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Traumfrau/-mann | April 2011

Mannsbild
von Martina Bracke

Er lachte mich jeden Morgen an. Sein Lachen erreichte dabei seine Augen, und damit nahm er mich sofort gefangen. Meine Laune hob sich, und meine Mundwinkel konnten nicht anders, als ein Lächeln zurückzugeben. Manchmal blickte er auch ernst, meist um die Mittagszeit, auch wenn ich es nicht jeden Tag schaffte, ihn mittags zu treffen. Abends strahlte er dann wieder, und die Last des Tages fiel ab. Dunkles Haar fiel ihm locker ins Gesicht, das männlich-markante Züge hatte.
Meine Kolleginnen hatten ihn längst gesehen und machten sich manchmal über ihn lustig, ein solches Mannsbild könne es gar nicht geben, irgendwo müsse ein Haken sein. Ihre Anspielungen ignorierte ich und behielt ihn für mich. Ganz allein.
Ich kannte jede seiner Posen, die er einnahm. Manchmal musste ich über sie schmunzeln. Am liebsten mochte ich es, wenn er lässig auf dem Sofa ruhte, nur mit einer wirklich sexy Unterhose bekleidet, ein Bein angewinkelt und den Kopf mir mit wissendem und verlockendem Blick zugewandt. Dann wollte ich ihn berühren, ihm nahe sein, mit ihm die ganze Fläche des Sofas nutzen.
Ich spürte, wie seine Finger über meine Wange strichen, er die Konturen meines Gesichtes nachzeichnete, als wäre er ein Bildhauer und ich seine liebste Muse. Wir waren uns nahe, und sein Kuss schmeckte süß und herb zugleich. Ich forderte meinen Raum auf dem Sofa, und meine Haut prickelte überall dort, wo wir uns berühren mussten. Er stützte sich auf einen Ellenbogen, um mich näher zu betrachten und hatte immer noch eine Hand frei, mit der er jeden Zentimeter meiner Haut erkundete. Hin und wieder stockte mir der Atem, und ich konnte nichts anderes tun, als ihm unverwandt in die Augen zu schauen. Manchmal löste ich mich aber auch und wanderte selbst über seinen Körper, der sich so wunderbar anfühlte – seine glatt rasierten Wangen, die pulsierende Halsschlagader und seine völlig haarfreie, muskulöse Brust. Wenn ich an seinem Bauch anlangte, überfielen mich Zweifel, ob er mich wirklich lieben könne, kein Gramm Fett war an ihm zuviel. Doch seine Liebkosung meiner eher rubenshaften Rundungen verscheuchten meine Zweifel, und ich konnte mich ganz den seligmachenden Empfindungen hingeben, die mir die Nächte versüßten und mir wenig Schlaf gönnten. Ich liebte ihn und stellte mir ein Glück von ewiger Dauer vor, mit dem ich mich tagsüber im Büro in Träumen verlor.
Unsere Beziehung dauerte genau vier Wochen. Dann verschwand er von der Bildfläche. Ich sah noch ein letztes Mal in seine unvergleichlichen Augen, bevor die Plakatkleber auch diesen Teil der Werbekampagne einer bekannten Modemarke bedeckten. Ihr folgten die quaderförmig verpackten Megaperls einer ebenso bekannten Waschmittelfabrikation samt dazugehörigem Nachfüllpack und – nur für kurze Zeit – mit einem kuscheligen Stofftier in jeder Großpackung. „--, da weiß man, was man hat.“

Letzte Aktualisierung: 23.04.2011 - 12.37 Uhr
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