Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Fee | Mai 2011
Die Fee, die nicht fliegen konnte
von Christina Stöger

Als kleine Fee erblickt ich vor langer Zeit das Licht der Welt. Ich war die jüngste von uns Feenkindern und wie es das Schicksal wollte, war mein Flügel beim Flug auf die Erde ein Stückchen eingerissen worden. Meine Mutter erzählte mir, dass ich damit nicht fliegen könnte, und ich glaubte ihr. So war ich das Nesthäckchen und wurde wie in einem goldenen Käfig festgehalten.
"Bella, tu dies nicht, Bella tu das nicht. Sei vorsichtig, du kannst nicht fliegen mit deinem Flügel!" Ich wusste, dass sie es gut meinte, aber ich fühlte mich eingesperrt. Eine Fee, die nicht fliegen kann, ist keine richtige Fee.

So lernte ich das Springen. Ich sprang bald behände von Ast zu Ast. Das war fast wie fliegen und ich fühlte mich dabei so frei.
Als ich eines Tages wieder einen meiner kunstvollen Sprünge vollführte, hörte ich ein tiefes, wunderschönes Lachen. Man hatte mich wohl beobachtet. Ich schaute mich suchend um und bemerkte einen jungen Mann, der ganz in der Nähe auf einer Bank saß und mich fasziniert betrachtete. Völlig verdutzt vergass ich mich abzufedern und landete im Gras. Er streckte seine Hand aus und half mir auf. Doch so leicht war ich nicht zu beeindrucken.
Warum konnte er mich überhaupt sehen. Ich zog mich auf meinen Ast zurück und fragte:
"Lachst du mich an oder aus?"
"So etwas drolliges wie dich habe ich noch nie gesehen. Schön machst du das. Wer oder was bist du denn?" Er stützte seinen Kopf in die Hände und schaute mich an. Eigentlich sah er ganz nett aus und so begann unser Gespräch. Ein Mensch, der mich sehen konnte musste etwas Besonderes sein. Ich glaubte fest daran. Die Zeit verging viel zu schnell und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Wir wollten uns vertraut machen, uns annähern und Freunde werde. Immer zur gleichen Stunde trafen wir uns auf unserer Lichtung, erzählten uns Geschichten und bald verband uns ein Band aus Vertrauen und Liebe.
Es kam die Zeit, da saß ich auf seiner Schulter und er zeigte mir seine Welt.

Eines Tages, nachdem wir wieder wundervolle Stunden verbracht hatten, fragte ich ihn, ob er denn nicht enttäuscht wäre über mich. Eine Fee, die nicht richtig fliegen kann, ist doch keine richtige Fee. Er sah mich nur mit einem Lächeln an und drückte mich an sich. Da wusste ich, dass wir zusammen gehörten.

Ich war so glücklich, dass ich mir überlegt, meinen Wald zu verlassen und ganz zu ihm zu ziehen. Mein Leben mit ihm zu teilen. Für immer mit ihm.
Diesen Entschluss, einmal gefasst, war ich nicht mehr aufzuhalten. Ich packte meine Sachen in ein kleines Beutelchen und machte mich hüpfend auf den Weg.
Auf einmal hörte ich ein leises Schluchzen. Ich stoppte, schaute mich um und entdeckte auf einem Ast einen kleinen Vogel, der bitterlich weinte.
Ich setzte mich neben ihn und fragte, ob ich ihm helfen könne. Er schaute mich nur mit großen Augen an. Doch sein Kummer lastete so schwer auf seinen Flügelchen, dass er mir seine ganze Geschichte erzählte. Ich hörte ihm zu, gab ihm Hoffnung bald schon hatte er wieder ein Lächeln in seinen Augen. So waren die Stunden verflogen und als die Sonne am Horizont unter ging machte ich mich auf den Heimweg. Wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben, denn wir teilten das gleiche Schicksal. Auch er konnte nicht fliegen, denn er hatte sich seinen Flügel bei einem Sturz aus dem Nest gebrochen und traute sich seid dem nicht mehr zu fliegen. So hüpften wir nach Hause. Jeder in eine andere Richtung.

In dieser Nacht hatte ich einen phantastischen Traum. Ich saß mit Peter, so hieß der kleine Vogel, auf einer wunderschönen Regenbogenbrücke. Wir hielten uns an den Flügelspitzen und ich sagte:
"Vertrau mir, Peter. Lass uns fliegen. Ich weiß, wir können es."
Und dann flogen wir. Ganz leichte fühlten wir uns und wurden auf den Schwingen der Liebe zu den Wolken getragen. Es war so wunderschön, dass ich mit einem Lächeln auf meinem Gesicht erwachte.
Doch sofort kehrte ich in die Realität zurück. Ich wollte doch zu meinem Menschen. Mit ihm glücklich werden. Schnell holte ich mein Bündel, das noch gepackt neben meinem Bett lag und machte mich auf den Weg durch den Wald.

