Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Fee | Mai 2011
Spieglein, Spieglein an der Wand
von Monika Reidegeld

Er hatte ihr gesagt, sie solle sich vor den Spiegel stellen, dann würde sie sehen, dass sie „Scheiße’“ rüber kommt.

Der Spiegel log nicht. Er bewies überdeutlich, dass sie hässlich war.
Dieser fade Gesichtsausdruck und ihr Haar, das sie so gar nicht schmückte.
Ihre glanzlosen Augen blickten ihr Gegenüber ausdruckslos an. Die Schultern hingen kraftlos und entmutigt herab. Und das mit 17 Jahren.

Sie fand sich hässlich.

Auch als sie etwas zurücktrat, wurde der Eindruck nicht besser. Die unförmige Figur gehörte zu einem lächerlichen Wesen, das Felicitas hieß.
Beim genauen Hinsehen besaß ihre gesamte Gestalt die Form eines Fragezeichens.
Die Frage lautete: „Warum sehe ich derart scheußlich aus?“

Dabei hatte sie sich doch bis gestern sehr anmutig gefühlt. Viele bewunderten sie wegen ihrer grazilen Ausstrahlung und ihres Charmes.
Sonst hätte sie doch diesen Brief nicht geschrieben.

Noch einmal posierte sie vor dem Spiegel, wie sie es gestern Abend auch getan hatte.
Leichtfüßige Drehung nach links … den Kopf über die Schulter nach hinten drehen, ein hinreißendes Lächeln aufsetzen … sodann die Drehung nach rechts elegant beenden, ohne dass die Füße den Boden berühren und eine Blüte aus dem lichtblonden Haar fällt.

„Leichtfüßiges Dahinschweben“ hatte die Aufgabe geheißen.

Dennoch: Wenn sie sich so ansah, hatte er wohl Recht gehabt. Erst jetzt bemerkte sie es. Ihre Darbietung wirkte plump. Seltsam, dass sie das vorher nie bemerkt hatte.
Hätte sie doch diesen Brief nie geschrieben.

Felicitas trat näher an ihr gespiegeltes Ebenbild heran und betrachte ihr Gesicht eingehend.
Irgendetwas an ihr war unstimmig. Was nur?
Er allein wusste es, er war doch nicht grundlos der Jury-Gott bei Deutschlands next Super-Fee mit X-Faktor, kurz DNSFMXF genannt.

***

„Du bewegst dich wie dieses große graue Tier. Weißt du, das mit dem langen Rüssel“, hatte er gequäkt. „Das bewegt sich genau so ‚elegant’ wie du.“
Dann hatte er eine Kunstpause eingelegt und verächtlich gegrinst: „Aber ich will dieses Tier nicht beleidigen.“

Anschließend hatte er sich mit gespreizten Beinen unter dem Gejohle des Publikums in seinen gepolsterten Juroren-Sessel gelümmelt, und die Arme vor der Brust gekreuzt.
Und dann hatte er diesen Satz mit dem Spiegel hinterher geschleudert.
Der Lärmpegel war daraufhin noch einmal angeschwollen und er, er hatte schief gegrinst.
Er liebte diesen Tumult.

Die einzig weibliche Jurorin hatte daraufhin mit dünner Stimme gepiepst: „Ein bisschen abnehmen müsstest du schon. Denn nur eine kann Deutschlands next Super-Fee mit X-Faktor werden.“

Der dritte Juror hatte sich mit wichtiger Miene der Meinung seiner Vorredner angeschlossen und skeptisch seinen kahlen Kopf geschüttelt. Dann hatte er sie komplett abserviert: „Dass es dir aber auch komplett an Selbstbewusstsein fehlt …“

Felicitas hatte das Gefühl gehabt, dass sich ihr Körper genau in diesem Zeitpunkt zu einem Fragezeichen verbog.
Tapfer hatte sie versucht, sich zusammen zu nehmen.
Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass ein kleines glitzerndes Feen-Tränchen ihre medientauglich geschminkten Wangen hinunterlief.

