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Jubiläum | Februar 2011

Juliana Walthers / Karateporno-Produzentin
von Jochen Ruscheweyh

„Klaus? Essen!“
Klaus Siebert schlurfte zum Tisch.
„Rosen?“, schniefte er und wischte sich die Nase am Ärmel seiner Trainingsjacke ab. „Is´ heute was Besonderes?“
Regine schien einen Moment zu zögern, dann trat ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Nein. Mir war heute einfach nach Blumen.“
Klaus zog eine Augenbraue hoch, setzte sich, öffnete seine Bierflasche und schaute zum Fernseher.
„Ich denk´, du kannst die Sendung nich´ ausstehen?“
„Kann ich auch nicht!“, antwortete Regine.
„Und warum stell´se dann an?“
„Soll ich sie wieder ausmachen?“
„Nee.“

„Willkommen zurück! Für alle, die gerade erst zu uns gezappt haben: Heute steht der Mann, der sich selbst als größtes Lästermaul der deutschen TV-Landschaft bezeichnet, zum 250sten Mal in diesem Format vor der Kamera. Höchste Zeit für einen Überraschungsgast! Aber mehr dazu später. Hier kommt erstmal der Mann, der den Talk nach eigenen Angaben lebt, atmet und ... pieeeep. Hier kommt Jürgen „Bernie“ Bertram!“

„Was sind das denn für Kerne auf dem Salat?“
„Pinienkerne.“
„Schmecken irgendwie nach Tanne. Die kannste selber essen. Ich will noch ´n Kotelett.“

„Du siehst gut aus, Bernie, Urlaub oder Maske?“
... Hahahaaa ...
„Danke, Horst, dir auch, wie geht´s deiner Vorhautverengung?“
... Hahahaaa ...
„250 Mal Bernie, 250 Mal kompromissloser Talk, aber heute bringen wir dich an deine Grenzen.“
„Only the sky is the limit, Horst!“
„Oh, but beware of pitfalls, Bernie, hier kommt Juliana Walthers!“


Klaus schob Regine seinen Teller hin. „Soll ich das so essen? Komm, hier, kleinschneiden!“ Er starrte weiter auf den Fernseher, während Regine das Kotelett in mundgerechte Happen teilte.

„Eine Frage vorweg, Sternchen, warum tragen Sie einen Ganzkörper-Lappen, der nur einen Sehschlitz für Ihre Augen freihält? Haben Sie zu kleine Titten oder ist das irgendeine religiöse Ausrichtung?“
... Hahahaaa ...
„Weder noch, Bernie, es hat etwas mit meinem Beruf und meiner Lebenseinstellung zu tun.“
„Und was ist Ihre Berufung?“
„Ich bin Produzentin. Ich produziere Karatepornos.“
... Hahahaaa ...
„Karatepornos? How the fuck soll das funktionieren?“
„Setzen Sie einfach mal Ihre Phantasie ein, Bernie, oder ist das etwa nicht Ihre starke Seite?“
„Ich glaube nicht, dass mich mein 19jähriges Bunnycat, das sich gerade in meiner Garderobe warm schnurrt, für phantasielos hält, Juli-Baby!“
... Hahahaaa ...


Klaus gabelte sich ein Stück Kotelett in den Mund und kaute einen Moment, ehe er mit einem Schluck Bier nachspülte. Er legte sich die Hand auf den Bauch und stieß laut auf. Ein Stück Kotelettpanade flog über den Tisch und landete neben Regines Wasserglas.
„Die Alte hat deine Figur, Regine, und genau dein Tittenproblem!“
Regine lächelte und aß ihren Salat weiter.

„O.k., ich versuch´ jetzt mal, mich an dein Set zu versetzen. Normalerweise gibt´s da einen Kameramann, einen Kabelträger, aber wie hab´ ich mir deine Truppe vorzustellen? So, wie wenn man Alice Schwarzer bei einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte das Kommando über die GSG 9 überträgt?“
... Hahahaaa ...
„Naja, ich würde es als ein Kollektiv von Frauen bezeichnen, unter denen Sie mit Ihrem Bluthochdruck und Ihrer Wirbelsäulen-Fehlstellung keine zehn Minuten überleben würden, Bernie!“
... Hahahaaa ...
„Autsch, das tat weh! Ja, Bernie, da hat dich Juliana aber kalt erwischt.“
„Warum machst du nicht einfach das, was du am Besten kannst, Horst?
Deine Fresse halten!“
... Hahahaaa ...


