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Traumfrau/-mann | April 2011

Nach dem siebten Strich
von Robert Pfeffer

War es das Schicksal selbst oder dessen Ironie, das Antonia Kübler an diesen Punkt führte? Gehört es zu den unvermeidbar scheinenden Folgen einer Konfektionsgröße zweiundvierzig, statt in den Armen eines wohlriechenden Latinos in einer Firma zu landen, die solche Typen anbietet? Umgeben vom photoshopgepushten Hochglanz der Männer und Frauen, auf die eine oftmals eher mattierte Kundschaft hofft, stellte sich die junge Projektmanagerin Fragen über ihr Leben. Es war, mit Verlaub, ein Scheiß-Tag und er drohte zur Krönung einer nicht minder bescheidenen Woche zu werden.

Bungert entfernte sich im kurvenreichen Gang von ihrem Schreibtisch und schlingerte durch das Großraumbüro dem Ausgang entgegen. Dass er als Vorgesetzter kein Rückgrat besaß, fürchtete sie schon lange. Soeben hatte er unter Beweis gestellt, dass er in Mitarbeitern nur wenig mehr sieht als Opfer seiner fragwürdigen Methoden.
„Kübler, denken Sie, wir sind ein Wohlfahrtsunternehmen?“
„Nein, Herr ... Bungert, wieso?“
„Lassen Sie ihn am besten unberührt. Möge dieser Umschlag als Mahnung verschlossen neben Ihnen liegen bleiben.“ Pause. Über die Brille schielend drückte er ihn an sich. „Was das ist? Eine Aufstellung Ihrer Zahlen aus dem vergangenen Monat.“ Er holte tief Luft. „Sieben Reklamationen, in Worten: Sieben! Die allesamt zugunsten der Kunden ausgingen.“
Er legte das harmlos wirkende Kuvert vor sie hin, beugte sich weit hinunter und lehnte sich so auf den Tisch, als wollte er es mit dem Kinn versiegeln.
„Küb ... ler“, zischte er mit aufgerissenen Augen. „Wie ist es möglich, dass eine unserer Mitarbeiterinnen praktisch jedes Gemecker bedient? Umtausche und Nachbesserungen im Wert von knapp Dreihunderttausend! Dafür könnte ich sechs Küblers einstellen!“
„Chef, die Kunden sollen mit ihrer Traumfrau oder dem Traummann fürs Leben glücklich sein, stimmt‘s? Dann erzählen sie es anderen und wir kriegen Neukunden. Sehen Sie es als Investition.“
„Ach, papperlapapp, glücklich, glücklich“, strich er den Staub vom Blatt eines Gummibaums, der unweit des Druckergebläses sein Dasein fristete. „Wenn Kunden sich das unpassende Modell raussuchen, ist das deren Problem. Wer zig Tausende ausgibt, der muss halt genauer hingucken.“
„Was soll ich denn machen? Bei Frau Hamacher zum Beispiel ist ganz klar falsch geliefert worden. Die aus der EDV haben in der Serie ‚Manfred‘ im Katalog schlichtweg verkehrte Häkchen gesetzt. Da sind wir als Vermittler doch machtlos!“
„Kübler, was Sie auch immer tun: Bringen Sie den Fall Hamacher zum Ende, egal, ob wir nun falsch geliefert haben oder nicht. Und sorgen Sie damit ausnahmsweise mal für einen Gewinn, sonst enthält der nächste Umschlag, den ich Ihnen überreiche alles, was Sie mit nach Hause nehmen können.“
Er tippte zum Abschied kurz aber doppelt auf das braune Papier und ließ in der raschen Kehrtwende nur seine gefürchtete Mischung aus einem Herrenduft und kaltem Rauch zurück.

Antonia starrte durch die Bungertsche Wolke aus dem Fenster. Drei Tage war es erst her, da hatte sie aus dem aktuellen Freund einen Ex gemacht. Ihren Glauben an eine Männerwelt, in der Frauen mit ohnehin stark reduzierten Erwartungen Exemplaren mit ernsthaften Absichten begegnen könnten, nahm er gleich mit. Frustriert machte sie im Innendeckel ihres Tagebuchs bei den gescheiterten Beziehungen den siebten Strich und stürzte sich wieder in jene Arbeit, die vielleicht auch einige Gefährten gekostet hatte. Wenigstens ihre Kundschaft sollte zufrieden sein. Die neue Serie ‚Manfred‘, in mühevollen Monaten entwickelt, ging auf ihr Konto. Herren dieses Segments durchliefen Benimm- und Tanzkurse, praktische Ausbildungsblöcke in Restaurants und Theatern und, revolutionär für das Angebot der Firma, sogar Hausarbeitsseminare. Als sie in diesem Laden anfing, beschränkten sich Bungert und seine bis dahin ausnahmslos männlichen Kreativkräfte auf die Befriedigung der Wünsche von Damen nach eher körperorientierten Traumpartnern, die man in monatelangen Trainingslagern und regelmäßigen Bräunungsintervallen auf ihren späteren Einsatz vorbereitete. Für einen kurzen Zeitraum versuchte sie sich auch einmal an der Weiterentwicklung der Offerten für die Herren, scheiterte aber am Widerstand des Chefs mit dem Vorschlag, die intellektuell geprägten Modelle im Katalog zur Abwechslung mal vor den Barbies zu platzieren. Zum Dank für sechs Jahre Engagement drohte Bungert jetzt mit dem Rausschmiss. Ihr Blick fiel auf den Umschlag. In dem Moment klingelte das Telefon.

