Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Süchtig nach ... | März 2011
Gejagter Jäger
von Eva Fischer

Was glotzt ihr mich so an?
Ich weiß, dass ich schön bin.
Kein Gramm Fett polstert meinen Bauch, beschwert meine Muskeln.
Mein Gang ist leichtfüßig und grazil.
Auf euren Köpfen wachsen lächerliche Haarbüschel, während mein Fell schwarz glänzt.
Ihr seid stolz auf euren Verstand, weil er euch die Macht gibt, mich einzusperren.
Ihr habt Angst vor mir, denn meine Kraft ist eurer weit überlegen.
Ich bin schneller als ihr, springe weiter, packe millimetergenau zu.
Ich will eure Almosen nicht. Nehmt sie wieder mit! Ich werde sie nicht anrühren.
Nichts Lebloses kann meinen Geschmack finden, bin kein Aasfresser so wie ihr.
Euer Gestank nach getrocknetem Angstschweiß und verkrusteter Arroganz erzeugt in mir einen Würgereiz.

Haut endlich ab oder lasst mich frei!

Ihr meint, ich kann mich nicht erinnern. Ihr irrt.
Nie werde ich den Duft nach Erde und Gras vergessen, nach dampfenden Tierkörpern, nach frischem Blut, nie den Kampf um Leben und Tod!
Nie die Endlosigkeit bis zum Horizont, nie die Sonne, die meinen Pelz wärmte, nie die Nacht unter unzähligen Sternen, nie die Freiheit.
Ihr kennt nur das Wort als leere Hülse.
Freiheit ist für euch schon, wenn ihr zwischen zwei Essen wählen könnt, zwischen zwei Kleidungsstücken, zwischen zwei Wegen, die doch beide in die Sackgasse der Unfreiheit führen.
Euer Leben läuft wie ein Uhrwerk ab: Essen, Arbeit, ein bisschen Liebe, in die Röhre glotzen, das war’s. Euer Radius ist beschränkt, auch wenn ihr euch in einen Flieger setzt, um der Enge des Alltags zu entkommen.
Ja, schaut mir in die Augen, wenn ihr könnt. Nehmt meinen Geruch von Leben in eure dunklen Schlafstätten. In euren Träumen werde ich euch dennoch jagen. Da gibt es für euch kein Entrinnen.

Lasst mich endlich allein!

Heute Nacht werde ich mir mit meinen Krallen einen Ausweg aus meinem Gefängnis kratzen, bis meine Sohlen blutig sind.
Ihr könnt mich nicht domestizieren. Gebt endlich auf!


Unruhig tigerte er in seinem Zimmer auf und ab. Der Rilke-Panther ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Raum verengte sich zu einem Käfig. Tausend Stäbe umtanzten ihn im Dreivierteltakt.
Er ließ die Tür ins Schloss fallen. Seine Schritte hallten auf dem Asphalt der Großstadt wider. Gierig sogen seine Lungen die kalte Abendluft ein. Die Neonlampen flimmerten in den Schaufenstern. Der Himmel hatte sich zugezogen, kein Sternenstrahl konnte ihn durchdringen.

Er musste eine Entscheidung treffen!

Mit dreißig hatte er alles erreicht. Einen gut bezahlten Job, ein schickes Appartement im Nobelviertel der Stadt, Freunde, mit denen er abends in die Kneipe ging, eine Freundin mit einem makellosen Körper passend zu seinem eigenen.
Ahnte jemand, dass ihm das alles nicht genug war, ihn langweilte?
Immer häufiger verließ er nach einem Glas Bier die Kneipe, zog es ihn rastlos in die leeren Straßen , schob er Arbeit vor, wenn seine Freundin sich mit ihm verabreden wollte.
Laufen, laufen, nur nicht denken. Das funktionierte auf die Dauer nicht. Er konnte die Bestie nicht aus seinen Träumen verjagen, nicht nachts, nicht tags. Er strich ihr liebkosend über das Fell. Ihre smaragdgrünen Augen schillerten wie Sterne am Horizont. Er brauchte ihre Wärme, um nicht vor Kälte zu sterben. Ihr Herzschlag war sein eigener.
Nein, er wollte nicht länger wegrennen, sondern sich stellen, mutig sein wie das Tier, das nicht aufhörte, ihn zu jagen.

Er würde endlich die Entscheidung treffen!

Jetzt war er bereit, den Sprung ins Ungewisse zu wagen.
Morgen würde er seinem Chef und seinem Hauswirt kündigen, seine Möbel und seine Anzüge verkaufen, seiner Freundin und seiner Familie mitteilen, dass seine Sehnsucht nach Freiheit größer war als jede Bindung und Sicherheit. Alles, was er von nun an brauchte, passte in einen Rucksack.

Endlich wieder eintauchen in diese fremde Welt ohne räumliche Begrenzung. Nie gesehene Tiere in bunten Farben, selbst in der Phantasie kaum vorstellbar. Schwerelos bis auf den Grund gleiten, nur abhängig von dem bisschen Sauerstoff zum Leben.
Jeder Tag ein Abenteuer, keine Konserve, fade, geschmacklos, keine künstlichen Bilder auf eine Leinwand geworfen. Keine phantastischen Geschichten in ein Buch gepresst, statt sie zu leben.
Der Stille begegnen, Schweigen ertragen, spüren, dass nur so die verborgenen Worte im Kopf hörbar werden. Selbstverständliches verlieren, eine neue Dimension entdecken.
Dem Rhythmus der Natur folgen, die Fesseln der Zivilisation auflösen wie ein morsch gewordenes Stück Holz unter Wasser.
*

Es hatte ganz harmlos begonnen. Ein Taucherurlaub in einem Club für zunächst drei Wochen im Mittelmeer. Dann lockte der Pazifik. Er brauchte eine höhere Dosis in immer kürzeren Abständen. Drei Monate hatte ihm zuletzt sein Arbeitgeber zugestanden, nicht länger. Kaum war er zurück, packte ihn erneut die Unruhe.

*

Junge Touristen lassen sich von ihm in die Kunst des Tauchens einführen. Er braucht nicht viel zum Leben auf dieser einsamen Insel mitten im Pazifik. Es gibt hier keine Supermärkte, die Bedürfnisse wecken. Die Wärme verlangt nicht nach Kleidung. Ein Handtuch genügt. Es trocknet in Windeseile. Er fragt nicht, was morgen ist.
Von Zeit zu Zeit spricht er mit seinen Eltern über Internet. Sie sehen ihn auf ihrem Computerschirm zu Hause vor einer Strohhütte, stellen ihm Fragen über seine Zukunft.
Er lächelt sie an.
Seine Mutter findet nachts keinen Schlaf mehr. Was ist schief gelaufen? Welchen Zeitpunkt hat sie verpasst? Er war doch so ein guter, vielversprechender Junge! Der einzige!

Die Unruhe ist von ihm gewichen.

Jetzt.

Letzte Aktualisierung: 10.03.2011 - 00.02 Uhr
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