Klaus nahm ein Stück Kotelett und hielt es unter den Tisch.
„Guter Hund, bis´ meine Beste.“ Dann wandte er sich wieder Regine zu. „Warste heute mit Alina draußen?“
„Sicher, wie jeden Tag.“
„Was soll ´n das heißen? Überfordert dich das etwa, neben dei´m kleinen Arschwackel-Tippsenjob und ´n bisschen Staubsaugen mal ´ne Stunde mit ´nem Schäferhund Gassi zu gehen?“
„Nein, natürlich nicht!“
„Dann is´ ja gut.“
„Ja.“

„Ich muss mich noch mal einmischen, Juliana. Ich glaube, weder Bernie noch ich verstehen, wie ein Karateporno technisch funktionieren soll. Ich meine, Pornofilme und Nacktheit? O.k., untrennbar! Andererseits Karate: Eine dynamische Sportart. Das impliziert für mich Bewegung, Sprünge, Drehungen. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber männliche primäre, bei Frauen auch sekundäre Geschlechtsmerkmale stehen nun mal meist ab und weisen zwangsläufig, proportional im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Größe, die Tendenz zum Schwingen, Wackeln, Schlackern oder - wie auch immer - auf ...
... Hahahaaa ...


„Primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale? Was soll ´n das sein?“, fragte Klaus in Richtung Fernsehgerät.
„Brust, Vagina, Penis“, sagte Regine und brach ein Stück von dem dunklen Stangenbrot aus dem Baguetteschiff ab.
„Das is´ bestimmt wieder so ´ne Kreuzworträtselfrage, wenn Homo-Horst und du das wissen. Kehr, ey, eure Zeit möchte ich haben!“

„Der Impetus der Geschlechtsteile ist in der Tat ein interessanter Aspekt, aber leider Dienstgeheimnis, Horst. Wie die Formel 7 X von Coca Cola. Sie verraten mir ja auch nicht, wie es Ihnen gelingt, Ihr Toupet so aussehen zu lassen, als hätten Sie Gel im Haar.“
„Tja, Horst, das ist das, was ich dir seit 250 Sendungen zu erklären versuche. Aber jetzt keep it mal real, Juli! Karateporno! Warum müsst ihr beknackten Emanzen immer alles ummodeln, was Kerlen Spaß macht? Bruce Lee war doch ´n straight geiler Typ!“
„Seine Filme strotzen nur so vor phallischer Symbolik, Bernie! Oder assoziieren Sie bei ,Der Mann mit der Todeskralle’ etwa Weiblichkeit?“
„Juli-Cherie, nur für dich führe ich jetzt diesen Kelch mit Tonicwater an meinen Mund und ich glaube, draußen scheint sogar der Mond. Ist das genug weibliche Symbolik für dich?“
... Hahahaaa ...
„Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, Horst: Im antiken China und Japan gab es Gruppen von Frauen, die vermummt durch das Land zogen und für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen kämpften. Sie spürten männliche Unterdrücker auf und was sie dann taten, ist der Vorläufer von Karateporno. Die Historie wird in ,Die 18 Kämpferinnen aus Brokat’ an oder ,Dein letzter Hochzeitstag, Sessel-Samurai!’ richtig deutlich. Ich arbeite übrigens gerade an einem zweiten Teil.“


„Das ist doch alles gequirlter Kot. Die Alte is´ bestimmt total frigide. Regine?“

„Hey, so long, Drachenlady, aber mal ernsthaft: Welcher männliche Darsteller stellt sich denn für so einen B-Streifen freiwillig zur Verfügung?“
... Hahahaaa ...
„Lassen Sie es mich so ausdrücken, Bernie: Wir brauchen keine Darsteller im herkömmlichen Sinne, weil wir sehr nah an der Realität arbeiten.“


