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Traumfrau/-mann | April 2011

Das Kleeblatt
von Thea Derado

Joi, joi, was war das für ein Trubel! Alle wollten zu deinem vermutlich letzten Geburtstag noch einmal bei dir sein, mein Wolfram, auch die Enkelkinder.
Hoffnungslos, meinen alle Ärzte. Was für ein Pech aber auch, keine Menschenseele weit und breit, und dich haut‘s vom Fahrrad! Viel zu spät wurdest du auf Schlaganfall behandelt. Als die Reha dann sachte was brachte, hat der zweite Schlag dich völlig außer Gefecht gesetzt. Nicht mal mehr reden kannst du. Eine Tragödie! Ich weiß, wie sehr du wünschst, dass es bald vorbei ist. Lass dich zärtlich drücken, mein armer Schatz, ich pfleg dich ja gern.
Du bist wieder ganz zusammengesackt. Hauruck! So, und jetzt lass dir dein Lätzchen umbinden. Das Essen habe ich püriert, da rutscht’s besser.
Nachher wirst du noch eine schöne Geburtstagsüberraschung erleben. Du erinnerst dich doch sicher noch an Anne, deine Jugendliebe. Nun schau nicht so verwundert. Mach trotzdem den Mund schön weit auf, sonst kann ich dich ja gar nicht füttern.
Dachtest, ich wüsste nichts von Anne? Haha! Haben wir gut vor dir verheimlicht: Anne ist meine ältere Cousine. Als Student hast du sie am Nacktbadestrand kennen gelernt. Ja, sie hat mir alles erzählt. Nicht gleich am Anfang, da war ich noch zu klein für sowas. Weißt du noch: ihr Tatoo unterhalb des Nabels? Jetzt leuchten deine Augen. Damals am Baggersee verhedderte sich dein Blick in der Blumengirlande auf ihrem Unterleib. Bald konnte jeder sehen, was in deinem Kopf oder weiter unten vor sich ging. Anne fand das lustig und warf dir ein Tuch zu. Hals über Kopf habt ihr euch ineinander verliebt. Gleich am ersten Abend ging’s zur Sache. Was kann einem liebeshungrigen Hengst Besseres begegnen, als eine erfahrene Lehrmeisterin, die ihn mit kundiger Hand in alle Liebes-Künste einführt.
Anne schwärmte von dir, deinem durchtrainierten Körper, deinem knackigen Po. Ach ja, es ist ein Jammer, was daraus geworden ist. Ein Häuflein Elend im Rollstuhl. Mein lahmer Wolf!
Wenn du versuchst, etwas zu sagen, klingt das wie ein zaghaftes Grunzen. Nun ärger dich doch nicht!
Annes Tatoo ist in den Jahren in die Breite gegangen. Du wirst es ja nachher sehen. Ja, das ist Teil der Ãœberraschung.
Damals studiertest du tagsüber an der TU, aber nachts mit ihr das Kamasutra, von vorn und hinten. Anne hatte damals schon eine gute Stellung.
Grins nicht, dabei verrutscht dein ohnehin schiefer Mund nur noch mehr. Ich meine doch nicht so eine Stellung! Beruflich! Sie verdiente gut, hatte ein Auto und konnte eure kleinen Reisen und Eskapaden locker bezahlen. Sie hat dich genauso genossen wie du sie. Je mehr sie mir erzählte, desto begieriger wurde ich, dich näher kennen zu lernen, dich auch selbst zu spüren.
Mit siebzehn durfte ich dich dann übernehmen. Du warst Ingenieur. Fertig, in jeder Beziehung. Die kundige Anne brauchtest du nicht mehr und verlorst die Lust an ihr. Aber sie wollte dich, das Produkt ihres Eifers, nicht einer fremden Frau überlassen. Ohne dass du es ahnen konntest, lancierte sie mich in deine Arme. Sie hatte erkannt, du brauchtest nun eine Jüngere, eine, die dich anhimmeln würde, für die du Ritter und Beschützer und auch Familienvater sein konntest. Sie riet mir, ja nicht zu versuchen, dominant zu sein.
Erinnerst du dich an unsere erste Begegnung? Ich muss noch immer lachen. Du kamst aus dem Werksgelände und ich stolperte und fiel dir zu Füßen. Ganz erschrocken warst du, halfst mir auf, sanft aber doch bestimmt. Besorgt führtest du mich in die nahe gelegene Eisdiele. Und wie schnell jegliches Eis schmolz!
Du warst zärtlich und einfühlsam und hast mir genug Zeit gelassen. Dann an meinem achtzehnten Geburtstag hast du dich mir geschenkt. Oder ich mich dir. ‚Beate, meine Glückliche‘, sagtest du oft, wenn ich in deinen Armen verging. Ach, Liebling, ich konnte gar nicht mehr von dir lassen, so schrecklich verliebt war ich! Ich liebe dich noch immer. Das klingt unwahrscheinlich, so jämmerlich wie du jetzt aussiehst. Vermutlich helfen dabei gute Erinnerungen an frühere Gefühle. Für das schöne Leben mit dir danke ich dir von Herzen.
Ach, sabber doch nicht so sehr! Du lässt ja das ganze Essen wieder aus dem Mund laufen. Nachher kommen Anne und Cilly zum Gratulieren. Gell, jetzt bist du platt? Heute ist der Tag, wo die Katze aus dem Sack gelassen wird: Cilly ist auch eine Verwandte, meine Nichte. Auch sie haben wir auf dich angespitzt, als du in die Wechseljahre kamst. Es ließ sich nicht leugnen, dass du mich gegen eine Frischzelle auswechseln wolltest. So seid ihr Männer nun mal. Ich war ja wohl auch recht beschäftigt, mit unseren drei Kindern, dem Garten, dem Haus. Du sahst in mir nur noch das Heimchen am Herd. Weißt ja selbst, wie widersprüchlich die Wünsche von euch Männern sind: Mal sollen wir willenlos hingebungsvoll sein, dann wieder die Managerin so eines doch recht komplexen Haushaltes, die sich mit Handwerkern, Ämtern und Lehrern rumschlägt. Nonne, Nutte und Mutter in einem. Wir Frauen sind ja vielseitig, von Natur aus. Aber doch nicht alles im selben Augenblick!
