Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Tempus Voyage 2011. Da stand sie. Meine Erfindung. Eine unscheinbare Maschine, die Großes bewirken wird. Eine Revolution! Welche Möglichkeiten würden sich ergeben? Viele wissenschaftliche oder historische Fragen könnten beantwortet werden, ohne lange zu forschen. Es wäre nicht ausgeschlossen, direkt an den Geschehnissen der Weltgeschichte teilzuhaben. Diese Errungenschaft zum Wohle der Menschheit einzusetzen.
»Mister Adams, eine Anzahl von Transistoren sind ausgefallen. Wir müssen den Versuch heute abbrechen!«
Daniels Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Sollten wir?«
»Ja, Sir! Es ist zu gefährlich. Mein Programm hat eine Reihe von Fehlerquellen ausfindig gemacht.«
»Welche Transistoren arbeiten nicht korrekt?«, wollte ich von meinem Assistenten wissen.
Daniel schaute besorgt in seinen Computer und tippte eifrig auf die Tastatur.
»Einen Moment noch, dann habe ich die Ergebnisse ...« Er starrte gebannt auf den Monitor.
»Ist es der Schwachpunkt der Maschine, den wir seit langem kennen?«, fragte ich.
»Nein, Sir ...«
»Spann‘ mich nicht auf die Folter! Ich brauche Resultate. Jetzt!«
»Ein elektronisches Bauelement zum Schalten und Verstärken von elektrischen Signalen ist ausgefallen«, antwortete Daniel, ohne seinen Blick vom Display abzuwenden.
»Welche noch?«
»Eine Schaltung im System ...«
»Genauer!«
»Ein integrierter Schaltkreis funktioniert nicht!« Der Assistent rollte auf seinem Bürostuhl zu einem weiteren Computer.
»Der Zeitpunkt lässt sich nicht fixieren!«
Ich blätterte in meinen Unterlagen. Was war schiefgelaufen? Meine Berechnungen hatte ich zigfach überprüft. Ich lief im Labor auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Auf einmal blieb ich abrupt stehen. Machte auf dem Absatz kehrt und hastete in riesigen Schritten zum Universalrechner. Ich gab eine Reihe von Daten ein.
»Ich hab‘s!«
»Sir?«
»Komm‘ mit zur Maschine!«, befahl ich.
Daniel folgte mir mit einem nachdenklichen Gesicht. Ich nahm einen Schraubendreher zur Hand und öffnete eine Platine.
»Wir müssen einen Mikroprozessor ersetzen«, bemerkte ich. Vorsichtig löste ich den Prozessor und hielt ihn meinen Assistenten vor die Nase.
»Dieser kleine Störenfried hat die Stromzufuhr für den Bipolartransistor unterbrochen.«
»Sie sind ein Genie! Darauf wäre ich nicht im Geringsten gekommen!«
Ich verschloss die Leiterplatte, während er zum Universalrechner spurtete und das Fehlerdiagnoseprogramm nochmals startete. Eine Anzahl von Zahlen, Buchstaben und Zeichen liefen wie bei einem Nachspann eines Spielfilmes auf dem Monitor ab.
»Mister Adams, wir haben es geschafft. Die Eingabemaske für ‚Expedition‘ blinkt auf. Die Koordinaten können erfasst werden.«
»Okay, der letzte Versuch war ausgesprochen kurz. Ich möchte heute einen größeren Sprung wagen. Ich denke an das Jahr 1886 ...«
Daniel sah mich mit offenem Mund an.
»Worauf wartest du? Gib die Daten ein!«
»Sir, bei allem Respekt, ist das nicht zu gewagt? Eine derart lange Reise verbraucht eine Menge Energie. Mir ist nicht klar, ob das Stromaggregat eine ausreichende Versorgung generiert, um Sie auf jeden Fall zurückzubringen. Warum 1886?«
»Ich möchte meinem großen Idol begegnen. Ein Pionier seiner Zeit ...«
»Sie meinen doch nicht etwa ...«
»In der Tat ein tollkühnes Experiment. Dessen ungeachtet bin ich entschlossen. 29. Januar 1886. Wie war das Wetter an jenem Tag? Benötige ich meine dicke Daunenjacke?«
»Sie wollen 125 Jahre in die Vergangenheit reisen und machen sich Sorgen um die Witterung?«, fragte Daniel kopfschüttelnd.
