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Traumfrau/-mann | April 2011
DICH
von Barbara Hennermann

Dich nicht näher denken und dich nicht weiter denken, dich denken, wo du bist, weil du wirklich dort bist.
Dich nicht älter denken und dich nicht jünger denken, nicht größer, nicht kleiner, nicht hitziger und nicht kälter.
Dich denken und mich nach dir sehnen, dich sehen wollen und dich lieb haben, so wie du wirklich bist.
Erich Fried


Schon als kleines Mädchen mit acht Jahren hatte sie eine ganz feste Vorstellung von ihrem „Traummann“. Groß sollte er sein und stark, um sie auf Händen tragen zu können. Gut riechen sollte er und schicke Klamotten anziehen. Natürlich musste er Geld haben, um ihr ein Leben im Luxus zu bieten. Mit einem Wort – er sollte das Gegenteil von ihrem Vater sein …
Sie hasste die Enge zu Hause, den säuerlichen Geruch, der ständig in der kleinen Wohnung zu hängen schien, den Fernseher, der von früh bis abends lief und die Aussichtslosigkeit, die sie umgab.
Ella war nicht dumm. Sie wusste, dass einem im Leben nichts geschenkt wird. In der Grundschule bereits glänzte sie mit guten Leistungen, erreichte den Übertritt aufs Gymnasium. Lernen wurde ihr zum Lebensmittelpunkt, denn nur darin sah sie eine Chance, ihre Ziele verwirklichen zu können.
Mit achtzehn schaffte sie das Abitur als Beste ihres Jahrgangs und bekam ein Stipendium an der Universität. Endlich konnte sie daheim ausziehen, konnte die weinerliche, kränkliche Mutter und den stets abgehetzten Vater hinter sich lassen. Längst war ihnen der Gesprächsstoff ausgegangen, die Kluft immer größer geworden. Niemals hatten die Eltern ihre Tochter verstanden, ihren Ehrgeiz nachvollziehen können. Warum konnte sie nicht zufrieden sein mit dem, was das Schicksal ihnen zugestand?
Ella zog nach München, schrieb sich für das Studium der Jurisprudenz ein. Dies erschien ihr am aussichtsreichsten. Sie war die Jüngste ihres Semesters, aber gerade das stachelte ihren Ehrgeiz weiter an. Zwei Tage vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag bestand sie das Erste Staatsexamen mit der Note „Sehr gut“. Sie befand es nicht für nötig, dies ihren Eltern mitzuteilen, da sie annahm, die würden das ohnehin nicht einordnen können. An ihrem Geburtstag trat sie das Refendariat in einer renommierten Münchner Kanzlei an.

Zuerst war es nur ein Duft. Markant. Männlich. Ella hatte keine Erfahrung mit Männern. Ihr Ehrgeiz hatte ihre keine Zeit dafür gelassen. Doch dies war der Duft, von dem sie als kleines Mädchen geträumt hatte. Er stand hinter ihr und grinste sie an, als sie sich umdrehte. Gut einen Kopf größer als sie, durchtrainiert, graue Hose, dunkles Sakko, offener Hemdkragen – es passte alles … „Hoppla, wen haben wir denn da? Sie sind die Neue?“ Angenehme, rauchige Stimme … Ella schluckte kurz. Schon sprach er weiter. „Ich bin übrigens Torsten Schorndorf, der Juniorpartner hier.“ Bevor Ella etwas erwidern konnte, wurde er lärmend beiseite geschoben. „Junge, lass mal! Ich bin hier der Chef! Stefan Schorndorf, meine Liebe. Wir haben ja schon telefoniert. Herzlich willkommen bei uns. Und, ach ja, herzlichen Glückwunsch auch!“ Ella errötete. „Danke, das ist nett. Aber jetzt wird es wohl Zeit, dass Sie mir meine Arbeit zeigen?“ Ihre Person im Mittelpunkt zu sehen, machte sie verlegen.
Einschmeichelnd sanft - und doch drängend - diese rauchige Stimme. „Aber mittags gehen Sie mit mir zum Essen, Geburtstage darf man nicht so einfach übergehen, das bringt sonst Unglück!“ Sein verschmitztes Lächeln erstickte jeden Widerspruch in ihr.