Klaus wandte sich um. Regine stand im Türrahmen und schnitt mit einer Schere ein Rechteck in eine schwarze Schürze.
„Biste jetzt total bescheuert? Haste zuviel Haushaltsgeld, oder was?“
Wortlos hielt sich Regine das Tuch so vor ihr Gesicht, dass nur noch ihre Augen zu sehen waren.
„Du bist es!“
„Was?“, fragte Klaus.
„Du bist Juliana Walthers!“
„Was für ´n Schwachsinn!“
„Sie rollt das „R“ genau wie du, und sie kratzt sich andauernd zwischen den Beinen.“
„Und wann, bitte schön, soll ich Karatepornos machen? Falls du´s verdrängt hast: Ich bin Berufskraftfahrer.“
Regine schüttelte den Kopf. „Du fährst morgens auf einem LKW weg und kommst abends auf einem wieder. Was beweist das schon? Außerdem, ich habe den Sessel-Samurai-Film gesehen!“
„Na herzlichen Glückwunsch!“
„Nein, nein, es ist ein fabelhafter Film, vielleicht sogar dein bester. Das muss schlimm für dich gewesen sein, diese Doppelidentität.“
„Häh?“
„Hier zu Hause das Gegenteil von dem sein zu müssen, was du in deinen Filmen verkörperst!“
Klaus kratzte sich am Kopf, ging zum Tisch und nahm einen großen Schluck Bier. Regine folgte ihm. „Dass du mich heute hinter deine Maske hast blicken lassen, war so süß von dir. An unserem Hochzeitstag.“
„Hochzeitstag“, sagte Klaus. „Ja.“
„Und jetzt, wo ich dein Geheimnis kenne, macht mich das irgendwie so ... verstehst du?“ Regine zwinkerte Klaus zu.
„Du meins´ ...?“
„Ich hab dich viel zu lange vernachlässigt, Klaus. Komm, sag´ mir, was würde dich anmachen, jetzt in diesem Moment?“
„Keine Ahnung, das is´ jetzt ein bisschen überraschend ... fang´ mal irgendwie an.“

„Nagetiere sind eine immer stärker werdende Bedrohung für Ihr Wohneigentum. Unser bewährter Fallrohrschutz NageRex hilft Ihnen, mögliche Auf- und Abstiegswege für die pelzigen Schädlinge unbenutzbar zu machen.“

„Oh, das ist gut, verdammt gut!“
Klaus ließ seinen Kopf in den Nacken fallen, dann warf er ihn von links nach rechts.
„Nein, ... du bist gut, Klaus, ich hab´ dich nur ... die ganze Zeit ... für jemanden gehalten, der du gar nicht bist ... wie hast du das mit deiner Stimme gemacht?“
„Wie?“
„Du klingst ... so hoch im Fernsehen.“
„Ach das ... Training ... mach mal noch etwas weiter unten! He, was is´ ´n das da oben in der Ecke?“
„Oh, das ist ... unsere neue Wärmebildkamera, du weißt schon, umweltbewusster ... Haushalt, wir werten sie später ... aus und sparen einen Haufen Geld.“
„Aber die hat sich grad bewegt!“
„Sicher, da ist ein Sensor ... drin und wir verbrennen ja auch ... grade jede Menge Energie.“
„O.k., mach weiter.“
Alina richtete die Ohren auf und schlich aus ihrer Ecke zum Fenster.
„Oh, verdammt, Klaus, das ist einfach ...“

Bedenken Sie, Marder, Gleithörnchen, Trugratten und Co. gehen dabei sehr raffiniert vor. Sie ...

Eine Fensterscheibe zerbarst und streute Splitter, groß wie zerstoßenes Eis, in das Wohnzimmer. Alina sprang hoch und bellte.
„Dieses beschissene ... fette Blag ... von Webers!“, stieß Klaus hervor, als er über Regines Schulter hinweg den Ninja-Stern auf dem Boden entdeckte.
„Ich mach´ ... das hier ... eben noch ... fertig und dann ... kaufen wir uns ... die kleine Sau, Alina!“
Die Schäferhündin hörte auf zu bellen, legte den Kopf schräg und starrte auf die Fensterbank, als dort ein Wurfanker mit einem leisen „Klack“ landete.

Willkommen zurück, für alle die gerade erst zu uns gezappt haben, wir schalten jetzt live ans Set von Julianas neuem ...“


Eine der schwarz vermummten Gestalten riss den Netzstecker aus der Dose. Dann verstummte der Fernseher.

Letzte Aktualisierung: 25.02.2011 - 19.27 Uhr
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