Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Lars saß vor seinem leeren Schreibblock und kaute am Füller herum. Wieder einmal bestätigten sich seine unterschwelligen, nein, eigentlich seine längst fundierten Ahnungen: Die Schule war ausschließlich dazu da, Kinder sinnlos zu beschäftigen!
Das pädagogische Übergewicht hatte dazu aufgerufen, einen Aufsatz zu verfassen. An sich schon eine völlig überflüssige Angelegenheit im Leben eines Neunjährigen … Nun aber war dieses Mal auch die Themenstellung derart abstrus geraten, dass er insgeheim nur den Kopf schütteln konnte. „Schreibe eine Geschichte über Feen“. Feen! Was für ein Babykram! Jeder denkende Mensch wusste doch, dass es so etwas allerhöchstens in Märchen gab!
Das Ende von Lars´ Füller zeigte bereits bedenkliche Einbrüche. Nun ja, er kaute nicht zum ersten Mal darauf herum … Meist halfen der durch das Kauen vermehrte Speichelfluss sowie das Mahlen der Zähne auf der Plastikoberfläche ihm, auch seine Gehirnwindungen in angeregte Tätigkeit zu versetzen. Doch bei den Feen wollte sich diese trotz aller Anstrengung nicht einfinden.
Lars versuchte, sich eine Fee vorzustellen. Allein dies war schwierig. Klein, zart, beflügelt? Oder eher hässlich und grob wie ein Troll? Sämtliche bildhaften Anflüge lösten sich umgehend ins Nichts auf.
Er blickte um sich. Erstaunlich, wie eifrig die Klassenkameraden auf ihren Blöcken wüteten! Vor allem die Mädels hatten richtig verklärte Blicke und sanft gerötete Wangen bekommen … Lars seufzte bei dem Gedanken daran, dass er all die Ergüsse in absehbarer Zeit zu Gehör bekommen würde, nämlich wenn dann jeder seinen Aufsatz vorlesen musste. Als ihm bewusst wurde, dass auch er in die Rolle des Vorlesers berufen werden würde, seufzte er noch einmal so laut, dass selbst die Lehrkraft vorn am Pult überrascht zu ihm hinsah. Sie konnte ja nicht wissen, wie peinlich ihm schon jetzt dieser Augenblick war!
„Reiß dich zusammen, Junge“, munterte sich Lars selbst auf. „Konzentriere dich!“ Vor seinem inneren Auge entstand ein Wald. Viele Baumstümpfe zierten eine von der Sonne überflutete Waldwiese. Im Hintergrund erklang Sphärenmusik. Und da fuhr sie dahin, die Feenprinzessin! Ein ausgehöhlter Kürbis als goldene Kutsche, sechs weiße Mäuse als feurige Schimmel …
Ja, und das war es dann. Viel zu wenig für einen Aufsatz!
Lars würde bald einen neuen Füller brauchen, das sah er kommen. Man sollte ihn der Lehrerin in Rechnung stellen …
In seinem Hirn spulten sich Wörter ab, die er mit „Fee“ in Verbindung brachte. Vielleicht kam die rettende Idee ja auf diese Weise?
Feeta. Naja. Nö. Käse.
Feeler. Das konnte so nicht stimmen, Sah irgendwie blöd aus.
Feenchel. Schmeckte gräuslich, sollte aber gesund sein. Lars hatte keine Ahnung, ob dieses Gemüse feenhaft sein könnte.
Der Füller knarzte inzwischen beängstigend. Mama würde wohl sauer sein … Manno, wo blieb die Idee? Die Zeit lief!
Fee. Fee .. Fee …
Lars rümpfte die Nase. Auch das noch! Da hatte doch wieder einer gepupst? Wahrscheinlich der Ahmed. Wieder zu viel Knoblauch gegessen … Ekelhaft!
Also, da sollte echt mal ´ne Fee …
Ha! Da war sie, die Idee!
Lars nahm den Füller aus dem Mund, rückte den Block gerade und begann zu schreiben.
„Die Stinkefee
Es war einmal eine Fee. Sie hies Lisa. Sie war leider gar nicht anmuhtig und zierlich. Lisa spielte am liebsten im Dreck. Sie hatte auch keine Lust, sich zu waschen. In der Feenschule wollte wegen dem keine andere Fee neben ihr sizen. Alle doiteten mit dem Finger auf sie und riefen: ´Bä, da kommt die Stinkefee!´ Lisas Mama redete sich den Mund fuselig, aber das half auch nichts. Ihre Tochter war und blieb eine Stinkefee. Da ging die Mutter zu einem Feenzauberer und klagte ihm ihr Leid. Weil sie wuste selber keinen Zauber gegen so was. Der Zauberer sagte: ´Komm in einer Woche wieder, dann gebe ich dir ein Zaubermittel!´ Nach der Woche gab er ihr eine Sprühflasche mit dem Zaubermittel. ´Sprühe das auf deine Tochter und sie wird riechen wie ein Veilchen!´ Die Mutter bedankte sich und eilte nach Hause. Sie fand Lisa im Schweinestall, wo sie gerade die Ferkel an sich drükte. Rasch sprühte sie das Wundermittel über sie. Die Ferkel quikten und ergriffen die Flucht. Lisa schrie: ´Was machst du da, Mama?´ Aber es war zu spät. Die feinen Tröpfchen hatten sich wie ein Mantel über sie gelegt. Und sie roch ab sofort wie ein Veilchen. Leider hatte die Mutter etwas viel von dem Mittel versprüht. Nun rochen erstens auch die Ferkel wie Veilchen und ließen sich wegen das nicht mehr verkaufen. Weil wer will schon ein Schnitzel haben, das nach Veilchen schmeckt? Und zweitens war Lisas Veilchengeruhch so stark, dass jeder, wo mit ihr zusammen war, nach kurzer Zeit Kopfschmehrzen bekam. So blieb sie leider doch eine Stinkefee, aber eine, die wo nach Veilchen stank.“
Zufrieden lehnte sich Lars zurück. Da war ihm im letzten Moment ja doch noch eine Glanzleistung geglückt!
Er gab sein Blatt bei der Lehrerin ab und ging auf den Pausenhof. Dort biss er herzhaft in sein Schnitzelbrot …
Lars schaffte auf Grund guter naturwissenschaftlicher Leistungen das Abitur und studierte dann Chemie. Viele Jahre später entwickelte er eine Substanz, mit welcher aus diversen Stoffen Gerüche gebunden werden können. Er füllte sie in Sprühflaschen ab und vermarktete sie in Erinnerung an seine bescheuerte Schulzeit unter dem Namen „Fee Bräs“. Da die Gesellschaft in steigendem Maße einen Wahn nach Sauberkeit entwickelt, wurde sein Produkt zu einem Verkaufsschlager – allerdings hatte man den Verkaufsnamen aus verkaufsstrategischen Gründen ein wenig verfeinert …
Letzte Aktualisierung: 17.05.2011 - 20.49 Uhr Dieser Text enthält 5648 Zeichen.