Der Jury-Gott hatte ungehalten nachgesetzt: „Also jetzt mal ehrlich, wenn du dem hier nicht standhalten kannst, dann hast du im professionellen Feen-Geschäft nichts zu suchen. Wer hier antritt, muss Ehrlichkeit vertragen können. Die Business-Wirklichkeit ist noch viel härter. Sorry, aber darauf müssen wir dich vorbereiten.“
Und dann hatte er Beifall heischend hinter sich geblickt.
Wieder toste das Publikum.

***

Karabossa saß in ihrer Feen-Grotte vor dem Fernseher und sah die Show von Beginn an.

Gerade wurde der selbsternannte Jury-Gott lautstark angekündigt. Gleichzeitig mit den Spots knipste er sein anzügliches Haifischlächeln an und winkte gönnerhaft in die Runde. Dann durchschritt er die Halle um auf seinen Jury-Thron Platz zu nehmen.
Heute trug er einen silbernen Glitzeranzug und Cowboystiefel.
Seine furchentiefen Falten waren legendär. Er war unantastbar und man munkelte, dass er Affären mit vielen blonden Kandidatinnen hatte.

Karabossa fuhr sich durch ihre lange schwarze Mähne und atmete schwer. Sie hatte es nicht geschafft, ihre Freundin Felicitas von der Teilnahme an dieser blödsinnigen Show abzuhalten. Sie war erfolglos geblieben, weil es ihr nicht reichte, als gute Fee im Umkreis zu tätig zu sein. Sie wollte die Menschen im großen Stil beglücken, überall auf der Welt
Und da ihr hierfür die Möglichkeiten fehlten, hatte sie dem Feen-Sender einen Brief geschrieben, in dem sie sich für das Casting von Deutschlands next Super-Fee mit X-Faktor bewarb.

Sie erinnerte sich noch ganz genau an das Streitgespräch, dass sie miteinander geführt hatten.
„Ja, bist du denn bescheuert, dich vor einem Millionenpublikum zur Affen-Fee zu machen“, hatte Karabossa Felicitas zurechtgewiesen.

„Ach, Karabossa“, hatte ihre friedfertige Freundin geantwortet: „Ich bin nun mal keine böse Fee, wie du. Ich bin eine sanfte, heitere Fee. Was ist denn verkehrt daran, meine Zauberkünste zum Guten anzuwenden? Ich will Meisterin der weiblichen Künste werden. Und bei DNSFMXF werde ich gecoacht“, hatte sie geschwärmt. „Denn ich glaube, man bekommt all das Gute, was man im Leben bewirkt hat, doppelt zurück.“

Karabossa hatte ihre Naivität donnernd weggelacht.

Dass sie einen beträchtlichen Geldbetrag gewinnen würde und in den Medien dauerpräsent wäre, war natürlich auch nicht zu verachten.
Auch Feen sind bisweilen ganz schön materiell eingestellt.

„Oh, wie unendlich abwechslungsreich, wenn man den ganzen Tag an andere denken muss, statt an sich selbst“, hatte Karabossa gehöhnt. „Außerdem ist es ineffizient“, schleuderte sie aufgebracht hinterher. „Respektlose Kanaillen muss man im Notfall seltsame Krankheiten anzaubern, die kein Arzt der Welt heilen kann. Koro zum Beispiel, diese seltsame Krankheit, die nur in Männer-Köpfen existiert.“

„Koro?“ Felicitas war zusammengefahren. Das ist sehr hat für die Herren der Schöpfung, Karabossa. Das wäre doch wirklich das letzte …“
„ … aber wirkungsvollste Mittel und verursacht oft erstaunliche moralische Kehrtwendungen“, ergänzte Karabossa heftig. Warum, meinst du, haben Buddhisten so einen Zulauf und wem verdanken sie ihn?

