Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Süchtig nach ... | März 2011
Emanzipiert
von Glädja Skriva

Mist – das Blut quoll unter meinem Daumennagel hervor. Ich jaulte auf und rief mit kippender Stimme hysterisch: „Pflaster, Pflaster, schnell, schnell, ich verblute!“ Keine trippelnden Schritte, keine schwungvoll zugeschlagene Tür des Apothekerschrankes, ich hatte es vergessen, vergessen wollen, dass ich seit drei Tagen auf mich alleine gestellt war, in einer superneuen, klinisch von allem Partnerdreck sauber gehaltenen Wohnung, und alleine zu handeln hatte, es lernen musste. Ich jaulte wieder auf, klemmte mir den Daumen zwischen die Knie, hüpfte im Zimmer herum, weil der Finger schmerzte und überhaupt, und beschloss dann, zwischen Sprühverband und am Boden verstreuten Dübeln, dass mich keine vermaledeite Welt unterkriegen würde. Ich würde jetzt und hier, genau an diesem Tag, zu dieser denkwürdigen Stunde, endgültig unabhängig werden. Und niemand würde mich mehr zurückhalten können. Ich versprach es mir, hoch und heilig. Mit dünner, aber fester Stimme, wickelte ich mit zusammengebissenen Zähnen ein kariertes Herrentaschentuch in Übergröße um meine beinahe amputierte Hand, klemmte heldenhaft einen Kuli zwischen Mittel- und Zeigefinger und fertigte mir eine Liste an:

Ich kann alles! Auch das, was Männer können!!!!!!!!!!!!

1. Ich kann Bilder und Lampen aufhängen!

2. Ich kann Reifen wechseln!

3. Ich kann grillen!

4. Ich kann Abflüsse frei machen!

5. Ich kann Möbel durch Fenster wuchten

6. Ich kann Bierflaschen auch ohne Flaschenöffner öffnen!!

7. Ich kann mich streiten?!

Und schließlich mutiger:

8. Ich kann Spinnen und Insekten töten?!

Und noch mutiger:

9. Ich kann Motorrad fahren!!!!!!!! Wie Charlie!!!!!!!!

Die nächsten Monate waren ausgefüllt mit Recherchen in sämtlichen Büchereien der umliegenden Ortschaften. Pah, ich würde doch keinen Mann fragen, wie man durch die Finger pfeift, sich im Schritt kratzt oder einen Ball w e i t wirft, die Dartscheibe trifft oder die Abseitsregel versteht. Nein, ich würde mir auch nie mehr auf meinen Daumen klopfen und mit dem Fußbodenabschleifgerät zufällig das Stromkabel kappen. Das dürfte doch nicht so schwer und leicht zu erlesen sein.

Ich begann damit, tonnenweise Ratgeber zu lesen, kleine Trainingseinheiten zu testen, im Sinne von: „Wie bringen Sie etwas auf den Punkt. Erzählen Sie eine Geschichte in fünf Minuten – in fünfzehn Minuten.“ – „Nein, dass Ihr Gegenüber ein hässlicher Troll mit dem Mundgeruch eines Warzenschweines war, ist kein wichtiger Aspekt gewesen.“

Oder: „Wenn Sie locker herüberkommen wollen, verwenden Sie bitte nicht den Wortschatz aus „Pretty Woman“. Das kommt einer Stigmatisierung gleich. Mit einfachen, knackigen Sätzen aus „American Pie“ bewegen Sie sich auf der sicheren Seite.“

Pragmatisch wurde es mit: „Lernen Sie siegen! Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn sie Verhandlungen geschickt abgeschlossen und die Konkurrenz ausgeschaltet haben. Lassen Sie sich nicht verunsichern durch Tränen, schlechte Laune oder geringe Arbeitsplatzverluste auf Ihrer Gegenseite. Ihnen gegenüber sitzt ja kein kleines Kind. Sagen Sie sich, Ihr Gegenüber war ein schlechterer Verhandlungspartner. Und dann war er es.

Eine neue Sichtweise meiner Welt entwickelte sich. Stimmt, warum sich klein machen? Warum Erfolg nicht genießen lernen? Meine Schultern strafften sich. Meine Muskeln wuchsen, beim Holz hacken, beim Fische zerlegen, beim Möbel wuchten und Dübel einschlagen. Spinnen fegte ich mit einer entschlossenen Handbewegung vom Tisch. Die Runde zockte ich beim Pokern ab.

Ich konnte nicht genug davon bekommen. Alles wurde eindeutiger, klarer, unkomplizierter, machtvoller.

Bis endlich der Tag kam, an dem draußen meine Maschine stand. Born to be wild! Ich schob meine Lederhose über meinen Hintern, zog meine Stiefel an, streifte die Jacke über meine neuen Oberarmmuskeln. Breit war ich, wie ein Schrank. Ich drehte mich nach rechts, nach links. Zog langsam den Reißverschluss bis zum Halstuch hoch. Klappte das Visier herunter. Legte meine Hand auf den Türknauf. Ging hinaus, breitbeinig wie ein Cowboy; geil auf die Fahrt, die mich erwartete. Kratzte mich am Schritt. Was für ein Gemächte!

© Glädja Skriva/PS/2011

Letzte Aktualisierung: 09.03.2011 - 00.13 Uhr
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