappen?” Er ließ einen Pfiff so laut durch seine vordere Zahnlücke sausen, dass die Stoppeln seines Drei-Tage-Bartes vibrierten. „Dat is mir zuviel Schotter.”
Er öffnete den Hosengürtel.
„Sie können sich doch hier nicht umziehen!” Die Verkaufsberaterin wandte sich ab und zeigte auf den Umkleidebereich.
Klaus grinste, ging in die Kabine und begrub seinen Vorsatz, im edlen Zwirn zum 10jährigen Jubiläum zu erscheinen.
„Muss ich ma bei Rita gucken, ob die wat hat, damit ich mich schick in Schale schmeißen kann.”
Einladungskarten und belegte Brötchen waren teuer genug gewesen.
Er gähnte und blickte beim Verlassen des Herrenausstatters auf die Kirchturmuhr. „Elf!” Normalerweise wälzte er sich erst gegen Eins aus dem Bett, wenn sein Magen knurrte.
. . .

Rita, die ehrenamtliche Mittfünfzigerin aus der Kleiderkammer stöberte im Fundus: „Klaus, Klaus, wenn das mit dem 10jährigen mal keine Schnapsidee ist.” Sie hielt ihm ein dunkelblaues Sakko vor den wohlgerundeten Bauch. „Dazu ‘ne Jeans, ein weißes Shirt und du bist korrekt und gepflegt gekleidet. Damit könntest du sogar ins Theater gehen.”
Er verzog sein Stoppelgesicht. „Kultur? Ne danke. Damit kannze mich nich hinterm Ofen hervorlocken. Mit ‘nem Schnäpsken abba immer.”
Sie faltete das Jackett, legte es in eine Plastiktüte und gab sie ihm. „Und du bist dir sicher, dass du keine Genehmigung für die Räumlichkeit benötigst?”
„Ach, geh mich wech mit dat ganze Papierkramzeugs. Dat Forum is groß genuch. So ‘n friedlichet Jubiläum is keine Demo.” Klaus gab ihr die Hand. „Du kommst auch wirklich?”
Rita lächelte. „Aber nur, wenn du dich rasierst.”
Verlegen wischte er sich über die Stoppeln und nuschelte. „Jau. Mach ich.” Klaus nestelte an der Einkaufstüte herum.
„Hast du noch was vergessen?”
„Nö. Äh. Is ja nur.” Er zog ein zerknülltes Blatt aus seiner Hosentasche. „Du hass versprochen, dass ich dir meine Rede vorlesen darf. Wegen dat Korrekte womöglich.”
Rita rief ihre Kollegin und bat Klaus ins Büro.
„Dann leg los.”
Er stellte sich hinter den Schreibtisch. „Ich tu ma so, als wenn dat hier son Rednerpult is wie im Bundestach.”
Rita setzte sich auf einen Drehstuhl und nickte ihm aufmunternd zu.
Er räusperte sich und hustete. „Mit 62 haste nich mehr sonne klare Stimme wie mit 32.”
„Einfach nur ein paar Glimmstängel weniger. Nun fang endlich an.”
Klaus benetzte seine Fingerspitzen mit etwas Speichel, fuhr sich durch das
wirre Haar und begann.

„Liebe hier Versammelte zu meinem Anlass, was ja quasi mein 10jähriges Jubiläum ist, denn ein anderes kann ich nich feiern leider, weil der Hochofen platt gemacht wurde. Da standen wir danach alle aufe Straße. Und deshalb steh ich nun hier und nich wie früher anner Glut.
Freunde sehe ich, Gewerkschaftsgenossen und auch kleine und höhere Tiere, wo ich mich für dat Kommen derselbigen bedanke im Anbetracht der Tatsache, dass dat hier ja freiwillig is.”

Er rieb sich sein Kinn und blickte zu Rita. Sie flüsterte. „Genug eingeleitet. Nun musst du konkret werden.”
„Konkret? Hab ich ‘n Fehler drin?”
Sie schüttelte den Kopf. „Komm endlich zur Sache.”

„Wo war ich? Ach ja. Freiwillig is. Und nu is et anne Zeit, dass ich auf euch drauf
mich auch entschuldige, weil ich so manchet mal behindert war, verhindert, meine ich, wenn im Winter ein Einsatz an mich gegangen is, den ich abba nich wollte und konnte, weil ich krank war.”

Klaus hob seine Schultern an, atmete tief ein, senkte sie, und atmete hörbar aus.
„Wat soll man machen, wenn die Wirbel im Buckel Tango tanzen, obwohle Nichttänzer biss. Oder dat Knirschen inne Knie lauter is als der Tinitus. Abba ‘n Lau-Malocher und Drückeberger war ich nie, dat versichere ich auf euch drauf bei meiner Arbeiterseele.”

