Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Fee | Mai 2011
Besser er hat Dose
von Robert Pfeffer

Mit einem Lächeln zog Alessandro Miracolo die Tür ins Schloss. Der Schnuller in seiner Manteltasche war noch glitschig. Er nahm den Sauger heraus und betrachtete ihn eine Weile. Das Ding erinnerte ihn an seine täglichen eigenen oralen Phasen. Er schlug den Mantelkragen hoch und ging durchs Treppenhaus ins Freie. Der kalten Nachtluft setzte er die Hitze einer Zigarette entgegen und blies mit dem Rauch die Anspannung hinaus. Seit langer Zeit war er wieder einmal unsicher gewesen, wie ein Kunde auf seine Ansprache reagiert. In der Kommunikation mit Dreijährigen war er definitiv aus der Übung. Als er den Auftrag erhielt, beim kleinen Paul dafür zu sorgen, dass der seinen Schnuller abgibt, lehnte er zunächst vehement ab. Die Zentrale hatte sogar Verständnis für Alessandros Protest, pochte allerdings darauf, dass kein anderer den Einsatz übernehmen könnte. Die Schnullerfee für seinen Bezirk war wegen Burnout in Kur und er der einzig verfügbare Vertreter.

Entgegen seiner eigenen Erwartung war die Mission ein voller Erfolg für Signore Miracolo. Paul war zwar anfangs unwillig, den Ersatzdaumen abzugeben, aber Alessandro wusste aus seinem eigentlichen Fachgebiet: Wenn das Angebot stimmt, ging meist alles ziemlich schnell. Schnuller gegen Handy und schon war die Sache geritzt. Dass eines der dreißig Geräte aus seiner Manteltasche von großem Reiz für den kleinen Kerl sein würde, da war er sicher. Dennoch hatte der Mann mit dem gelgetränkten Schopf wenig Lust, auf Dauer den Job seiner Kollegin zu machen. Einmal Schnullerfee-Vertreter und nicht wieder. Er beschloss, den Erfolg des Abends zu feiern und steuerte eine nahegelegene Bar an. An der Theke bestellte er ein Bier und zündete sich die nächste Zigarette an. Da klingelte es in seiner Hosentasche. Im Display erschien das Wort ‚Zentrale‘.

„Pronto! Wasse wollt ihr jetzt noch? I habe die Snuller von Paolo! Und i habe nu Feieraben!“
„N‘Abend Alessandro, Servatius hier, aus der Dispo. Ich will nicht großartig stören. Nur dein neuer Auftrag für morgen. Du musst früh raus.“
„Habte ihr eine Knall? I klaue nich um vier Uhr eine kleine Kind die Snuller, claro? Iste Geschrei für ganze Tag! Die arme Eltern.“
„Bleib locker. Ist noch nicht klar, welche deiner Qualitäten gefragt sind. Schau dir das erst mal an. Unser Kunde heißt Maurice Feustel, ein Boxer. Soll in zwei Monaten um die Weltmeisterschaft kämpfen. Aus seinem Stall erreichte uns vorhin der übliche Notruf.“
„Seine Stall? Släfte de Typ auf Stroh?“
„Nein, sein Box-Stall natürlich.“
„Und was habe die genau gerufe?“
„Nur ‚Himmel hilf‘, mehr steht hier nicht auf dem Zettel. Wir haben ne Erstversorgung runtergeschickt, die hat mit Feustels Coach gesprochen. Der meinte, dass sein Schützling immer total unausgeschlafen ist. Hat wohl was mit nem Handy zu tun, deshalb musst du den Job machen.“
„Un warum mitten in die Nacht aufstehe?“
„Feustel joggt vor dem Frühstück. Start vor seinem Haus ist um fünf.“
„I soll eine Marathon laufe mit eine Boxer? Weiße du was? Sage Kollegin Snullerfee Bescheid, die soll versuche. Kann sie die Burnout weglaufe!“
„Der Job ist superwichtig, hörst du? Wenn wir die Probleme von so einem lösen, dann regnet‘s Aufträge, kapiert? Und du bist unser bestes Pferd im Stall. Also ... Harthofstraße sieben, sei pünktlich vor der Tür, Alessandro. Schlaf gut und versau es nicht!“
Der Mann im lackglänzend schwarzen Mantel blickte ungläubig auf sein Handy, schüttelte den Kopf und beschloss bei einer Flasche Averna darüber nachzudenken, ob und wo er in seiner Wohnung noch Sportschuhe finden würde.