Anne und ich beschlossen jedenfalls, du solltest in der Familie bleiben. Und so schwärmten wir Cilly von dir vor, bis sie sich vor lauter Neugierde in deiner Abteilung bewarb. Du suchtest eine Mitarbeiterin, die mit dem Computer umgehen konnte. Sie war ja so fit darin. Ganz schnell hatte sie deine Programme im Griff – und dich auch. Anne hat darauf geachtet, dass der Minirock noch kürzer wurde und der enge Pullover so tief ausgeschnitten und eng, dass dir die Luft wegbleiben musste. Das hat ja vorzüglich geklappt, mein gieriges Wölfchen.
Du überlegst, ob ich nicht eifersüchtig war? Klar doch, war ich. Aber was konnte ich machen gegen dein Naturell! Eine Scheidung wollte ich auf keinen Fall. Du sorgtest ja ausreichend für die Kinder und mich. Dein schlechtes Gewissen ließ mir dann doch hin und wieder Streicheleinheiten zukommen. Außerdem habe ich es schon als junges Mädchen nicht verstehen können, warum gekränkte Ehefrauen für den Rest ihres Lebens auf den geliebten Mann verzichten wollen. Nur weil er für kurze Zeit andere beglückt und frei über seine eigenen Körperteile verfügt?
Falls du dich irgendwann hättest von mir dauerhaft trennen wollen, habe ich vorgesorgt. Ich hatte ja genug Zeit, und so setzte ich mich nochmals auf die Schulbank und besuchte einen Heilpraktiker-Kurs. Siehst du, jetzt wo ich dich pflegen muss, kommt dir das auch zugute.
Bist du stolz auf mich? Ja, doch. Die Kinder sind aus dem Haus, und ich habe eine Perspektive, wenn du nicht mehr bei mir sein wirst. Ich dachte mir, dass dir das eine Sorge abnimmt. Ja, gewiss, die Witwenpension. Schau, wenn die Enkel größer werden, dann kann ich den Kindern auch in deinem Namen unter die Arme greifen. Und von deiner Rente plane ich mit Anne und Cilly eine ausgedehnte Reise; als deine drei Witwen.
Mund auf! Ja, brav. So bekommst du auch den kostbaren Rest noch rein.
Weißt du, Wolfi, mit Anne und Cilly bin ich zu der Einsicht gekommen, dass wir eigentlich nur zu dritt für dich die ideale Traumfrau waren. So eine Dreieinigkeit. Wie ein Kleeblatt auch drei Blätter hat. Jede von uns hatte ja eine wichtige Rolle in deinem Leben. Es wäre nicht so vollkommen gewesen, wenn eine von uns es nicht bereichert hätte. Drei Blättchen für ein Stängelchen, hihi.
Ich sehe, du stimmst mir zu. Deine Augen sind noch immer so lebhaft wie früher. Ich muss sie küssen.
Siehst du, Wolferl, deshalb sollst du heute, zu deinem letzten Geburtstag, uns alle drei einmal gemeinsam haben. Anne und Cilly werden gleich kommen. Wie du strahlst, das ist schön.
Sie werden mir helfen, dich in die Wanne zu heben. Das schaffe ich ja nicht alleine. Zu dritt werden wir dich liebevoll einseifen, waschen, abfrottieren. ‚Lass mich dein Badewasser schlürfen und dich dann trocken küssen dürfen‘, hast du früher manchmal gesungen, wenn du ganz meschugge warst. Das werden wir wohl nicht tun. Aber wir haben eine ganz tolle Liebesnacht mit dir geplant. Ja, alle drei! Das wird eine tolle Bettparty werden!
Du hast Zweifel? Kopf hoch, mein Lieber, du schaffst das schon. Ich weiß, es wird heut noch ein Wunder gescheh‘n, und es werden tausend Märchen wahr.
Warum ich mir da so sicher bin? Ach, die kleinen blauen Wunderpillen im Essen werden ihren Job schon machen. Bald wird Er sein Haupt erheben. Für jede vom Frauen-Kleeblatt ein Dragee. Du meinst, das sei zu viel? Oh, ich hoffe, ich hab nichts falsch gemacht, aber jede will doch noch einmal ihren Spaß mit dir haben. Nur zu dritt sind wir die wahre Traumfrau, denk dran. Wir werden eine grandiose Orgie feiern.
Schau mal, was ich in so einem esoterischen Sex-Laden für dich gekauft habe: einen magischen Stab für ‚griechische Massage‘. Manng-Bereich heißt das im Tantra. Dein Perineum wird damit stimuliert. Vorn ist noch ein Vibratorkopf. Du wirst heute jauchzend die Englein singen hören, mein Schatz.
Oh, da klingelt es! Das sind sie schon!
Vermutlich wird dir abschließend auch dein letzter Wunsch erfüllt werden: Nach meinen medizinischen Kenntnissen sollte diese ungewohnte körperliche Belastung den dritten Schlaganfall auslösen. Rein statistisch überlebt den so gut wie keiner.
Ist das nicht ein wunderschöner Tod?

Letzte Aktualisierung: 22.04.2011 - 11.40 Uhr
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