Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Am 10. Januar habe ich ein rundes JubilĂ€um gefeiert. Meine Frau natĂŒrlich auch.
Hochzeitstag.
Meiner Frau geht es gegenwÀrtig sehr gut.
Wir haben an dem Tag die Kinder mitgenommen und waren gemeinsam essen.
Ich habe meiner Frau ein Collier geschenkt. Kam gut an. Hatte ja auch mein Sohn ausgesucht. Der Kleine hat einen guten Geschmack, obwohl er erst acht Jahre alt ist.
Ich hab eigentlich ne Menge Zeit, jetzt, wo ich nur diesen Minijob habe, aber eigentlich auch wieder nicht.
Jeden Mittag hole ich die Kinder ab, erst meinen Sohn aus der Schule und danach meine kleine Tochter, die noch in den Kindergarten geht.
Nachmittags kĂŒmmere ich mich um Stefans Hausaufgaben, sorge dafĂŒr, daĂ Julia und er ihren Kakao und ihre PlĂ€tzchen bekommen und gehe mit ihnen ins Schwimmbad oder ab und an ins Kino.
Wie gut, daĂ mich die Begeisterung fĂŒr Zeichentrickfilme nie verlassen hat.
Wenn meine Frau nach Hause kommt, sind die beiden schon bettreif, und das ist auch gut so, denn sie ist von ihrer TĂ€tigkeit in der Anwaltskanzlei abends immer ziemlich geschlaucht.
Und am Wochenende muĂ sie sich erholen, in die Sauna gehen, ihre Freundinnen treffen, ihre Akten aufarbeiten und so weiter.
Und ich passe auf die Kinder auf.
FrĂŒher bin ich noch mittwochs zum Taekwondo gegangen, aber seitdem sie ausgerechnet an diesem Abend eine Fortbildung macht, habe ich den Sport aufgegeben. Bringt mich eh nur auf dumme Gedanken. Bin dann einfach zu energiegeladen und werde unruhig irgendwie.
Letztens war ich mit einer ehemaligen Arbeitskollegin einen Kaffee trinken, hatte sie ganz zufĂ€llig beim Einkaufen getroffen, das war ganz nett, sie ist sehr schön und intelligent und wĂ€re als Geliebte ideal, weil ungeheuer diskret â aber das ist nichts fĂŒr mich. Flirten ja, aber Fremdgehen lieber eher nicht.
Ich brÀuchte halt auch einen Tag in der Woche, der nur mir gehört, an dem ich mich bewegen kann, wie ich will.
An dem ich wie frĂŒher sein kann, als ich allein war und doch nicht allein.
Wenn ich einen VorstoĂ in diese Richtung unternehme, mich beispielsweise, um einen Anfang zu machen, am Freitagabend mal wieder mit meinen frĂŒheren Kumpels treffen will, hat meine Frau wie zufĂ€llig ausgerechnet fĂŒr diesen Abend ein paar gute Freunde eingeladen. Ihre guten Freunde, wohlgemerkt, denn meine sind nicht unbedingt willkommen.
Sie lĂ€Ăt mich keinen Schritt allein gehen, aber ich gehe jeden ihrer Schritte mit ihr.
Das war mal anders, frĂŒher, in den ersten Jahren unserer Ehe. Neben meinem Job filmte ich hĂ€ufig am Wochenende Hochzeiten aus allen Kulturen. Das war abwechslungsreich und brachte zusĂ€tzliches Geld in die Haushaltskasse. Ich erlebte die verschiedensten Gastgeber, geizige und freigebige, sowie wohlwollende und verkniffene Familienangehörige, ich sah dĂŒnne und dicke, schöne und hĂ€Ăliche BrĂ€ute, angenehme und unangenehme zukĂŒnftige EhemĂ€nner, und â ach! die wunderhĂŒbschen Brautjungfern, kichernd, aufgeregt, glĂŒhend vor Sehnsucht... Manch eine Hochzeit endete noch vor dem Hinscheiden der Nacht in TrĂ€nen und Wehklagen. Oft kam Streit auf, fĂŒr mich aber nie Langeweile, und obwohl mich diese Wochenenden ziemlich schafften, war ich innerlich wie bunt bebildert von meinem prallvollen Leben.
Meine Frau guckte schnippisch, wenn ich mal wieder von Samstag auf Sonntag weggewesen war. Nach einem sehr spĂ€ten SonntagsfrĂŒhstĂŒck zur Mittagszeit machten die Kinder und ich uns oft auf zu einem Ausflug mit dem Fahrrad oder wir besuchten die beiden Omas. Meine Frau ging selten mit. Sie behauptete, sie habe Kopfschmerzen.
TatsÀchlich hatte sie dann wochenlang MigrÀne.
Nun hat sie keine mehr, und es ist lange her, daà ich ein Wochenende lang aushÀusig war.
Dabei war ihre Eifersucht immer völlig unbegrĂŒndet. SchlieĂlich liebe ich meine Frau. Auch wenn sie ist, wie sie ist.
Aber das scheint sie nicht zu glauben.
Nun habe ich seit einigen Wochen eine Freundin. Eine Emailfreundin. Nie gesehen die Frau, und was sie mir von sich erzĂ€hlt hat â ich weiĂ nicht, ob sie mein Typ wĂ€re. Aber darauf kommt es nicht an. In den Mails an sie kann ich gefahrlos und ohne um die Konsequenzen zu bangen schreiben, was mir gerade durch den Kopf geht, kann ihr mein Leid klagen und auch die schönen Momente ausbreiten, ohne mir ĂŒberlegen zu mĂŒssen, ob mir ihre Reaktion wohl gefallen wird. Und ich kann mit ihr flirten und ihr tausend virtuelle KĂŒĂchen geben, und sie spielt das Spiel mit und wir haben SpaĂ.
Meine Frau weiĂ nichts davon. Und das wird so bleiben. Hoffe ich.
Das Abendessen an unserem Hochzeitstag war sehr schön. Meine Frau strahlte, und ein prĂ€chtiger StrauĂ roter Rosen sorgte fĂŒr berauschenden Duft. Und die Kinder waren richtig brav, und ich war wie gelĂ€hmt.
GezÀhmt, betÀubt, erstickt.
Wieviele Leben hat man eigentlich?
Letzte Aktualisierung: 20.02.2011 - 20.29 Uhr Dieser Text enthält 4764 Zeichen.