Aus Mangel an Alternativen erklärte Miracolo ein Paar Espadrilles zum geeigneten Schuhwerk und schlappte kurz vor fünf Uhr müden Schrittes auf das Haus in der Harthofstraße zu. Das Azurblau seines Trainingsanzuges mit dem Schriftzug ‚Italia‘ auf der Brust kam in der Dunkelheit des nebligen Morgens über ein Blaugrau nicht hinaus. Einige Minuten später öffnete sich die Haustüre.
„Buon giorno. Sinde Sie Maurice Feustel?“
„Ja, bin ich. Wieso?“
Der Jogger wider Willen steckte sich die erste Zigarette des Tages an und inhalierte seine Form des Aufwärmens für die Laufrunde.
„Alessandro mein Name, Alessandro Miracolo. I hab gehört, Sie habe ein Problem. Sind immer so müde. Warum Sie könne nicht slafe?“
„Was geht dich das denn an?“
„Oh, eigentlich nix, da habe Sie recht. Aber hatte uns jemand gerufe Sie zu helfe.“
„Ach ja? Und wer?“
„Ihre Trainer.“
„Das hätte er mir gesagt.“
„Ah ... nee. Er war alleine, als er hat nach uns gerufe. War eine ... wie sagt man hier? Stoßegebete?“
„Willst du ein paar auf‘s Maul, oder was?“
„No, auf keine Fall. Muss heute noch viel arbeite, da ist schlecht mit Beulen in Gesicht.“
„Wer bist du, verdammt nochmal?“
„I bin ein Handyfee. Normal i geh zu Leute, die Probleme haben mit Handysucht. I nehm dene das Ding ab für zwei oder drei Monat und sie könne sich erhole. Später sie kriege wieder und benutze nur noch, wenn wirklich sein muss. Was iste mit Ihre Handy? Und warum könne Sie nicht slafe?“
„Hä? Handyfee? Ich muss jetzt laufen, für so einen Schwachsinn hab ich keine Zeit, ok?“
„Lauf i ein Stück mit ...“, sagte Alessandro und kämpfte standhaft bis an die erste Kreuzung. Dann bat er den Boxer, anzuhalten.
„I kenne das. Leute glaube nie, dass es gibt ein Handyfee“, keuchte er. „Aber iste Wahrheit. Wenn Leute rufe ‚Himmel hilf‘, wir sin da. Iste unsere Job. I will wirklich nur helfe.“
„Was kannst du schon gegen meine Müdigkeit tun?“
„Da vorn ist ein Bäckerei. Lass uns sitzen und trinken eine Kaffee.“

Hinter dem Schaufenster der Backstube begann eine wilde Diskussion. Innerhalb einer Viertelstunde zog Maurice Alessandro vier Mal am Kragen über den Tisch. Ebenso oft erschien eine schwergewichtige Verkäuferin und löste den Infight mit der Autorität einer Ringrichterin auf. Zwischen den beiden lagen ein Handy, ein Schnuller sowie eine kleine durchsichtige Dose. Als sie später durch die Tür hinaus in den Morgen traten, zitterten sie. Der Boxer wie die Wasseroberfläche eines Geysirs kurz vor dem Ausbruch und Miracolo wie ein Schuljunge, der die Ohrfeige des Vaters nach einer Fünf in der Deutsch-Arbeit fürchtet. Mehrfach zog Feustel sein Telefon aus der Hosentasche, sah drauf und ließ es wieder hineinrutschen. Bereits ausgeschaltet lag es danach für einige Minuten noch in seiner Hand. Er schien Erleuchtung zu suchen im wandernden Blick auf ein dunkles Display, den grauen Himmel und eine Phalanx aus Körnerbrötchen. In einer die Zeit dehnenden Bewegung hob das Kraftpaket schließlich den Arm und hielt dem bibbernden Alessandro das Gerät hin. Der zögerte, als erwarte er beim Zugreifen den Biss einer Schlange, packte dann aber doch beherzt zu und nickte.
„Wir mache wie besproche. I seh dich in zwei Monate zu deine Kampf.“
Maurice joggte zügig davon und verschwand um die nächste Ecke.

