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Traumfrau/-mann | April 2011
Der Inselmann
von Christine Matha

Irgendwann, Anfang der 70er Jahre, war Phil in der kleinen Provinzstadt im hohen Norden Italiens gelandet Er hatte sich nach dem Studium eine Auszeit genommen, um Europa zu bereisen. Danach wollte er wieder auf seine Heimatinsel Trinidad zurĂŒckkehren. Er hatte als ausgebildeter Elektroingenieur in T. zeitweilig Arbeit gefunden und ich lernte ihn kennen, als in unserem BĂŒro wegen eines Kurzschlusses ein Elektriker gesucht wurde. Vom nahe gelegenen ElektrofachgeschĂ€ft kam ein Schokofarbiger, der sich als Elektrofachmann vorstellte, sehr bestaunt von meinem italienischen Chef, der ihn ein bisschen skeptisch bei der Arbeit beobachtete, Phil hatte den Schaden schnell behoben, aber zwischen mir und ihm knisterte es: ein anderer Kurzschluss war passiert...
Ein schmales Gesicht aus den samtschwarze Augen herausleuchteten, Augen die an mir hÀngen blieben mit einer zÀrtlichen und neugierigen IntensitÀt, die mich verlegen machte. Er erzÀhlte mir in seinem gebrochenen Italienisch, dass er ganz Italien bereist habe, jetzt wolle er noch eine Zeitlang hier im Norden bleiben, weil ihn, der vom Meer kam, die Berge besonders faszinierten.
Es ergab sich, dass wir zusammen ausgingen, ich sollte ihm die Altstadt zeigen; den romanischen Dom wollte er sehen, das Schloss der FĂŒrstbischöfe und die berĂŒhmte Kirche der Gegenreform S. Maria Maggiore. Phil war belesen und wusste sehr viel ĂŒber die europĂ€ische Kultur und Geschichte, er stellte eine Menge Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten waren und so verging die Zeit im Fluge..
Ich, hingegen wollte nur wissen, wie lange er vor hatte hier zu bleiben, aber darauf gab er mir keine Antwort. Er schaute mich nur schweigend mit seinen strahlenden Augen an und als ich ihm sagte, dass mich seine Augen vom Anfang an verzaubert hĂ€tten, lachte er und erzĂ€hlte, dass die Leute in seiner Heimat ihn, als er noch klein war, damit identifiziert hĂ€tten. Das ist Phil. der mit den Augen lacht, sagte man...„

Aber seine Verliebtheit hinderte ihn nicht daran die Verschiedenheiten von uns beiden zu unterstreichen; fĂŒr ihn stand sehr bald schon fest, dass es fĂŒr uns keine Zukunft geben wĂŒrde.
Schwarz und weiß waren zwei Welten, die sich fernab von den großen Metropolen der Welt, nur selten begegneten. In den frĂŒhen 70er Jahren gab es auf den SchulbĂŒchern noch eine saubere Unterteilung der menschlichen Rassen zu studieren und schwarz war im Allgemeinen gleichbedeutend mit unterentwickelt und kulturell minderwertig.
Wenn wir in ein Restaurant zum Essen gingen, gab es viele neugierige Blicke, die ich nicht ignorieren konnte und Phil verlor keine Gelegenheit, um mich darauf hinzuweisen. „ Siehst du, es hat doch keinen Sinn mit uns beiden, ich will nicht dass man dich dauernd anstarrt, weil du mit einem „ Neger“ zusammen bist.“
Kaum mehr als eine Woche verging und schon fing er an auszuweichen; er kam nicht mehr zum vereinbarten Treffpunkt und meldete sich auch nicht telefonisch bei mir. Mit einiger Überwindung ging ich ihn nach ein paar Tagen in dem billigen Hotel suchen, wo er logierte. Dabei kam es zu einer heftigen Diskussion trotz seiner Sprachschwierigkeiten, und seiner unverhohlenen Freude ĂŒber mein Kommen; er sagte er wiederholt: ich mĂŒsse einsehen, dass es zwischen uns zuviel Trennendes gĂ€be und er nicht weiter gegen die WindmĂŒhlen ankĂ€mpfen wollte, das hatte er in seinem Leben schon zu oft getan. Und dann gab es noch einen anderen Grund; ich war um soviel kĂ€mpferischer und eigenwilliger als die Frauen in seiner Heimat, ich wollte frei sein wie ein Mann und ĂŒber mein Leben selbst bestimmen. Diese westliche MentalitĂ€t war ihm fremd und er sah sie als das zusĂ€tzliche Problem in einer ohnehin sehr schwierigen Situation. „Ich will lieber trĂ€umen als leben“, sagte er, „und das kannst auch du nicht Ă€ndern.“ Ich weiß nicht mehr, was ich darauf geantwortet habe, Ich weiß nur, dass zuviel Unausgesprochenes schwebend zwischen uns blieb, weil wir beide die gleiche Scheu voreinander empfanden.
