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Süchtig nach ... | März 2011

Tritt Fest
von Asla Kant

Seit ich denken kann, interessiert mich der unterste Teil des Beines. Unter dem Einfluss von sommerlichen Temperaturen und Pubertät hatte sich schnell gezeigt, was in mir steckt. Auslöser ist jeder belebte, von Menschen bevölkerte Platz dieses Planeten. Ein Zusammentreffen mit anderen Menschen, besser gesagt anderen Füßen, belohnt mein Körper mit eindeutigen Signalen. Selbstverständlich ahnt niemand, dass die unteren Gliedmaßen eine derartige Wirkung auf mich haben. Nicht aufzufallen ist reine Körperbeherrschung.

Was heute mehr oder weniger gelingt, war vor zwei Jahrzehnten unmöglich. Das Statement meines Vaters am Strand von Antalya und die Reaktion meiner Mutter bleiben unvergessen: „Was soll die Aufregung? Pubertät, na und. Ich bin stolz auf unseren Sohn!“ Ein zusammengeknülltes Handtuch, welches mit Wucht zwischen meinen Beinen landete, hatte deutlich gezeigt, dass meine Mutter anderer Meinung war. Und ich hätte nichts lieber getan, als mit jeder nassen Vagina in einem ebenso nassen Badeanzug oder Bikini zu tauschen. Frauen haben mich zu der Zeit mit Neid und Missgunst erfüllt. Was Abstinenz bedeutet, hatte ich in der kalten Jahreszeit begriffen. Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit und das Zittern meiner Hände lösten sich in Wohlgefallen auf, wenn sich Gliedmaßen aus Winterstiefeln und Wollsocken pellten und gesunder Fußschweiß den Raum erfüllte.

Nachdem ich mehrfach beim Normalsten, bei dem, was alle tun und die Wenigsten zugeben, erwischt worden war, hatte mein Sportlehrer nichts Besseres zu tun, als mich bei meinen Eltern zu verpetzen. „Herrgott, wie krank muss man sein? Geilst du dich auch an meinen Füßen auf?“, hatte meine Mutter gefragt. „Hallo! Es geht nicht fortwährend und rund um die Uhr um das Befriedigen von sexuellen Bedürfnissen, wann kapierst du das endlich?“ Meine Antwort hatte ein Stelldichein beim Psychologen zur Folge. Und das Schöne war, dass dieser Fachmann meine Geschichte mit einem Lächeln quittierte.

Heute richtet sich mein als krank abgestempelter Blick von damals auf das Wesentliche. Am schönsten bleiben die Sommertage. Leicht bekleidete Körper und bare Aussichten, soweit das Auge reicht. Digitalkamera und Fotohandy sind von Berufswegen selbstverständliche Begleiter. Gegenstände, die mir ständig aus den Händen gleiten, rein zufällig neben oder auf Füßen landen, schenken jederzeit Kontakt. „Ach entschuldigen Sie bitte, darf ich …“, oder, „hoppla, wie konnte das geschehen, das tut mir leid!“ Die Mehrheit ist angetan, wenn sich ein Fremder bückt. Wer kann einer charmanten Entschuldigung und einfühlsamen Händen widerstehen? Außerdem nutze ich eine solche Gelegenheit, um mich geschäftlich zu positionieren. Um meine Bedürfnisse ganzjährig zu befriedigen, einem winterlichen Notstand vorzubeugen, habe ich aus der Not eine Tugend gemacht. Ich bin orthopädischer Schumacher und kassenärztlich zugelassener Podologe. Dank einer mobilen Praxis, mein T4 platzt mittlerweile aus allen Nähten, bin ich jederzeit bereit, gerne im Dauereinsatz und nicht ortsgebunden. Es versteht sich von selbst, dass auch ich meine Grenzen habe und mir heute leiste, wählerisch zu sein. Kinderfüßen beispielsweise fehlt jeglicher Schlüsselreiz. Diese unreifen Körperteile sind im Werden und das müssen sie. Natürlich ist der Schweiß- und Stinkfußaspekt auch bei den Kleinsten gegeben, aber diese Füße verfügen über einen naturgegebenen Schutz. Zumindest für mich.

