Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Jubiläum | Februar 2011
Klassentreffen
von Gary Kilian

»Hallo, Du musst Leo sein«, begrüßte mich ein mir unbekannter, etwa 50 Jahren alt aussehender Mann. Das meiste seines schütteren Haars war grau und kurz geschnitten, der beige-grüne, dünne Pullover hing ihm locker über den Bauch und die Jeans. »Schön, dass du auch kommen konntest.«
»Ja, klar«, sagte ich, »Ehrensache.« Sollte ich ihn doch gekannt haben, hatte ich das Gesicht, und den Namen dazu vergessen. »Dein Gedächtnis ist besser als mein´s.« Ich versuchte mich heranzutasten.
»Ich bin Ronald. Ich habe dir die Einladung geschickt.«
»Ronald Anderwald«, sagte ich vorsichtig. Sein Namen stand auf der Mail, ansonsten hätte ich ihn nicht gewusst. »Ich habe dich tatsächlich nicht erkannt. Aber warte. Ja tatsächlich. Ronald. Langsam kommt die Erinnerung.« Und tatsächlich hatte ich eine Illusion von Wiedererkennen. Gesichtszüge fügten sich zu einem vergessenen Bild. »Du also hast dieses hier organisiert.« Andererseits konnte ich mich auch täuschen.
»Nach einem viertel Jahrhundert, dachte ich, wäre es schon Mal an der Zeit zurückzuschauen.« Es klang etwas zu sehr auswendig gelernt, als dass ich ihm zuhören wollte. Dabei schaute er leicht in die Runde der anderen mir Unbekannten, um anzudeuten, dass nicht Wenige seinem Gedanken und seiner Einladung gefolgt waren.
»Wie hast du bloß alle erreicht?«.
»Internet«, sagte er, »Stayfriends, Facebook und so. Zu einigen hatte ich noch Kontakt, die wieder zu anderen. Es war nicht schwer. Nur du warst nicht leicht zu finden, Leo.« Es klang wie ein Vorwurf, und darauf hatte ich keine Lust. Ich hatte versucht wenig Spuren im Netz zu hinterlassen.
»Ich werde dann mal die anderen begrüßen« Ich wusste eigentlich nicht, warum ich gekommen war. Das letzte Vierteljahrhundert hatte ich diese Menschen nicht gesehen und die Zeit war nicht so schlecht gewesen, als dass ich mich nach ihnen gesehnt hätte. Es hatte mich überrascht, dass Ronald mich gefunden hatte, vielleicht war ich daher neugierig geworden.
Ich machte die Runde durch den Stehempfang mit Sekt und Orangensaft. Auf der Suche nach einem bekannten Gesicht, begrüßte ich mir freundlich zulächelnde Menschen, konnte aber niemanden beim Namen nennen. Eine Frau, sie war in den Vierzigern, wie, mich eingeschlossen, alle hier – außer Ronald, der sah älter aus – rief spontan, »Hallo Leo! Mann, du siehst ja richtig gut aus.« Ich überlegte kurz, ob ich zu Zeiten, als sie mich zu kennen glaubte, nicht so gut ausgesehen hatte und musste die Frage bejahen, wollte aber nicht weiter darüber nachdenken. Zu diesem Treffen hatte ich, anders als die meisten Männer hier, auf Freizeitkleidung verzichte. Lediglich die Krawatte hatte ich weggelassen. Vielleicht viel ich daher ein wenig auf.
