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Süchtig nach ... | März 2011

Niko
von Gary Kilian

Es muss gegen Mittag gewesen sein, irgendwo in der Stadt in einem Biergarten. Jedenfalls einfache Tische und Bänke, die ihrem Anschein nach schon lange in Gebrauch waren. Abgeschliffen an den Stellen, an denen sie besonders beansprucht wurden. Zwei Biere standen vor uns auf dem Tisch und ein großer, nicht mehr ganz leerer Aschenbecher in der Mitte. Wer mir gegenüber saß, wusste ich erst nicht, jedenfalls konnte ich sie nicht mit einem Namen in Verbindung bringen aber wir schienen uns trotzdem nicht fremd und sprachen miteinander.
"Soll ich dir auch eine drehen?", fragte sie mich über den Tisch, während sie mit drei Fingern ihrer schlanken Hand aus dem auf dem Tisch aufgeschlagen liegenden Tabakpäckchen genau die Menge Tabak herausnahm, die sie für eine Zigarette brauchte. Sie legte das braune Knäuel in das in der anderen Hand bereitgehaltene Zigarettenpapier und drehte es mit beiden Händen zusammen. Mein Blick war auf ihre Bewegungen dicht über dem Tisch gerichtet, festgehalten davon, wie der Tabak in wenigen geübten Drehbewegungen in das Papier eingerollt wurde. Fest verschnürt führte sie den Zigarettenrohling zum Mund und leckte die gummierte Kante des Papiers an, um es zu verkleben. Ihre Zunge kam nur ein klein wenig zwischen ihren mit hellbraunem Lippenstift geschminkten Lippen hervor und kontrastierte in ihrem gesund leuchtenden Rosa ihren dunkleren Mund.
"Nein, ich, äh, nein, nein", stammelte ich, "ich rauche nicht mehr." Es war in diesem Moment fasst schmerzhaft es einzugestehen, Ich hätte gerne eine dieser Zigaretten geraucht. Insbesondere, wenn sie von diesen schönen Händen mit den passend zu ihren Lippen lackierten Fingernägeln gedreht und in Kontakt mit dieser Zunge gekommen waren. Hätte ich sie selbst gedreht, wären sie sicher um einiges dicker, voluminöser geworden, voller, mit mehr Tabak, um mehr Rauch erzeugen zu können. Aber ich rauchte ja nicht mehr. Seit mehr als einem Jahr rauchte ich nun nicht mehr und das aus gutem Grund, aus vielen guten Gründen.
Mir kam da ein Gedanke: Ich musste gar nicht rauchen, um ein wenig der sinnlichen Erfahrung, die mit dem Rauchen verbunden ist, wiederkehren zu lassen. Schließlich umfasst das Laster des Rauchens nicht nur das Erlebnis, welches mit dem Zuführen der Wirkstoffe in den Körper einhergeht. In seiner besten Form umfasst das Raucherlebnis so vielfältige Sinneswahrnehmungen, wie sie nur selten im Alltagsleben zu erfahren sind. Der Geruch, beim Öffnen des Zigaretten- und mehr noch des Tabakpäckchens, das Gefühl des sensiblen Handwerks mit den Fingern und die Optik beim Drehen der Zigarette und dann der säuerlich bittere Geschmack, wenn die Zunge den Tabak berührt, fast brennend.
"Aber ich könnte eine für dich drehen", sage ich. "Das kann ich sicher noch."
"Bediene dich", sagte sie und schob mir den Tabak über den Tisch zu. Sie lächelt mir groß, schön, wissend zu, und ihre Zähne waren weißer als die der meisten Menschen. Mir schien, auch nehme sie mit ihrer Erscheinung mehr Raum ein als sonst jemand an diesem Ort. Ihre Haarwellen reflektierten im Licht der Sonne die Farbe der Kastanie, dazu passten ihre zimtfarbenen Augen, wie die Fingernägel zu ihrem Mund. Sie reichte mir das kleine, gelbe Päckchen, das ich zum Zigarettendrehen brauchte.
