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Süchtig nach ... | März 2011

Vagabund, ein außergewöhnlicher Kater
von Susanne Ulrike Maria Albrecht

Er strolchte durch die Straßen. Die nĂ€chtliche Ruhe wurde durch das Brummen eines Motors gestört und das grelle Licht blendete seine Augen. Er kniff sie bis auf einen Spalt zusammen und blieb unentschlossen im Scheinwerferlicht stehen. Er blinzelte zu einem der GĂ€rten hinĂŒber. Dort oben auf der Mauer wĂŒrde er jetzt gerne sitzen. Mit Anlauf sprang er hoch.
Die Umgebung einmal bei Tage durchstreifen, das wĂŒnschte sich der EuropĂ€isch Kurzhaar. Seine orangefarbenen Augen leuchteten wie glĂŒhende Kohlen aus dem dunklen Gesicht und der Dunkelheit. Aber stets hieß es: Nein, Vagabund! Auf gar keinen Fall! Du darfst nur nachts raus, Vagabund! - Du bist ein außergewöhnlicher Kater. Allein schon Deines Äußeren wegen!
Das Àrgerte ihn nicht nur, sondern krÀnkte seine Seele.
Was kĂŒmmerte es ihn, dass er nicht irgendein EuropĂ€isch Kurzhaar sondern ein rauchfarben EuropĂ€isch Kurzhaar war – ein Smoke, der eine RaritĂ€t darstellt.
Er wollte einfach nur ein Kater sein!
Also mach ich wieder einen nÀchtlichen Streifzug durch mein Reich. Wenigstens bei Nacht, darf ich hier der Katzenkönig sein!

Zuhause zieht der Duft von frisch gebackenem Stollen, GlĂŒhwein, BratĂ€pfeln und GebĂ€ck durchs Haus. Das Geraschel von Geschenkpapier, farbige BĂ€nderreste, die auf den Boden gefallen sind, rote Wangen von der KĂ€lte draußen und der Erwartungsfreude. Und alle sind außer sich vor Sorge, weil er schon seit Tagen nicht Daheim ist.
Im ganzen Bezirk suchen sie ihn mittels Steckbriefs. Sogar eine Anzeige haben sie aufgegeben.

Auf diese Weise wollte er dem vorweihnachtlichen Festtagstrubel nicht aus dem Weg gehen!
So fern – so nah.
Eigentlich wollte er am 24.Dezember wieder Zuhause sein.
Vielleicht schneite es genau in diesem Moment, da draußen.
Zuhause wĂŒrde er auf der warmen Fensterbank liegen, fröhlich Erwachen und den tanzenden Schneeflocken zuschauen.
Hier drinnen in dem feuchten kalten Keller herrschte gleichbleibende Dunkelheit.

Er denkt an alle und weiß, dass auch sie jetzt an ihn denken. Die Verbindung zu ihnen bringt wehmĂŒtige GefĂŒhle. Die Entfernung bleibt so groß, auch wenn wir gedanklich beisammen sind.
Weihnachten ist nirgends schöner als Daheim. Jetzt ist Zuhause, die Zeit der Bescherung. Ganz bestimmt lĂ€uft in einem Programm „Ist das Leben nicht schön?“, Frank Capras wundervoller Klassiker mit Jimmy Stewart. Vielleicht gerade die Szene, in der die kleine Tochter ihrem Vater erklĂ€rt, dass immer wenn ein Glöckchen lĂ€utet ein Engel seine FlĂŒgel erhĂ€lt.

Weihnachten sollte fĂŒr die Menschen und die Tiere die glĂŒcklichste Zeit des Jahres sein, sagt der Mann, als er mich zu meiner ĂŒberglĂŒcklichen Familie zurĂŒckbringt, nachdem er mich endlich in seinem Keller entdeckt hat.

Das weiche, warme Licht der Christbaumkerzen flattert reflektierend auf unseren Gesichtern. Wir schauen uns an. Die Eltern nicken lĂ€chelnd. Die Schwestern setzen sich abwechselnd auf den Drehstuhl und spielen auf dem Klavier „Stille Nacht, Heilige Nacht“, dann „White Christmas“. Alle vier singen dazu. Und draußen rieselt leise der Schnee.

Letzte Aktualisierung: 01.03.2011 - 20.45 Uhr
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