Ich griff die Hand, die sie mir reichte, und betrachtete sie zwei Sekunde lang, bevor ich etwas sagte. Sie war groß schlank mit dunklem, gut frisiertem Haar. »Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.« Ich lächelte, während ich versuchte, ihren Namen zu erinnern. »Auch du siehst umwerfend aus.« Das Kompliment fiel mir nicht schwer. Sie hieß Waltraud, ein schrecklicher Name, wie ich meinte, wurde aber Walle genannt, was nicht besser war. Einige Erinnerungssplitter kamen hervor und ich wusste noch nicht, wie sie zusammenpassten. Schon wollte ich mich zu ihr stellen und eines der Gläser Sekt trinken, die gefüllt auf dem Stehtisch aufgereiht waren, als ich hinter mir deutlich eine Stimme erkannte. Ein Lachen, das durchdringend und unverwechselbar klang. Es gehörte dem Sportsbesten und Mädchenaufreißer der Klasse, die sich hier traf. Ich drehte mich zu dem Lachen, das lediglich schnarrender geworden war, um und erkannte in dem Gesicht vor mir Gunnar. Wir hatten uns nie gemocht. Ich war nicht besonders sportlich gewesen und er machte mit allen, die es nicht waren und es sich gefallen ließen, seine Späße. Mit einem Erstaunen in der Stimme sagte er: »Ha, Leo, du auch hier. Wie geht’s denn so?« und wiederholte sein Lachen.
»Gunnar, altes Haus!«
Vom Tisch, an dem Walle noch stand, hatte ich mir eines der Gläser gegriffen, stürzte den Inhalt in mich hinein und wartete darauf, dass die Wirkung einsetzte. Wir tauschten in Kürze die wichtigsten Fakten aus, so den Familienstand die Anzahl der Kinder und natürlich die Art, wie wir genügend Geld für den jeweiligen Lebensstandard machten. Ich war einigermaßen froh, zu erfahren, dass er es zu nichts besonderem gebracht hatte, trotz seines immer währenden vorlauten und selbstbewussten Auftretens. Er drängte mich durch den Raum zu einem anderen Tisch an dem wiederum Unbekannte standen, die ich unbedingt begrüßen sollte. Der eine war dick mit einer grobrandigen Brille, der andere im Begriff ihm im Körperumfang nachzufolgen. Beide versuchten, durch über die Hosen getragene, gebügelte Hemden locker modern zu erscheinen und ihren Umfang zu kaschieren, sahen aber aus, als hätten sie versäumt, sich vollständig anzuziehen. Anders als Gunnar, der hatte ein verwaschenes T-Shirt mit einem nicht mehr leserlichen Aufdruck übergeworfen.
Da ich keinen von ihnen erkannte, stellte Gunnar sie mir vor: Michael und Mike oder anders. Ich habe mir die Namen nicht gemerkt. Gunnar sagte bald, er wolle mal kurz nach draußen eine Zigarette rauchen. Ich tauschte also mit Michael und Mike oder so die üblichen Daten aus, bevor uns der Gesprächstoff ausging. Mein Blick ging zurück zu Waltraud. Ich hoffte, mich mit ihr über Interessanteres unterhalten und dadurch dem Abend eine freudvollere Wendung geben zu können. Sie stand nun mit einer konservativ wirkenden Frau zusammen, deren matronenhafter Körper in einem grobwolligen Kostüm steckte, aus dem eine Rüschenbluse hervorquoll. Besonders auffallend war aber, dass sie einen Hund dabei hatte, der an einer Leine unter dem Tisch schnüffelte. Der Hund war klein und sah freundlich aus. Also ging ich zu den Damen hinüber.
Sie hieß Dea und war lustig, schien mich zu kennen, tat vertraut und machte Scherze über mich, von einer Art, die uns drei lachen ließ. Wir tranken ein paar Gläser Sekt und nahmen, nachdem das Buffet geöffnet hatte, ausreichend davon, während der Hund die Leine um das einzige Tischbein wickelte und daran zog, bis der Tisch wackelte. Wir mussten die Gläser festhalten und Dea entwirrte ihren Hund, der Kōno hieß. Das sei ein japanischer Name, erklärte sie mir und notierte ihn auf eine Serviette, damit ich die eigenwillige Schreibweise sehen konnte.
»Er ist sicher eine Kreuzung, wie so viele, die aus dem Ausland mitgebracht werden?«, In Hundefragen war ich unwissend, traf sicher auch nicht den richtigen Ausdruck. Den Hund aber fand ich drollig. Er hatte einen schwarzen Strich über der weißen Nase und ein abgeknicktes Ohr.