»Ja, du hast recht. Einen Schal sollte ich auf jeden Fall auch mitnehmen!«, antwortete ich schmunzelnd und ging zur Tempus Voyage 2011. Ich setzte mich hinein und prüfte nochmals die Details.
»Alle Funktionen sind in Ordnung. Du kannst die Kabine verschließen und den Start am Universalrechner veranlassen.«
»Was soll ich Ihrer Frau erzählen? Sie wird nach Ihnen fragen.« Daniel hielt den Griff des Kabinendeckels in der Hand und zögerte, diesen zuzusperren.
»Sag ihr, dass ich mich auf einer Geschäftsreise befinde und rechtzeitig zum Jubiläum zurückkehre!«
»Wie bitte?«
»Zu unserem Hochzeitstag werde ich ihr etwas Besonderes mitbringen!«
»Das glaube ich nicht. Sie wollen einen Zwischenstopp einlegen? Das ist viel zu gefährlich!«
»Schließe jetzt die Kabine und starte die Maschine!«
Daniel verschloss sie, wie befohlen und ging zum Rechner. Er zögerte. Blickte sich noch einmal um. Ich nickte ihm lächelnd zu. Dann drückte er die Entertaste.
***
»Wo ist mein Gatte?«
Daniel erschrak. Wie aus heiterem Himmel stand Mrs. Adams hinter ihm.
»Ihr, Ihr Ehemann ... ist auf Geschäftsreise«, stammelte er ohne den Blick vom Monitor abzuwenden. Er wartete auf ein Signal. Ein Zeichen der Rückkehr. Wo war er? Irgendwo im Universum? Gefangen in einem Zeitabschnitt? Wie sollte er es ihr erklären?
»Wann kommt mein Mann nach Hause? Hat er eine Nachricht für mich hinterlassen?«
»Er wollte zu Ihrem Jubiläum zurück sein«, antwortete Daniel.
»Oh, wie schön, er hat daran gedacht!«
Sie schien sich zu freuen. Er fühlte sich elendig schlecht und hätte ihr am liebsten alles erzählt. In diesem Moment schlug der Computer Alarm. Auf dem Display tauchte eine Meldung auf: Bitte bestätigen: Ankunft 14. Februar 2011 15.00 Uhr. Daniel traute seinen Augen nicht. Das Experiment war scheinbar gelungen. Nervös betätigte er die Eingabetaste.
Mit einem lauten Krach erschien wie aus dem Nichts die Tempus Voyage im Labor. Ätzender Dampf stieg aus allen Poren der Maschine. Mrs. Adams fuhr zusammen, während Daniel einen Freudenschrei der Erleichterung ausstieß. Mit einem Feuerlöscher bewaffnet lief er zur Kapsel. Er sprühte hektisch gegen die äußere Metallverkleidung. Mrs. Adams wiederum stand wie angewurzelt da und beobachtete, wie der Assistent versuchte, das glühende Metall abzukühlen.
***
Der Kabinendeckel öffnete sich und ich kletterte umständlich heraus. Mein Mitarbeiter und meine Frau musterten mich vom Kopf bis zu den Zehen, ohne einen Mucks von sich zu geben.
»Hat es euch die Sprache verschlagen? Ein wenig Freude hatte ich erwartet. Es ist alles zu meiner Zufriedenheit verlaufen.«
Ich stolperte. Daniel erwachte aus seiner Lethargie und fing mich auf.
»Sir, Sie sehen ... ähm, mitgenommen aus«, sagte er.
Mir war speiübel. Lag vermutlich an der Zeitdilatation. Die Relativgeschwindigkeit der Uhr war extrem hoch eingestellt.
»Eine anstrengende Reise, unabhängig davon ein großer Erfolg für die Wissenschaft. Im Übrigen, einen schönen Gruß von ‚Carl Benz‘. Ich war anwesend, als er seinen dreirädrigen Motorwagen patentieren ließ.«
»Der Beginn des Automobils ... Wahnsinn, Sir.«
Glücklich ging ich zu meiner Gattin und umarmte sie.
»Liebes, alles Gute zum Hochzeitstag. Es sind deine Lieblingsrosen, ‚Liebeszauber‘, die Ersten aus der Züchtung des Jahres 2001.« Ich überreichte meiner Frau einen Strauß der blutroten Edelrose, die einen lieblichen Duft verbreitete.
Letzte Aktualisierung: 22.02.2011 - 21.08 Uhr Dieser Text enthält 6987 Zeichen.