Er schaute zu Rita und wischte sich mit dem Handrücken Schweißperlen von der Stirn. Sie nickte ihm abermals zu.
„Auch isset anne Zeit, Tacheles zu reden hier. Die Liste mit die Einträge, wo et jedes mal rund fünf Tacken für gab, die hab ich ab und zu manipopuliert,
weil se mir doch den Strom abgestellt haben. Irgendwie muss unsereiner ja über die Runden kommen. Dat hab ich nich oft gemacht. Nur, wenn et notwendig war im Winter für ‘ne warme Dusche wegen meine Knochen.”

Rita kniff ihre Augen zusammen: „Du hast diese Liste gefälscht?”
„NeeeManimonopoliert hab ich die. Einfach wat eintragen. Wat Ausgedachtet.”
„Und keiner hat das bemerkt oder kontrolliert?”
Klaus zuckte abermals mit den Schultern.
„Was hast du denn zum Beispiel eingetragen?”
„An Gela Merk EL AG, Berlin.”
Rita bekam einen Lachanfall. Sie setzte ihre Brille ab und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Jezz lachste mich aus.”
Sie stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Das mit den falschen Adressen auf der Liste lass lieber weg. Zum Schluss wünschst du allen guten Appetit und einen netten Abend. Das reicht.”
Sie setzte ihre Brille auf. „Dir scheint dieses Jubiläum sehr wichtig zu sein.”
. . .

Klaus und Rita stehen vor der Bundesagentur für Arbeit.
„Rita. Ich hab nich dran gedacht, dat die hier um fünf die Rollos dichtmachen.”
„Tja. Klaus. Ich fürchte, das ist dumm gelaufen.”
„Nun steh ich hier wie ‘n Bekloppter mit dreißig Brötchen und kein Schwein lässt sich blicken. Wo ich für Einladungskarten und dat Porto so viel Zaster hingeblättert habe.”
„Ich habe eine Idee, wie es für dich doch noch so eine Art Jubiläum wird.”
Während Klaus das Tablett mit den Brötchen auf seinen Unterarmen vor sich her balanciert, hakt Rita sich bei ihm unter.

Beide betreten die Suppenküche im Begegnungszentrum. Rita nimmt ihm das Tablett ab und stellt es auf den Tresen. An diesem eisigen Abend ist der Speiseraum gut besucht. Sie spricht leise ein paar Worte mit der Verantwortlichen. Beide Frauen nicken sich zu.
Rita zieht ihren Mantel aus und stellt sich vor die Essensausgabe. „Entschuldigung, dass wir hier so herein platzen. Aber Klaus möchte heute ein Jubiläum feiern. Und alleine macht das nur halb so viel Spaß.”
Einige essen teilnahmslos weiter, andere heben interessiert ihre Köpfe.
„Tja. Ich heiße Klaus und eigentlich hab ich mir mit ‘ner Rede viel Mühe gegeben. Abba”, er blickt in die Runde, „bevor der Schinken und die Gürkskes und all dat Gedöhne anfängt zu schimmeln, da sach ich ma so auf euch drauf. Knorke, dat ich den Abend mit euch verbringen tu und nun lasst et euch schmecken.” Er reibt sich die Hände. „Und schön warm isset hier ja auch.”
Klaus deckt die Alufolie ab und beißt herzhaft in ein Brötchen.
Die Gäste der Suppenküche kommen nach und nach zum Tresen, langen zu und bedanken sich. Manche geben Klaus die Hand und murmeln: „Glückwunsch.”
Rita zieht Klaus beiseite. „Du hast ihnen nicht gesagt, was für ein Jubiläum du feierst.”
Klaus steigt etwas Röte ins rasierte Gesicht. „Wenn ich et mir so recht überlege, Rita, dann war dat wirklich ‘ne Schnapsidee.” Er wischt sich eine Träne von der Wange. „Nur Bekloppte wie ich feiern zehn Jahre Arbeitslosigkeit, weil et da doch eigentlich nix zu feiern gibt.”
„Aber das mit der manipulierten Bewerbungsliste, Klaus, das fand ich köstlich.”
„Fünf Euro Fuffzig pro Eintrag, Rita, dat hat sich gelohnt für ‘n paar Kilowattstunden warmet Duschwasser. Wo dat Arbeitsamt sowieso keine Firma mit richtige Maloche für mich hatte.” Klaus setzt sich aufstöhnend auf einen Stuhl und blickt um sich. „Unsereiner hat ja wenigstens noch ‘n Dach überm Kopp. Wenn da nur nich die morschen Knochen wären.”



© Anne Zeisig

Letzte Aktualisierung: 14.02.2011 - 21.48 Uhr
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