,Dreampeople Unlimited, mein Name ist Antonia Kübler, was kann ich für Sie tun?“
„Hamacher hier. Umtauschen können Sie mir diese Kanaille. Heute hat er zwei Mal nicht die Tür aufgehalten und sich außerdem eine unmögliche Krawatte ausgesucht. ... Manfred, lass das. Nein, der Knopf da bleibt zu. ... Tschuldigung, Frau Kübler, aber der fängt schon wieder ... Manfred! Aus hab ich gesagt! Mach Sitz!“
„Frau Hamacher, was genau ...“
„Ich will umtauschen, hören Sie? Ist aus der Serie ‚Heinrich‘ noch einer frei? Ich glaube, das war das gemäßigtere Modell ‚Frühpensionär um die Fünfzig‘ mit dem tadellosen Benehmen, das liegt mir wohl eher. Der hier ist einfach zu geil, um es mal drastisch zu ... oooh, Manfred, ich weiß, das war dein Stichw ... verflucht! Jetzt ist es aber gut! ... Moment Frau Kübler, ich geh mal ins Nebenzimmer. So wird das nix.“

Im Headset wiesen ein hörbares Handgemenge, ein wattiert klingendes ‚Pfui Manfred‘ und abschließendes Türenschlagen auf die zeitweilige Trennung von Frau Hamacher und ihrem Hausgenossen hin. In der Wartezeit bis zur Rückkehr der Kundin überflog Antonia auf dem Bildschirm die absolvierten Schulungen und generellen Eigenschaften des vermittelten Herrn. Die vor ‚Fußball‘ und ‚Stier‘ prangenden Häkchen ließen sie die Augen schließen.
„Fuck!“
„Da bin ich wieder. Was sagten Sie gerade, Frau Kübler?“
„Äh, ... Frack, Frau Hamacher, Frack. Mir kam eben der Gedanke, dass wir einen Teil unserer Modelle standardmäßig bereits mit Frack ausliefern könnten. Wir denken ja ständig über Verbesserungen nach. Was genau stimmt mit Ihrem Manfred denn nicht?“
„Als ich ihn dieser Tage im Supermarkt mit hatte, da hat er doch tatsächlich der Mathilde zugezwinkert. Gestern ging es dann um das Thema Urlaub. Stellen Sie sich vor, der will glatt ans Meer! Ich hatte ausdrücklich bestellt, keine Diskussion, was meine Berge angeht. Heute hat er zwei Türen nicht aufgehalten und sich im Café mit der sowieso völlig unpassenden Krawatte den Mund abgewischt. Ich bitte Sie, das sind einfachste Grundfunktionen, die müssen sitzen. Ich warte auf den Moment, dass er sich an den Vorhängen die Schuhe abwischt und anfängt, im Stehen zu pinkeln. Und überhaupt, der will immer und überall. Wie soll ich das schaffen? Ich hab ja in meinem Alter wirklich noch Lust, aber der Kerl macht mich in kürzester Zeit fertig. So geht es nicht!“
„Also, mal sehen, welche Kurse er bei uns durchlaufen hat, Ihr Manni.“
„Manni? Hab ich etwa so ein fußballbegeistertes Bergarbeitermodell gekriegt? Das kann doch nur eine Verwechslung sein!“
Antonias Blick wechselte zwischen Umschlag und Bildschirm. An der Tatsache, dass die Kundin ein Exemplar aus der verkehrten Serie erhalten hatte, führte kein Weg vorbei.
„Und? Was ist denn jetzt? Haben Sie noch so‘n Heinrich?“
„Äh, Frau Hamacher, ganz kleinen Moment, ich muss gerade etwas prüfen. Ich bin gleich wieder für Sie da“, sagte sie und drückte die Pausentaste.
Auf dem Monitor flog der Mauszeiger durch die Seiten und Zeilen. Die Geschäftsbedingungen gaben nichts her, der Lieferfehler war zu offensichtlich. Antonia riss den Umschlag auf, den Bungert wie eine Mahnung hatte liegen lassen. Doch es waren nicht ihre Zahlen drin. Jede Menge leere Blätter und eines, auf dem stand ‚Ihre Zukunft?‘. Sie schloss die Augen und atmete für eine Minute die Röte der Empörung aus ihrem Gesicht.
„Frau Hamacher? Ich habe mir alles noch einmal angesehen. Ihre Beschwerde ist völlig berechtigt. Unser Fehler und selbstverständlich können Sie umtauschen. Aus der Serie Heinrich kann ich in einer Woche Ersatz liefern, da durchläuft ein Herr bis Freitag den letzten Kurs. Packen Sie bitte Mannis Sachen, wir holen ihn in zwei Stunden bei Ihnen ab.“
Zufrieden legte Antonia auf und gab dem Abholservice einen Sofort-Auftrag. Die Wolke von Bungert war inzwischen verflogen, hatte der trockenen Büroluft Platz gemacht. Während der Umschlag ein Fall für den Papierkorb war, drückte sie den Zettel samt der Zukunftsfrage mit ein paar Heftzwecken an die Wand.
„Da wollen wir doch mal sehen, was wir für Sie tun können, Frau Kübler“, murmelte sie und wandte sich dem Monitor zu. Nach Neun war sie die Letzte, die das Großraumbüro verließ.

Sie fuhr den Rechner am Morgen wieder hoch und sah in den elektronischen Briefkasten. Die Besprechungsanfrage von Bungert hatte sie erwartet. Eine andere Titelzeile aber stach noch deutlicher hervor: ‚Anfrage zur Express-Vermittlung des Modells Antonia‘. Lächelnd nahm sie den Zettel von der Wand und ging in Richtung Chefbüro. Selten bringt jemand den Pokal zur Siegerehrung selbst mit. Es war, mit Verlaub, ein guter Tag und es war definitiv der beste in dieser Woche.

Letzte Aktualisierung: 17.04.2011 - 18.37 Uhr
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