"Der Tabak ist sehr gut", sagte sie, "sehr leicht, aromatisch und kratzt kein bisschen, du wirst sehen. Diese Plättchen eignen sich auch sehr gut dafür." Plättchen nannte sie das Papier, das kleine Blatt mit „P“. Auch im Tabakladen wurden Plättchen unter diesem Namen verkauft. Ich konnte mich nie durchringen, dieses Wort für Zigarettenpapier, wie ich es nannte, zu benutzen. Wenn schon nicht das lange Wort Zigarettenpapier, dann wählte ich lieber den Ausdruck Zettel, was aber niemand verstand. Ich enthielt mich eines Kommentars zu den Plättchen und betonte noch einmal, dass ich nicht mehr rauchte und lediglich erproben wollte, ob ich das Drehen noch beherrschte und nicht die Absicht hätte, die Zigarette anzuzünden. Darauf lachte sie fröhlich und sagte, es würde mir doch nichts ausmachen, ihr Feuer zu geben. Das tat ich natürlich gern, Kavalier, der ich war. Sie kam mir mit der Selbstgedrehten zwischen ihren Lippen näher. Ich nahm ihr stilvolles Zippo-Feuerzeug, das als Teil der Rauchutensilien auf dem Tisch lag, schnappte den Verschluss mit einem metallischen Klicken auf, riss mit dem Daumen geübt das Funkenrad und reichte ihr die Flamme. Sie hielt nicht meine Hand, um den richtigen Abstand zum Feuer zu finden, sie legte lediglich die Kuppen der Finger ihrer linken Hand auf den Rücken meiner rechten, während sie die Zigarette anzündete. Den Rauch des ersten Zugs blies sie mir nicht direkt ins Gesicht, aber auch nicht zur Seite, so dass ich genug davon einatmen konnte. Ich sog den Rauch stärker und deutlicher wahrnehmbar ein, als ich wollte. Sie lachte wieder, auch dieses Mal wissend, wie mir schien, so wissend, wie vorhin ihr Lächeln war. Ich nahm mir das Papier und das Tabakpäckchen und begann, die Zigarette in Arbeit zu nehmen.
Langsam dämmerte mir, woher wir uns kannten und wir kannten uns schon lange. Wir waren einst ein untrennbares Paar, sie und ich. Niko und ich, wir waren lange zusammen gewesen. Es gab Zeiten, zu denen ich mir nicht hätte vorstellen können, von ihr getrennt zu sein. Das ist verständlich, es war immer verständlich. Auch jetzt ist sie wunderschön, fröhlich lachend, verführerisch. Sie ist nicht das blonde, aber das brünette Gift, wusste immer genau was ich brauchte und konnte davon mehr als genug geben. Nicht, dass sie immer pflegeleicht oder anspruchslos war, das nicht. Sie wollte, wie wohl alle Frauen, die vollkommene Aufmerksamkeit, die uneingeschränkte Hingabe, manchmal bis zu Selbstaufgabe. Wir hatten großartige Zeiten zusammen. Wir haben uns geliebt, wir haben gefeiert, getanzt, getrunken und geraucht, viel geraucht.
Die werdende Zigarette zwischen den Fingern spürend, erinnerte ich mich und nahm sie, den Rauch, den sie mir wieder herüberblies geräuschvoll einsaugend, in mich auf. Passivrauchen ist für einen trockenen Raucher kein Vergehen, dachte ich mir und genoss es, Niko so nah bei mir zu haben. Ich führte die nun fertige Zigarette zwischen meine Lippen und sog an ihr.
“Du musst sie nicht anzünden, um es zu schmecken“, sagte sie. „Es geht auch anders.“ Sie neigte sich mir zu, ihre vollen, sinnlichen Lippen formten die Worte „Küss mich!“ Wie hätte ich ihr widerstehen können; ich hatte sie bereits in mich aufgenommen und hielt ihren Körper in der Hand. Ihren Mund zu küssen war schöner als in der Erinnerung. Unsere Lippen öffneten sich, ihre Zunge glitt weich, warm und samten in meinen Mund. Ich inhalierte sie tief. Sie strömte in mein Blut und verursachte wahre Kaskaden von Schauern. Sie war das Alkaloid meiner Sucht, der goldene Engel des Rausches, nachdem sich mein Körper wie mein Hirn sehnten.
Es war Zeit aufzuwachen, was ich auch tat, verwundert darüber, dass ich nach so langer Abstinenz wieder so leidenschaftlich von Niko geträumt hatte.

Letzte Aktualisierung: 20.03.2011 - 17.50 Uhr
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