Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Jubiläum | Februar 2011
Engelstrompeten
von Barbara Hennermann

Durch die weit geöffneten Terrassentüren flutete mit dem lauen Abendwind der zitronig – seifige Duft der Engelstrompeten ins Wohnzimmer. Ein großer Kübel zierte die Terrasse und die Pflanze stand jetzt im September in voller Blüte. Elsi liebte diesen Geruch, der sie an frisch gewaschene Wäsche und Sauberkeit erinnerte. Während sie sorgfältig das Damasttischtuch glatt strich und das gute Geschirr darauf anordnete, wanderten ihr Gedanken zurück in die Vergangenheit.

Ihre Mutter war schon über vierzig gewesen, hatte den Gedanken an ein Kind längst aufgegeben, als Elsi sich anmeldete. Kein Wunder also, dass sie von Anfang an der Augenstern ihrer Eltern war und auch der einzige blieb. Elsi sah keinen Anlass, daran etwas zu ändern und wohnte, auch als sie selbst schon fast vierzig war, immer noch im Elternhaus. Männerbekanntschaften hatte sie wohl einige, sogar ernsthafte waren darunter, doch letztendlich scheiterten alle an Elsis starker Bindung an ihre Eltern. Ihre Arbeit als Managerin in der Kantine einer großen Firma machte ihr Spaß, ihre Freizeit war ausgefüllt mit eigenen Interessen und Gesellschaft hatte sie in ihren Eltern und nach dem Tod des Vaters in ihrer Mutter, wann immer sie wollte. Was hätte ihr ein Mann mehr zu bieten gehabt?
An jenem Abend, der ihr Leben schicksalhaft verändern sollte, zwängte sich Elsi nach einem anstrengenden Arbeitstag schlecht gelaunt in den völlig überfüllten Aufzug. Sie hasste solche Menschenansammlungen, die unvermeidbare Berührung mit wildfremden Menschen!
Die Stimme war sanft und direkt hinter ihr. „Sie haben so einen wunderbar frischen Duft. Parfüm oder Natur?“ Elsi drehte sich unwillig um. Der Mann war etwas größer als sie, sicher auch zehn Jahre älter, aber auf den zweiten Blick nicht unsympathisch. Elsis Laune besserte sich schlagartig. Sie lächelte ihn an. „Natur. Warum?“ Als der Aufzug hielt, stieg er mit ihr aus. „Machen wir noch ein paar Schritte gemeinsam?“ Sie erfuhr, dass er Erich Gerber hieß, in der Buchhaltung arbeitete und, trotz seiner fünfzig Jahre, noch unverheiratet war. „Ich habe meine Mutter bis zu ihrem Tod im letzten Jahr versorgt, wissen Sie. Wir hatten ein so gutes Verhältnis, wir beide. Da wäre eine Ehefrau nur störend gewesen.“ Er lächelte sie ein wenig beschämt an. Elsi verstand ihn auf Anhieb.
In den nächsten Wochen trafen sie sich jeden Abend nach Arbeitsschluss, bald nahm Elsi ihn mit nach Hause und stellte ihn ihrer Mutter vor. Auch zu ihr fand Erich sofort ein gutes Verhältnis.
„Elsi, Kind, du solltest mit diesem Mann eine ernsthafte Verbindung eingehen. Wer weiß, wie lange ich noch bei dir bin und dann stehst du ganz alleine in der Welt.“
Es hätte der Worte der Mutter nicht bedurft, denn Erich und Elsi hatten bereits beschlossen, den Bund der Ehe einzugehen.
Es war keine große Hochzeit, beide Brautleute hatten über die nächsten Verwandten hinaus wenig weitere Kontakte gepflegt.
„Liebes, wir werden erst einmal hier bei Mutti wohnen bleiben, damit sie jetzt im Alter die notwendige Pflege und Versorgung bekommt.“ Genauso hatte sie es sich auch gedacht!


Elsi seufzte tief auf, als sie in die Küche eilte und den Rostbraten vorsichtig mit Rotwein ablöschte. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass sie mit dem Essen gut in der Zeit lag. Das Kartoffelgratin musste nur noch etwas Farbe bekommen, die grünen Böhnchen würden in Kürze weich sein.
Ihr Blick wanderte über den Tisch. Ja, alles sah festlich und gepflegt aus, wie es sich für so einen Ehrentag gehörte! Auch die Sektkelche standen bereit.
Wieder schweiften ihre Gedanken um Jahre zurück.

Erich kümmerte sich rührend um ihre Mutter. Manchmal fragte sich Elsi sogar schon, ob er nicht lieber sie geheiratet hätte, schimpfte sich deshalb aber sofort selbst aus. Besser hätte sie es doch gar nicht treffen können, als die beiden Menschen, die ihr am meisten bedeuteten, so in Einigkeit um sich zu sehen! Da wäre es überaus kleinlich von ihr gewesen, hätte sie ihm das angekreidet!

Der Duft des Bratens mischte sich mit dem der Engelstrompeten. Ein Gemisch von Genuss und Sauberkeit, wie sie ihn zu lieben gelernt hatte.
Dass die Pflanzen hoch giftig waren, hatte sie anfangs gar nicht gewusst. Erst Berichte in der Presse über Jugendliche, die sie als Rauschmittel benutzten und sogar daran starben, hatten sie darauf aufmerksam gemacht. Aber sie hatten weder Kinder noch Haustiere, die hätten Schaden nehmen können.
Die Soße schmeckte köstlich, fein abgeschmeckt und sämig. Erich würde stolz auf sie sein können!
Sie feierte diesen Jahrestag immer so aufwändig, zum zehnten Mal jetzt schon. Nun ja, gerade Traditionen waren es doch, die dem Alter Struktur und Leben gaben, nicht wahr?