Er versprach mich am nĂ€chsten Tag zu treffen und kam auch pĂŒnktlich in die Pizzeria, wo wir meistens abends hingingen. Ich hatte gehofft, dass er vielleicht seine Meinung Ă€ndern wĂŒrde, aber Phil`s Augen sagten mir gleich, dass er sich nur verabschieden wollte, ernst und umschattet schauten sie mich an. „Ich werde T. morgen verlassen, es ist besser fĂŒr uns beide, wenn wir uns nicht mehr sehen , bitte sag` jetzt nichts, versuche mich zu verstehen, es geht nicht.“
Wir aßen schweigend unsere Pizza, wobei mir jeder Bissen im Hals stecken blieb und ich mit MĂŒhe die TrĂ€nen zurĂŒckhielt. Danach begleitete er mich heim und nach einem flĂŒchtigen Kuss, verschwand er; eine dunkle, fast unwirkliche Gestalt in der herbstlichen Nacht.
Ich verbrachte eine schlaflose Nacht, konnte aber am nĂ€chsten Morgen nicht umhin, beim FachgeschĂ€ft vorbei zu schauen und mit einer Ausrede nach Phil zu fragen. Man sagte mir, dass Phil leider bereits gekĂŒndigt hatte, man hĂ€tte ja von Anfang an gewusst, dass er nur vorĂŒbergehend bleiben wĂŒrde, schade, denn der junge Mann sei Ă€ußerst kompetent und verlĂ€sslich gewesen.
Also ging ich zur Arbeit, aber mit den Gedanken war ich woanders, und musste ein paar Male die Mahnungen des Chefs einstecken, er merkte, dass ich zerstreut und unlustig auf der Schreibmaschine herumtippte und nur wartete bis es Zeit war, heimzugehen. Das GefĂŒhl völliger Machtlosigkeit lĂ€hmte mich, ich musste seine Entscheidung akzeptieren, aber alles in mir strĂ€ubte sich dagegen.
Zwei Tage spĂ€ter, es war schon gegen zehn Uhr abends, lĂ€utete es stĂŒrmisch an meiner WohnungstĂŒr. Ich wusste sofort, es konnte nur Phil sein. Da stand er verlegen mit einer Rose in der Hand. „ Ich konnte nicht anders, ich musste dich ein letztes Mal sehen, ich komme soeben mit dem Zug aus Florenz und fahre mit dem nĂ€chsten wieder zurĂŒck. Aber, bitte mach dir keine Illusionen, es ist jetzt das allerletzte Mal.“ Er wollte nur mit mir ein bisschen Musik aus dem Radio hören und wir tanzten dazu in völliger Übereinstimmung der Bewegungen, was mir in solcher Weise mit keinem anderen Tanzpartner passiert war, und wovon ich wusste, dass es einmalig bleiben wĂŒrde. Es war zum ersten Mal das GefĂŒhl, wir hĂ€tten den gleichen Takt im Blut zusammen mit dem gleichen Herzschlag.