Sie war dreiundzwanzig und am Ziel ihrer Träume, sie hatte ihren Traummann gefunden!
Torsten war von bestechender Eloquenz und Ella schwamm im Fluss seiner Worte, badete in seinen Liebesschwüren und gemeinsamen Zukunftsvisionen. Ihr Leben vibrierte.
Nach einem Jahr fiel ihr auf, dass sein „Ich liebe dich“ inflationären Charakter besaß. Er hauchte „ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich“ in ihr Ohr, um ihr gleich darauf in bestimmtem Tonfall mitzuteilen, dass das gemeinsame Essen, der Spaziergang, das Treffen, leider ausfallen müsse, da er anderweitig beschäftigt sei. So begann erst das Warten und dann das Leiden. Ella fühlte sich zurückgesetzt, benutzt und ohnmächtig. Sein Duft inspirierte sie nicht mehr, sondern würgte sie ab. Es war Zeit, etwas zu verändern!
Ihre Trennung war unspektakulär und erfüllte ihn offensichtlich mit Erleichterung.
Ellas Verstand übernahm wieder seine gewohnte Rolle und führte sie zurück an ihren Studienabschluss, die zweite Staatsprüfung. Wieder bestand sie mit Bravour und konnte so unter Arbeitsangeboten frei wählen. Die Promotion war nur eine Frage der Zeit.

Mit dreiunddreißig übernahm sie den Posten als juristische Führungskraft eines großen Autokonzerns. Die Arbeit machte ihr Spaß und da sie ungebunden war, konnte sie ihre volle Energie dem Unternehmen widmen. Man achtete und schätzte ihre Kompetenz und ihren Einsatz. Längst war sie selbst zu einer „guten Partie“ geworden, hatte aus eigener Kraft die Säuerlichkeit ihrer Kindheit überwunden und den Luxus erreicht, der ihr damals so erstrebenswert erschienen war. Für Männer allerdings gab es in ihrem Leben weder Platz noch Zeit, zumal der „Traummann“ inzwischen weit höhere Ansprüche zu erfüllen gehabt hätte. Aber war sie nicht noch immer jung und jetzt dazu auch noch von besonderer Attraktivität?

Mit einundvierzig wurde sie sich einer gewissen Leere in ihrem Leben bewusst, wenn sie nach einem langen Arbeitstag in ihre Penthousewohnung zurückkehrte. Ihr Arbeitsleben ermöglichte ihr ja nicht einmal das Halten einer Katze, die sie freudig schnurrend begrüßt hätte. Sie empfand die Stille um sich herum nicht mehr als entspannend, sondern vielmehr als bedrückend. Ihr Plan reifte langsam und wohl überlegt. Sie musste die Zeit nutzen, die ihr noch zur Verfügung stand. Immerhin war sie es ja gewohnt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen!
Im Internet fand sie reichlich Foren und Portale, die ihr einen Überblick verschafften. Viele verwarf sie von vornherein als unseriös. Auf weitere Enttäuschungen in ihrem Leben konnte sie gut verzichten …

Die erste Begegnung, der sie voll Aufregung entgegengefiebert hatte, verlief überraschend sachlich. Das Procedere war in gegenseitigem Einvernehmen leicht zu klären und Ella empfand es mit dem angedachten Ziel nicht einmal als unangenehm.

Große, veilchenblaue Augen unter einem wilden, schwarzen Haarschopf. Sanft gerundete Wangen. Eine kecke, kleine Nase. Leicht geöffnete, kirschrote Lippen, die zum Küssen einluden. Ein wohl proportionierter Körper mit überlangen Armen und Beinen. Eine rundum gelungene Meisterschöpfung von Mutter Natur!
Drei Tage nach ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag schloss Ella ihren neugeborenen Sohn in die Arme, sog diesen zarten, unverwechselbaren Säuglingsduft tief in ihre Lungen, streichelte die samtweiche Haut. Da legte sich seine kleine Faust fest um ihren Daumen, als wolle er ihren Bund für´s Leben besiegeln. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchflutete ihren Körper bis in die Zehenspitzen.
Sie hatte ihn also doch noch bekommen, ihren Traummann, der ihr Leben von jetzt an grundlegend verändern würde und völlig neue Prioritäten setzte!

„Schwester, würden Sie mir bitte mal das Telefon herreichen? Danke schön.“
Sie wählte eine Nummer, die sie schon fast vergessen geglaubt hatte.
„Ja, Mama, hier ist Ella. Ich wollte euch nur sagen, dass ihr gerade Großeltern geworden seid.“

Letzte Aktualisierung: 20.04.2011 - 16.36 Uhr
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