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Traumfrau/-mann | April 2011

Ihr Tag
von Ute Jürgens

Das Kleid saß wie angegossen. Das war auch zu erwarten gewesen; schließlich hatte sie sich extra in die Mannequin-Größe hineingehungert und war in diesem Monat noch dreimal bei Bruce Oldfield zur Anprobe gewesen. Ein Traum aus perlmuttfarbener Seide. Kate betrachtete sich im Spiegel, während der Friseur an ihren Haaren arbeitete. Wenn sie schon denselben Designer nehmen musste wie Diana damals, dann wollte sie zumindest ihren eigenen Stil betonen. Auf gar keinen Fall Puffärmel, kein Aschenputtel-Kleid! Das Ergebnis war fast schon schlicht; elegant und mädchenhaft zugleich betonte es ihre grazile Figur.

„Es ist neun Uhr Ortszeit an einem strahlend schönen Tag in London. Ich stehe hier vor Westminster Abbey, wo ich Zeuge eines prachtvollen Defilées werde: Bereits seit gut vierzig Minuten ziehen hier die Hochzeitsgäste ein und es wird noch einmal ebenso lange dauern, bis mit dem Premierminister der letzte Gast vor der königlichen Familie die Kirche betreten haben wird. Soeben habe ich den Ex-Freund von Kate Middleton im Gespräch mit einer früheren Freundin von Prinz William gesehen; die beiden schienen sich angeregt zu unterhalten. Ja, liebe Zuschauer, auch die Royals sind modern geworden: im Gegensatz zu Lady Diana darf Kate Middleton – oder Lady Catherine, wie sie ab heute genannt wird – nicht nur Ex-Freunde haben, sie dürfen sogar zur Hochzeit erscheinen! Aber schauen wir einmal, wer noch gekommen ist.“

Das Spiegelbild war perfekt. Wer war diese Frau, die ihr so ernst ins Gesicht sah?
„Lady Catherine“ ab heute, offiziell „Prinzessin William von Wales“. Nicht mehr Kate? Sicher nicht mehr „waity Katie“, wie manche sie spöttisch genannt hatten. Ihre Mundwinkel zuckten kurz, was den Friseur zu einem vorauseilend entschuldigenden „Sorry“ veranlasste. „Oh, it´s okay!“
Was wussten die schon. Es hatte sich schließlich gelohnt, zu warten. Auf den Traummann zu warten war´s doch wert, oder? Ihr Blick fiel auf die Uhr. Viertel nach zehn. Er müsste soeben in der Kirche eingetroffen sein. Jetzt wartete er auf sie.
Dort, wo seine Großmutter geheiratet, wo man seine Mutter betrauert hatte.
Kate verkniff sich einen Seufzer. Seine Mutter. Seit Oktober trug sie nun deren Ring. Einen Verlobungsring hatte sie sich ja gewünscht, aber diesen? Das war ein Punkt von vielen, in denen sie keine Wahl gehabt hatte. Vielleicht durfte sie ihn nach der Hochzeit ablegen? Mit William konnte sie das nicht besprechen … aber mit Camilla; ja, Camilla würde ihr hier raten können.

„Die Stimmung vor Westminster Abbey ist phantastisch. Tausende schwenken hier ihre Fähnchen und warten auf das Brautpaar, viele sind extra für diesen Tag angereist. Ich traf hier gerade eine ganze Gruppe aus Australien; diese Frau gestand mir, dass sie beinahe so aufgeregt sei wie bei ihrer eigenen Hochzeit!
Für viele Zuschauerinnen erfüllt sich hier der geheime Traum eines jeden Mädchens: Die kleine Kate vom Lande, aus dem verschlafenen Örtchen Bucklebury, findet ihren Prinzen und heiratet ihn. Dabei sah es vor vier Jahren fast so aus, als wäre der Traum geplatzt – gescheitert an den hohen Erwartungen und dem Druck der Öffentlichkeit. Aber wie wir alle wissen, haben die zwei sich ja zum Glück versöhnt. Und nun liebt nicht nur die Öffentlichkeit ihre Kate: auch die Queen ist offenbar sehr angetan von der Braut ihres Lieblingsenkels William. Die royale Ausbildung, der Kate sich unterzogen hat, hat sich ganz offensichtlich gelohnt.
Wie es heißt, hat ihr dabei besonders Camilla geholfen, die hier soeben an der Seite von Prinz Charles eintrifft. Ja, liebe Zuschauer, wenn eine noch mehr Erfahrung als unsere „waity Katie“ darin hat, was es heißt, auf den Traumprinzen zu warten und vor der Öffentlichkeit die Zähne zusammenzubeißen und zu lächeln, dann ist es Camilla.“