Zum Weglaufen sind Möchtegern-Gut-Gliedmaßen, zu viel Lack auf und zu viel Puder zwischen den Zehen, Schichten von Selbstbräuner und Parfum. Ich weiß, wie das läuft. Wenn die Fersenschrunde acht Kilometer Risse gebildet hat, längst nicht mehr um Hilfe schreit, sondern leidlich vor sich hin gammelt und Bakterienkolonien beißende Geruchsmoleküle Richtung Nase schicken, heißt es: Komm, mach mir mal meine Füße schön.
Zum Kotzen!
Am liebsten sind mir die naturgewachsenen Gliedmaßen in einem gewissen Grenzbereich. Es gibt keinen perfekten Fuß. Jeder, alle, verdammt noch mal alle, die sich annähernd regelmäßig waschen und pflegen, sind irgendwie schön. Aber leider nicht die Regel und deshalb ein seltener Anblick.

Nach einem beruflichen Zweitagesritt durchs Ruhrgebiet schreit mein Körper nach einer Dusche und mein VW nach Kraftstoff. Ich schiebe den Zapfhahn in meinen Tank und denke an nichts, entspanne mich. Als ich meine Augen öffne, schlagen, treten und überrennen mich Kampffüße. Mir bleibt die Luft weg. Klein, gepflegt, zart und hart, jawohl! Eine Frau, nicht zierlich, nicht groß, mit einer Gesichtsmischung aus „leck mich am Arsch“ plus „ich bin´s“ und wahnsinnskleinen, aber unglaublich schönen Füßen, versengt mir den Verstand.

Zu meiner Verwunderung interessieren mich nicht nur diese extraordinären Gliedmaßen, sondern auch der nicht minder eindrucksvolle Rest. Bei dreißig Grad im Schatten läuft sich mein Verstand zu Tode, als diese zwei kleinen, nackten Schönheiten den schmierigen Boden der Tankstelle berühren. Mein Blutdruck schießt in die Höhe. Schweiß drückt sich aus jeder Pore. Der Zapfhahn rutscht aus meiner nassen Hand. Diesel ergießt sich auf Kittel und Hose. Scheißegal! Den offensichtlichen Effekt von nassen, weißen Klamotten auf nackter Haut registriere ich mit Verspätung. Da hilft nur Kittel zuknöpfen. Geschafft! Als mein Blick suchend über Fahrzeuge und Zapfsäulen wandert, macht sich Enttäuschung breit.
Glücklicherweise steht der PKW, aus dem sie ausgestiegen ist, immer noch vor meinem T4. Fleischgewordene Überheblichkeit mit Papiertüchern beladen, reicht mir gerade bis zum Solarplexus. Jeden Abstand der Höflichkeit ignorierend, so nah und derart klein, dass ich sie übersehen habe, steht sie direkt vor mir. „Na, was daneben gegangen?“ Der Nachklang ihrer Stimme verstärkt seltsames Gedankengut. Ein Knopf meines Kittels geht auf Wanderschaft. Und landet tatsächlich zwischen dem ersten und zweiten Zeh ihres linken Fußes. Volltreffer! Ich knie vor ihr und kann das Zittern meiner Hände nicht unterdrücken. Ausgeprägte Muskeln und Sehnen und Weichheit, noch dazu dieser herrliche Spann, die filigranen Knöchel, die zweite Zehe an beiden Füßen, die etwas länger ist als der große Onkel, die gepflegte und schützende Hornhaut an unüblichen Stellen, sehr selten bei einer Frau. Mehr brauche ich nicht, um mir ganz sicher zu sein, den schönsten Kampffuß gefunden zu haben. Der Ansatz einer Schiefzehe des linken Fußes ist kein echter Hallux valgus, sondern die Folge eines Bruchs. Bevor ich mich vergesse, schaue ich zu ihr auf und sie belohnt mich mit einem Blick, der sich nicht in Worten ausdrücken lässt. „Darf ich?“ Sie nickt. Der Knopf wandert in meinen Kittel. Ich nehme ihr die Papierhandtücher ab und reiche ihr meine Visitenkarte. Sie wendet sich ab und steigt in ihr Auto. „Sie sind wunderschön!“, verkneife ich mir nicht.
„Ich weiß!“, kommt zurück.