Sie hatte kurz überlegt, ob sie Felicitas verzaubern sollte, um sie an ihren Vorhaben zu hindern. Aber Feen verzaubern sich nicht gegenseitig. Das gehört zum Ehrenkodex.

Karabossa wollte jetzt nicht mehr an den Streit denken. Sie schaute gebannt auf den Fernseher.
Sie war nervös, als Felicitas die Bühne betrat und ihren selbstgemachten Feenstaub präsentierte.

„Also wirklich … Von deinem selbstgemachten Feenstaub kriegen ja sogar die Hausmilben eine Stauballergie ... und ich ne supermegagigantische Augenreizung. Nee, ohne Scheiß.“
Er wischte sich dramatisch an den Augen herum.

Als er sah, dass sie tief durchatmen musste, meinte er genießerisch:
„Tja, manchmal haut die Realität der Hoffnung auf's Maul!“

Elfi, die auf der Bühne herumstolperte, albern herumkicherte und zu allem Übel einen qualitativ minderwertigen Feenstaub hergestellt hatte, kam eine Runde weiter.
Aber der Jury-Gott hatte sie über die Maßen gelobt und sie seine kleine „Chaosprinzessin“ genannt.
Jeder wusste: Auf der After-Show-Party würde er sie finden.
Seine Augen hatten diesen Ausdruck, den Männer haben, wenn ihnen das Blut aus dem Gehirn weicht.

Felicitas jedoch musste ihren Feen-Hut nehmen, das stand kurz nach Mitternacht fest.
Karabossa bemerkte gespannt, dass sie dem Jury-Gott beim Davongehen etwas zuflüsterte und ihm einen gewissen Blick zuwarf. Was hatte das zu bedeuten? Sie würde doch nicht ...

***

Mit Cowboygang und wiegenden Hüften schlich sich der Jury-Präsident an die „Chaosprinzessin“ heran.
„Man, du bist wirklich eine Hammer-Alte. Du groovst mich total.“ Er lächelte schlüpfrig: „Ich glaube, ich kann eine Menge für dich tun.“
Nun sollte man ja meinen, Feen weichen vor solch grober Sprache zurück, aber auch die Chaosprinzessin wollte gewinnen.
Daher ließ sie es sich sogar gefallen, dass er sie nach einem Glas Cognac „Meine Schmusedecke“ nannte.

Am frühen Morgen verließen die beiden in reichlich angeheiterter Stimmung die Feier.
Aber da hatte Felicitas dem Jury-Gott längst dieses kleine Malheur angezaubert. Wie es sich auswirkt, darüber schweigt sie bis heute.
Aber beim Gedanken daran lächelt sie wundervoll ungekünstelt.

Man erzählt sich aber, dass alle Frauen, die seitdem sein Schlafzimmer erwartungsvoll betraten, es kurze Zeit später haltlos lachend wieder verlassen haben.

***

Das ist jetzt vier Wochen her. Felicitas steht wieder vor dem Spiegel.
Plötzlich weiß sie, was so unstimmig an ihr ist: Die gefärbten, glattgeföhnten Haare. Blond steht ihr überhaupt nicht. Kurzentschlossen nimmt sie ihren Zauberstab zur Hand, murmelt eine entsprechende Formel und schon erstrahlt ihre natürliche Haarfarbe wieder in voller Pracht.

Der Spiegel lügt nicht. Er beweist überdeutlich, dass alles an ihr stimmig ist.
Ihr Gesichtsausdruck, ihr dunkelbraunes, lockiges Haar, strahlende Augen und ein Blick, der verkündet, dass er das eigene Leben will.
Das Fragezeichen ist einem Ausrufezeichen gewichen.
Sie bewege sich wie eine Göttin, sagt der Spiegel.

Die Boulevard-Presse hat heute Morgen verkündet, dass der so genannte Jury-Gott zum Buddhismus übergetreten ist.

Letzte Aktualisierung: 22.05.2011 - 01.15 Uhr
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