»Wo denkst du hin. Kōno ist ein reinrassiger Okinawa-Jagdhund. Er ist stärker als er aussieht.« Dea war stolz auf ihren Hund.
»Das glaube ich», sagte ich, war aber skeptisch.
»Sie züchtet diese Hunderasse«, sagte Waltraud, als Kōno sich wieder einmal verwickelt hatte und Dea sich unter dem Tisch darum kümmerte. »Aber sie verkaufen sich nicht gut, weil sie keiner kennt. Dabei vertragen sie sich mit Kindern so gut wie mit anderen Hunden.« Die Rasse wurde mir sympathisch, auch wenn ich selbst nicht über diese Eigenschaften verfügte.
Waltraud und Dea erinnerten sich, dass Gunnar mich einmal bei der Lehrerin verpfiffen hatte, weil ich ihr Schlüsselbund ins Klo geworfen hatte. Mir war die Geschichte entfallen und vielleicht stimmte sie auch nicht. Auch Anderen konnte die Erinnerung Streiche spielen. Aber wir lachten sehr darüber.
Alle Männer, die ich im Raum sehen konnte, waren längst zu Bier übergegangen. Nur die Frauen tranken Wein, Sekt, Saft, und ein paar Teebecher waren zu sehen. Die Stimmung wurde lebhaft, besonders an dem Tisch, an dem Gunnar, Michael und Mike, und nun auch Ronald abwechselnd standen, wenn sie nicht gerade draußen waren und rauchten, war es besonders laut. Immer wieder hörte ich dieses Lachen.
»Mich wundert«, gestand Walle Dea und mir, »dass Ronald und Gunnar sich so gut verstehen. Der Gunnar hat dem Ronald die Frau ausgespannt. Das war Jahre später, daher wisst ihr es nicht. Wir sind nie aus dieser Gegend weggezogen und hören Manches voneinander. Der Ronald war damals sehr wütend und trank viel. Sie haben sich nie versöhnt, so weit ich weiß.«
»Ja,« sagte ich, »komisch.« Mit dieser neuen Information konnte ich das Verhalten der beiden neu interpretieren. Sie sahen nun weniger entspannt aus und das Lachen klang nicht mehr so freundlich. Sie tranken schnell und ständig ging einer, um weiteres Bier zu holen. Auf dem Tisch sammelten sich Flaschen. Häufiger gingen sie abwechselnd hinaus, kamen wieder herein. Aber sie gingen nie gemeinsam rauchen. Ihre Rede wurde lauter, bis sie weit zu hören war.
Dann fielen Flaschen und zerschellten laut. Alle schauten hinüber zu Ronald und Gunnar, die sich beschimpften, sich in T-Shirt und Pulli krallten und gegen den Tisch stießen, dass weitere Flaschen fielen. Kōno, der sich unbemerkt erneut um das Tischbein gewickelt hatte, erschrak und anstatt bei Dea Schutz zu suchen, sprang er los und riss nun seinerseits unseren Tisch um. Ich konnte gerade noch mein Glas und ein Häppchen greifen. Dea und Walle hatten weniger Glück. Sie standen in Fallrichtung des Tisches und wurden unter Sekt, Krabbenschnittchen, allerlei Salaten und leider auch dem Tisch begraben.
In der Zeit, in der ich mich um die Befreiung meiner Tischpartnerinnen bemühte, ich war froh, dass mein Anzug unbeschadet geblieben war, entwickelte sich ein Handgemenge zwischen Gunnar, Ronald, den beiden Dicken und anderen, die helfen oder schlichten wollten. Auch Kōno sprang, den Tisch hinter sich herziehend, bellend auf die Duellanten zu. Er war tatsächlich stärker als ich geglaubt hatte.
Ich sagte, nachdem ich beiden Frauen aufgeholfen hatte und die gröbsten Verunreinigungen von ihnen entfernen konnte. »Nun Mädels, ich denke, wir sollten woanders hingehen.«
Alles in Allem hatte es sich doch gelohnt, zu kommen, dachte ich.

Letzte Aktualisierung: 12.02.2011 - 21.30 Uhr
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