***

Er kletterte auf die Seile und reckte den monströsen Gürtel in die Höhe. Die Zuschauer belohnten ihn mit einem Orkan der Begeisterung, skandierten ‚Mo-Mo‘ und feierten den neuen Weltmeister. Zwei Stunden später saßen Erich Flesch, Feustels Trainer, und Alessandro mit einem dem Anlass angemessenen großen Bier an der Theke des Arena-Lokals und schauten auf die Wiederholung der siebten Runde, in der Maurice den bisherigen Champion auf die Bretter schickte.
„Ich hätte nicht gedacht, dass wir das noch schaffen“, sagte Flesch. „Er war immer sowas von müde, dass er nie richtig fit wurde. Was haben Sie mit ihm gemacht?“
„Oh, nur normale Vertrag. Ok, bisschen speziell war schon.“
„Was heißt das im Detail?“
„Problem war die Baby. Seine Sohn hat jede Nacht gebrüllt. Aber Mo hat gesagt, dass soll werden harte Mann. Da geht nix Snuller. Sohn muss lerne, ohne das zu slafe.“
„Bescheuert. Hat er mir nie erzählt von.“
„Ah, muss man sehe gesamte Sache. War ja auch noch die Handy das andere Problem. Hat er immer gelegt in Wiege.“
„Er hat seinem acht Monate alten Kind ein Telefon ins Bett gelegt?“
„Si, iste schon seltsam, was? Hatte gemacht, weil von die Widerstand gegen Funkwelle seine Sohn wird noch kräftiger.“
„Bitte? Das ist doch der totale Schwachsinn. Wie kommt man denn auf sowas?“
„Er hat gesagt, hätte irgendwo gelese.“
„Mo liest? Das wäre mir neu.“
„War i mir auch nich sicher. Jedefalls, i hab gesagt, wenn er nie slafe, er wird nich Weltmeister, wird auch früher sterbe, weil seine Körper geht kaputt und er hat kein Freude mehr an seine Sohn. Dann sind wir laufe gewese. Und er hat mir gegebe sein Handy.“
Flesch nahm einen tiefen Zug aus dem Glas und schüttelte den Kopf.
„Funkwellen machen widerstandsfähig ... was sagt man dazu? Wie haben Sie denn sein Telefon bekommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es freiwillig rausgerückt hat.“
„Wir habe gemacht eine Tausch. I hab gekriegt die Handy, er eine Snuller und ein kleine Dose.“
„Das war alles? Wofür die Dose?“
„Die Snuller war für die Junge. Solle nachts reinmache, dann slafe Kind und auch Boxer. Und die Dose ...“ Alessandro lächelte. „Das war kleine Trick von mir. Muss i manchmal mache, sonst kriegen Leute nicht die Glück, was sie brauche.“
„Sie haben ihn an der Nase herumgeführt?“
„No, iste keine schöne Ausdruck. Hab i gesagt: Er muss gebe Handy und nehme Snuller, sonst könnte sein, dass Himmel nicht ganz auf seine Seite und er verliert. Und i müsste dann komme mit die Dose an die Ring und sammel wie Zahnfee seine Gebiss auf. Besser er hat Dose und wir tausche nach Kampf wieder.“

Letzte Aktualisierung: 20.05.2011 - 09.01 Uhr
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