Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
7:00 Uhr zeigt mein PC an. Eine Stunde Zeit, bevor meine beiden Mitarbeiter kommen. Zeit für mich.
„Gell, Marlon?“
Zu doof, dass der Arzt noch nicht erreichbar ist. Die könnten mit ihrer Sprechstunde wahrhaftig früher anfangen.
Mail von Charly? Mein Nachbar fragt an, ob ich ihm beim Renovieren helfen kann. Oder ob ich krank bin. Er sieht mich kaum noch. Krank!
Hey Charly, du weißt doch, ich bin unkaputtbar. Hab halt z.Zt. viel um die Ohren. Aber klar helfe ich. Sag einfach, wann ich bei dir sein soll und dann schau mer mal. Tom
„Hast bestimmt eine Gastritis, Marlon. Ich ruf den Doc gleich nachher an.“
Telefon bei mir? Ich bin doch offiziell noch gar nicht da.
„Moin, Vater. – Ja, ich schau mir deine Heizung später an. 13:45 Uhr. - Früher geht es nicht. Ich kann ansonsten eben nur abends. Heut aber nicht. Da hab ich BI. - Du willst doch auch nicht, dass sie die Autobahn bei uns vorbeiführen, oder …?“
Aufgelegt. Mal wieder typisch. Der könnte sich wahrhaftig einen Fachmann leisten. - Wer hätte das gedacht, dass der mich mal um etwas bittet!
Wann ist die Sitzung überhaupt? Ah ja, 19:30 Uhr. Als Sprecher der BI muss ich pünktlich sein. Stadtrat war …? Morgen, okay. Und übermorgen Vorstandssitzung bei den Freien Wählern.
Der Tennisclub. Ob ich für den Vorsitz kandidiere? Das kann ich wohl kaum ausschlagen.
Noch kein Signal, dass ich den Auftrag für den Bau der Jugendherberge bekomme. Den will ich haben. Unbedingt. Irgendwie krieg ich den schon noch unter. Und das Hotel in Bergzabern? Auch noch nichts Neues.
Aber von Uta. Wann wir uns wieder sehen können? Damit sie planen kann.
„Am liebsten auf der Stelle, Marlon, gell?“
Wenn ich diese Frau nicht hätte. Die gebe ich nie wieder her. Bei ihr kann ich mich wenigstens ab und zu erholen, wenn auch nur immer kurz. Aber ich habe keinen Plan, wie ich sie zeitlich unterbringen soll den Monat. Nur gut, dass sie mich nie drängelt. Sie weiß, dass ich viel arbeite. Mittlerweile habe ich sie überzeugt, dass sie sich deswegen keine Sorgen um mich machen muss.
„Die Frau, die immer so toll riecht, Marlon. - Mensch, Kerle. Du gefällst mir echt nicht.“
Liebes, ich melde mich so schnell ich kann. Mit Kuscheltermin dann. Versprochen. Dicker Kuss, Tom
Laufkumpel Helge. Ob wir diese Woche dreimal trainieren können.
Geht momentan nicht, sorry. Bis übermorgen. Tom
Die 10 km beim Volkslauf übernächsten Sonntag schaffe ich locker ohne Zusatztraining in 37:00. Immerhin bin ich der Beste unserer Ü50- Truppe. Auch auf dem Fahrrad kann mich keiner von denen schlagen.
Philipp, mein Patenkind. Ob ich ihm bei Mathe helfen kann. In vierzehn Tagen schreiben sie eine Kursarbeit. Und meine Schwester kann sich keinen Nachhilfelehrer leisten.
„Warst du das, der da grad geseufzt hat, Marlon?“
Klar, mach ich Sportsfreund. Wär dir Samstag recht? So gegen elf? Wenn ich für Tante Paula und uns eingekauft habe?
„Ach, Marlon. Ausgerechnet jetzt bist du mir krank. Du magst nicht zufällig doch wieder fressen, hmm? Bist schon ganz abgemagert. Wann kann ich mit dir überhaupt zum Arzt? Lass mal sehen.“
14:00 Uhr Landrat. Mist. Ich dachte, das ist morgen.
Und Madame liegt sicher nachher wieder auf der Couch, wenn ich aus dem Büro komme, und schaut sich irgendeine Soap an. Klar, dass so was nur bei entsprechendem Schampuspegel erträglich ist. Muss ich mir mein weißes Hemd eben schnell selbst bügeln. Das heißt, ich muss heute früher in die Mittagspause. Sonst langt mir das nicht mit dem Einkaufen. Oder es gibt heute Spaghetti Bolognese à la Tom. Soll sie doch mosern. Ist ja eh ihr Hobby.
„Kannst du mir mal sagen, wie ich an dein Frauchen geraten bin, Marlon? Hab’s echt vergessen.“
Weil sie mich abgewiesen hatte. Und ich sie dann unbedingt erobern wollte. Um ihr zu beweisen, dass ich doch gut genug für sie war. Aber wieso habe ich ihr überhaupt nachgestellt?
Verdammt, ich habe alles getan, dass sie sich wohl fühlt, Kontakt zu den Dorfbewohnern findet. „Bei uns in Hamburg …“ Ich kann das nicht mehr hören. Nur mit dem Riesling hier hat sie sich angefreundet. Den säuft sie mir regelmäßig weg.
„Tät sie zu gern gegen Uta tauschen, Marlon.“
Von Uta darf sie aber nie erfahren. Und trennen geht ja leider nicht. Schließlich habe ich ihrem Vater versprochen, dass ich für seine Tochter sorge. Und die würde dann dafür sorgen, dass ich im Dorf ruiniert wäre. Finanziell auch.
Geschätzte zwanzig Mails noch.
Jetzt brühe ich mir erst mal gemütlich eine Kanne starken Kaffee auf. Per Hand. Mit einer Prise Salz und mit Kakao.
„Und dann ruf ich für dich beim Arzt an, Marlon. Notfalls spreche ich denen auf den AB. Sollen sie eben zurückrufen.“
Handy. Wer ist denn das schon wieder?
„Ja klar, Herr Scholz. Ich wollte Ihnen gerade zusagen. Und dass ich dann das Jugendturnier organisiere, ist ja wohl Ehrensache. – Vorbeikommen? - Jetzt gleich? - Aber nur kurz. Um viertel neun habe ich einen Termin.“
„Marlon, bin gleich wieder da.“
Wenn nur der beschissene Schmerz im Arm nicht wäre. Und wieso ist dieses Hemd eigentlich so eng?
Letzte Aktualisierung: 26.03.2011 - 18.18 Uhr Dieser Text enthält 5243 Zeichen.