Seitdem schleichen sich Füße und Rest in meine Gedanken. Kein Tag vergeht ohne sie. Ich habe mir ihr Autokennzeichen gemerkt und kämpfe jeden Tag aufs Neue dagegen an, meinen Kumpel, der beim Straßenverkehrsamt arbeitet, um eine Gefälligkeit zu bitten. Damit nicht genug, zieht diese Begegnung weite Kreise. Zu viel für meinen Geschmack, denn alle anderen Füße verlieren ihren Reiz. Ich bin aufgeschmissen, habe alle Geschäftstermine bis auf Weiteres abgesagt und verschreibe mir eine Zwangspause. Freiwillige Abstinenz ist mir bisher nicht in den Sinn gekommen. Mein tägliches Lauftraining im Wald und regelmäßiges Saunieren sind kein Patentrezept, aber irgendwie muss ich mich ablenken.

Heute ist Samstag, Sauna und FKK, endlich. Als ich mich in die Schlange an der Kasse einreihe, meine Augen wollen sich gerade schließen, huschen Objekte meiner Begierde über den blanken Granitboden. Ein Chip öffnet die Tür zu den Umkleidekabinen und eineinhalb Meter in Bademantel, die schönsten Füße der Erde verschwinden im Eiltempo über die Stufen in den Keller. Alarmglocken läuten, bei mir knallt eine Sicherung durch! Meine Hand bewirft die Kassiererin mit einem Schein, ich scheiß auf das Wechselgeld, greife nach einem Chip und renne wie angestochen hinter dieser kleinen Frau her. „Hey Zwerg, läufst du immer barfuss?“, brülle ich, als sich die Tür einer Umkleidekabine hinter ihr schließt. „Und du betreibst das Nachsteigen hauptberuflich, ziemlich durchschaubar, langes Elend.“ Ihr Konter ist ein Segen.

Der Sauna-Garten erscheint im Gegensatz zum Spaßbad wie leergefegt, kein Wunder bei dieser Witterung. Am Pool stehen wir uns nackt gegenüber. Sekundäre Geschlechtsmerkmale bleiben was sie sind, sekundär. Diese kleine Frau ist unglaublich direkt und ihre Begeisterung für meine unteren Gliedmaßen derart offensichtlich, dass mir die Spucke wegbleibt. „Eigentlich bist du zu groß für mich, aber jetzt weiß ich, wie du riechst. Unverschämt gut!“ Ihre Worte, die sie mir ins Ohr haucht, bleiben nicht ohne Folgen, als wir uns verabschieden. In der Umarmung spürt sie, was ich nicht verbergen kann und dennoch drückt sich ihr kleiner Körper an mich. Zwei Tage später stehe ich vor ihrer Tür. Sie bittet mich hinein. Unsere Blicke saugen sich an unseren Füßen fest. Ich vergehe unter ihren Händen und Füßen. Sie unter meinen. Äußerst anregend, sich gegenseitig dabei zu erwischen, sich selbst zu begegnen, sich in einem anderen Menschen zu finden und doch frei zu sein. Ich habe gefunden, wonach ich nicht gesucht habe. Ich bin fast zwei Meter groß und wie geschaffen dafür, den schönsten Zwerg mit den schönsten Füßen der Welt zu hüten wie einen Schatz!

Letzte Aktualisierung: 27.03.2011 - 19.32 Uhr
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