In zehn Minuten würde sie mit ihrem Vater in den Rolls Royce steigen und zur Westminster Abbey fahren. Dann war es soweit. Ihr Traum erfüllte sich.
Warum blickte die Frau im Spiegel so ernst? War es nicht das, was sie sich gewünscht hatte?
Sie würde nicht mehr in London leben, sondern in Nord-Wales, wo William als Pilot stationiert war. Etwas anderes war nie in Frage gekommen. Sie würde nicht arbeiten; sie würde repräsentieren, an seiner Seite. Das hatte sie nun weiß Gott gelernt in den letzten Jahren. Mehr noch als bisher würde jeder ihrer Schritte beobachtet werden. Immerhin keine Leibwachen direkt vor der Schlafzimmertür, das hatte sie sich ausbedungen. Kate musste lächeln, als sie an ihre WG-Zeit in St. Andrews zurück dachte. Wie locker damals alles gewesen war, trotz der ganzen royalen do’s und don’ts; und wie spannend! Sie sehnte sich manchmal nach dieser Zeit.
Ein ganz normales Leben, in einem ganz normalen Haus … War das möglich? Immerhin hatte schon einmal ein Thronfolger seiner Frau zuliebe abgedankt … Was wäre William bereit, für sie zu tun? Wenn sie seine Traumfrau war – würde er ihr zuliebe abdanken, würde er auf seinen Platz zwei in der Thronfolge verzichten?
Plötzlich musste sie kichern: Au weia, dann wäre Harry Thronfolger – da wäre die Queen bestimmt „not amused“.
Nein, so etwas kam wohl nicht in Frage. Warum auch? Sie war doch die perfekte Prinzessin; hatte es immer sein wollen.

„Liebe Zuschauer, wir nähern uns dem Höhepunkt des heutigen Tages: In diesem Augenblick hat Queen Elizabeth die Zweite an der Seite ihres Mannes Prinz Philip in Westminster Abbey Platz genommen; die königliche Familie ist damit komplett. Das letzte Großereignis hier in ähnlicher Zusammensetzung war die Beisetzung von Lady Diana vor zehn Jahren. Was mag jetzt durch die Köpfe der Royals gehen? Wieder tritt eine schöne junge Frau in den Kreis dieser Familie; eine Frau, die nicht schon ihr Leben lang an königliche Pflichten gewöhnt ist, wie Elizabeth es damals war. Wird diese „love story“ ein happy end haben? Immerhin ist es eine love story, eine Liebesheirat – und das wollen wir heute feiern!
Prinz William wirkt sichtlich nervös, seine Kate müsste nun jeden Moment eintreffen. Prinz Harry macht seinen Job übrigens ausgezeichnet, er weicht keinen Moment von der Seite seines Bruders, beruhigt ihn und lockert die gespannte Atmosphäre mit gelegentlichen kleinen Scherzen auf. Respekt, auch er scheint inzwischen in seine königliche Rolle hineingewachsen zu sein.
Aber zurück zum Portal, wo die Braut nun erwartet wird.“

Sie zögert. Der Page öffnet die Wagentür – und lehnt sie taktvoll wieder an, als ihm klar wird, dass die Braut noch nicht bereit ist, auszusteigen.

„Was ist das? Der königliche Rolls Royce ist vorgefahren, aber die Braut steigt nicht aus! Ich kann nicht sagen, was hier vor sich geht, aber es sieht so aus, als rede sie mit ihrem Vater …
Nicht nur bei Ladbrokes dürfte jetzt der Puls ansteigen; die Wetten stehen immerhin hundert zu eins, dass Kate ihren William vor dem Altar stehen lässt. Aber wir haben doch nicht wirklich damit gerechnet! Los, Kate, auf diesen Tag hast du so lange gewartet – jetzt gib dir einen Ruck und komm in die Kirche, dein Prinz wartet auf dich! Da …“

„Dad - am I doing right? Is this what I´m meant to be?”
“Oh Katie, my dear Katie … you are alright, whatever you do, okay?! Mum and me, we will always love you.”
“Oh daddy, I don´t know what to do …”
“Listen: If you want to be a princess – you´ll always be my little princess. But if you want to marry this man, William, if you want to be his wife and share everything with him, good times and bad times, if you love him – then jump out of this car and hurry up into this church!”
“Daddy … thank you! I´m late, hm? Okay, let´s go!”



“… da öffnet sich die Tür des Rolls Royce ein zweites Mal … und jetzt steigt sie endlich aus! Was immer da los gewesen sein mag, hier schreitet eine strahlend schöne Braut in die Westminster Abbey. Sie sieht glücklich aus, an diesem Tag, der ihr Tag ist – der schönste Tag im Leben einer Frau. Die Orgel erklingt schon, das Portal schließt sich – wir schalten jetzt life in die Westminster Abbey, wo in wenigen Minuten Kate Middleton ihrem Prinzen das Ja-Wort geben und damit zu „Prinzessin William von Wales“ werden wird.“

Letzte Aktualisierung: 27.04.2011 - 14.03 Uhr
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