Der Tod der Mutter war für beide ein schwerer Schlag. Elsi hatte sogar den Eindruck, dass er Erich noch härter traf als sie selbst. Er begann, sich zu verändern, sprach kaum noch mit ihr und hatte ständig etwas zu kritisieren. Anfangs hielt Elsi das für seine Art zu trauern. Doch die Monate gingen ins Land und es wurde nicht besser.
Mit fünfundsechzig ging er in Rente. Da begann der Horror erst richtig. Der Fernseher lief den ganzen Tag, tagelang saß er im Schlafanzug am Sofa, ließ sich gehen. Dabei maulte er herum, machte alles schlecht, was sie tat und war mit nichts zufrieden zu stellen.
Elsi litt. Sie verlor die Lebenslust, bekam Bluthochdruck und Rückenschmerzen. In den Nächten lag sie wach im Bett – längst schon alleine, denn er hatte sein Bett im Wohnzimmer aufgeschlagen – und grübelte darüber nach, was sie falsch gemacht hatte.
„Frau Gerber, das haben wir öfter bei Männern, die aus dem Beruf ausscheiden.“ Ihr Hausarzt sah sie beschwörend an. „Das ist eine typische Altersdepression. Lassen Sie Ihrem Mann Zeit, er muss sich erst in diesen neuen Lebensabschnitt einfinden!“ Der ärztliche Blick wurde mitfühlend. „Und lassen Sie sich da nicht mit hineinziehen! Suchen Sie sich Abwechslung, machen Sie etwas Schönes, denken Sie auch mal an sich!“
Der Mann hatte leicht reden. Seine Ehe war geschieden und er lebte lustig und in Freuden nach eigenen Prämissen.
Was war sie doch blöd gewesen, sich voller Hoffnung auf ein Eheleben einzulassen! Blöd und blind. Wie nett hätte sie ihr Leben gestalten können, wäre sie allein geblieben! Jetzt war es zu spät. Sie war fast sechzig und da lässt man sich nicht mehr scheiden …


Das Fleisch war nun sicher genügend durchgezogen, trocken sollte es nicht werden! Das Gratin leuchtete goldgelb verlockend. Die Böhnchen – vorsichtig biss sie in eines hinein – ja, die Böhnchen waren so knackig, wie sie sein sollten! Elsi zog die Kittelschürze aus, schlüpfte in die neue pinkfarbene Bluse und den schicken engen Rock, der ihre noch immer schlanke Figur so gut betonte. Es wurde Zeit zu feiern!

Die Engelstrompeten waren Erichs ganzer Stolz. Genau genommen waren sie das Einzige, was ihn überhaupt noch am Leben zu interessieren schien. Überall standen Töpfe mit Ablegern, er züchtete weiße, rote, gelbliche, rot-weiße, rosafarbene - ihr Duft erschlug inzwischen jeden anderen.
Der Gedanke wuchs in Elsis schlaflosen Nächten.
Die Umsetzung war einfach. Es war genügend Material vorhanden. Und es war geschmacklos. Erich schlang ohnehin alles in sich hinein, was sie ihm vorsetzte, wenn er nur erst genügend daran herum gemäkelt hatte …
Seine zunehmende Kurzatmigkeit schien als Folge des anwachsenden Körpergewichts verbunden mit mangelnder Bewegung normal. Das sah jedenfalls der Hausarzt so. Auch die sich stetig steigernde Reizbarkeit fiel niemandem auf, er durfte ja ohnehin schon seit langem nur mit Samthandschuhen angefasst werden. Als sich ständige Übelkeit, Erbrechen und schließlich hässliche Hautrötungen einstellten, riet der Hausarzt an Erichs Krankenbett zu einer Überweisung ins Hospital. Doch Elsi hatte ihren Mann richtig eingeschätzt - er weigerte sich. „Die dumme Nuss da hat doch den ganzen Tag nichts zu tun, die soll mich nur mal pflegen!“ krakelte er.
Das Bedauern des Hausarztes war echt und mitfühlend. „Frau Gerber, das wird nicht leicht werden für Sie.“ Elsi lächelte tapfer. „Ach, Herr Doktor, das schaffe ich schon. Schließlich ist er mein Mann, es ist meine Pflicht, für ihn zu sorgen. Hauptsache, er wird wieder gesund, nicht wahr?“


19 Uhr 38. Es war so weit!
Elsi füllte die Sektkelche. Sie nahm einen in die linke und einen in die rechte Hand. Lustig perlten die Schaumbläschen, als die Gläser klingend zusammen stießen. „Prost, Erich! Vor zehn Jahren um genau diese Zeit hast du deinen letzten Schnaufer getan. Es war nicht ganz einfach, dich dazu zu bringen. Aber immerhin hast du dann doch eingesehen, dass es so besser für uns ist.“ Sie nahm einen tiefen Schluck. „Nun ja, zumindest für mich …“
Energisch schloss sie die Terrassentüren. Es wäre doch eine Sünde gewesen, ihr köstliches Jubiläumsmahl dem aufdringlichen Geruch der Engelstrompeten noch länger auszusetzen!

Letzte Aktualisierung: 18.02.2011 - 09.28 Uhr
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