Er war nicht gekommen, um mit mir Sex zu haben, weil damit nur neue WĂŒnsche verbunden wĂ€ren und sagte; er wolle sich nur den Traum bewahren, weil er zu genau wisse, dass die Wirklichkeit immer anders sei. Ich spĂŒrte wie die Verzweiflung in mir hochkam; „Ich kann nicht verstehen, warum wir auf etwas verzichten mĂŒssen, das fĂŒr uns beide so wichtig geworden ist.“
„Eben deshalb, sagte Phil; „gerade weil es so wichtig ist, doch ich sehe schon, dass du das nicht verstehen kannst. Du verstehst nicht, dass ich mir das Ideal von Vollkommenheit nicht nehmen lassen will und das geht nur, wenn ich Schluss mache mit dieser Liebesgeschichte, bevor sie langsam zugrunde geht. Aber ich weiß, du denkst anders mit deiner einseitigen Logik, die nur analysieren kann, aber den Sinn des Ganzen nicht versteht. Du willst mich „haben“, mich „besitzen“, wie man ein Tier besitzt, einen Hund, eine Katze oder ein Haus.“ „Das ist nicht wahr“, ich liebe dich und möchte dich nicht verlieren, was soll daran falsch sein?“ Phil lĂ€chelte wieder, aber seine Augen blieben ernst; behutsam legte er seinen Arm um meine Schultern und sagte, „vielleicht verstehst du mich einmal spĂ€ter; jetzt muss ich wirklich gehen“. Ich begleitete ihn schweigend zur TĂŒr und warf sie hinter ihm wĂŒtend ins Schloss. In mir mischten sich Wut und Trauer; warum war er zurĂŒck gekommen und hatte alles wieder aufgewĂŒhlt? Er, der mir vorwarf, ihn haben zu wollen wie einen Besitz, hatte mich aber dennoch wiedersehen wollen und sich nicht gefragt, ob das fĂŒr mich gut sein wĂŒrde. Egoismus, immer nur Egoismus.
Die Zeit verging wie immer und langsam kam mir die Begegnung mit Phil fast unwirklich vor. Eines Abends hatte ich wieder das untrĂŒgliche GefĂŒhl seiner NĂ€he. Ich wohnte damals in einem alten Stadthaus mit einem Innenhof, wo sich besonders im Sommer auch spĂ€tabends Leute in der AbendkĂŒhle einfanden, die sich dann lautstark unterhielten. Da ich lange nicht einschlafen konnte, war ich ein paar Male aufgestanden und ohne irgend einen plausiblen Grund hatte ich mich wieder angezogen, um im Hausgang nach dem Rechten zu sehen. Von einem offenen Fenster aus konnte man den Innenhof sehen, wo ein paar Nachbarn ĂŒber irgend eine Fußballmannschaft debattierten, und bevor ich wieder in die Wohnung zurĂŒck ging, fiel mir in einer Ecke des spĂ€rlich beleuchteten Hofes eine schmale, hohe Gestalt auf, die einen Augenblick lang in meine Richtung herauf schaute, bevor sie, fast wie ein Gespenst, sich im Dunkeln wieder auflöste. Ich hatte nicht den Mut hinunterzulaufen, um zu sehen, ob wirklich er es war, aber fĂŒr einen Augenblick war ich sicher, dass nur er es gewesen sein konnte.
Dann ging wieder zurĂŒck in meine Wohnung und versuchte nicht mehr daran zu denken. Warum sollte er noch einmal gekommen sein, wenn er dann nicht den Mut aufbrachte mich zu suchen? Es handelte sich vermutlich nur um meine Einbildung, eine Fata Morgana, die der Wunsch ihn wiederzusehen, hervorgebracht hatte, aber diese flĂŒchtige Erscheinung verfolgte mich noch lange bis hinein in die TrĂ€ume. TrĂ€ume, die immer wieder kamen, ortlose TrĂ€ume, von Liebe getragen und so schön und einfach wie die Seele selbst sein mag. Es gab im Traum nichts Trennendes mehr, nur Liebe und NĂ€he, keine Angst vor der Außenwelt und keine Angst mein Ich in der Verschmelzung mit dem Anderen zu verlieren, keine Zweiteilungen, kein Rollenzwang. Das Mann – Frau System hier war es harmonisch perfekt, ohne abtötende EinschrĂ€nkungen und ohne WidersprĂŒche. Irgendwie verstand ich ihn jetzt auch besser, Phil, der mit den Augen lacht, hatte den Traum vorgezogen, weil er ahnte, dass sein Ideal die Einbußen der prosaischen Gewöhnung nicht ĂŒberleben wĂŒrde.

Letzte Aktualisierung: 06.04.2011 - 21.30 Uhr
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