Sein kleines Häuschen am Waldrand fand ich sofort. Er hatte mir sooft davon erzählt, dass ich keine Angst hatte, den Schutz des Waldes zu verlassen und mich in die Welt der Menschen zu begeben. Ich hüpfte auf die Fensterbank und schaute durch das Fenster in den kleinen Raum. Und dann sah ich ihn. Mein Herz machte einen Sprung in meiner Brust, denn was ich da sah, konnte ich nicht glauben. Er saß mit einem Menschenmädchen auf seinem Bett und... ich dreht mich weg und genau in diesem Augenblick zerriss das Band, dass unsere beiden Seelen verbunden hatte, mit einem heftigen Knall.

Ich wollte nur noch weg. Weg von ihm, weg aus dieser Stadt, einfach nicht mehr hier sein. Fluchtartig hüpfte ich einfach drauf los. Ich sprang und rannte den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich wusste nicht wo ich mich befand und was ich machen sollte, als auf einmal eine kleine Höhle vor mir auftauchte. Völlig erschöpft krabbelte ich durch den winzigen Eingang und zog ich mich in den hintersten Winkel zurück. Dort rollte ich mich zusammen und war auf der Stelle eingeschlafen. Wilde Fantasien ließen keinen erholsamen Schlaf zu und ich drehte mich von einer Seite auf die andere. Mein Herz war gebrochen und es musste erst wieder heilen. Wie lang ich in dieser Höhle war, wusste ich nicht, doch es musste sehr lange gewesen sein. Völlig abgemagert und mit knurrendem Magen wachte ich auf. Ich musste etwas zu Essen finden und wollte nur noch nach Hause. Einfach alles vergessen.

Nachdem ich mich mit Früchten und Beeren gestärkt hatte, schlich ich mit hängendem Kopf durch den Wald. Ich sah die Lichtung, an der wir so schöne Zeiten hatten und fing an zu schluchzten. Wie konnte die Welt nur so grausam sein.
"Hallo Bella, kann ich dir helfen?" Wie durch Watte drang Peters Stimme in meine Gedanken. Er saß auf einem Ast direkt vor mir und ich warf mich in seine Flügel, die er liebevoll um mich legte. Die ganze Trauer brach aus mir heraus und ich erzählte ihm alles, was passiert war. Zärtlich streichelte er mir über meinen Kopf und langsam konnte ich mich beruhigen.

Von diesem Tag an trafen wir uns immer wieder. Er gab mir Halt und Trost und half mir durch die schwere Zeit. Wir wurden Freunde und verbrachten viel Zeit miteinander.
Doch eines Tages stand er mit einem Zweig im Schnabel vor mir, den er mir übergeben wollte. Ich wusste, was das bedeutet. Er wollte mir sein Herz schenken. Seine ganze Liebe. Doch was war mit meinem Herz. Ich wollte es nicht schon wieder verlieren, wollte nicht schon wieder Schmerzen und Trauer erleiden. So fegte ich mit meinen Flügeln den Ast bei Seite und schrie ihn an:
"Nein, ich will dich nicht! Ich will meine Freiheit. Hau ab und lass mich in Ruhe. Ich will dich nie mehr wieder sehen. Ich glaube dir nicht. Du wirst doch auch nur mein Herz brechen." Damit drehte ich mich um und sprang so schnell ich konnte davon.
Peter stand mit hängenden Flügelchen und sagte ganz leise:
"Aber ich liebe dich doch!"
Das konnte ich aber in meiner blinden Wut nicht mehr verstehen. Ich wollte um mich schlagen, wollte weg, wollte allein sein und nie mehr verletzt werden.

In der folgenden Zeit fühlte ich mich einfach nur allein. Was hatte ich nur gemacht. Einem Wesen so weh getan. Ich hatte sein Herz gebrochen. Aber das merkte ich jetzt erst. Wie blöd war ich nur gewesen. Ich wollte und konnte ihn in diesem Moment einfach nicht vertrauen. Aber Vertrauen muss man sich doch erst verdienen. Das hatte ich jetzt begriffen. Ich suchte nach ihm, wollte mich entschuldigen, wollte einfach bei ihm sein. Ich liebte ihn doch auch.

So sprang ich erneut durch den Wald. Aber ich konnte ihn nicht finden. Ich rief seinen Namen, doch er war an keinem unserer Plätze zu finden. Die Zeit ging dahin und meine Hoffnung begann schon zu schwinden, als ich auf eine Lichtung kam, die ich noch nie zuvor entdeckt hatte. Dabei kannte ich den Wald doch wie meine Westentasche. Neugierig trat ich näher und sah einen kleinen Engel, der schwere Steine auf einander baute. Völlig verdutzt schaute ich ihm dabei zu.
"Was stehst du da rum. Komm und hilf mir. Endlich bist du da. Das hat aber auch gedauert!"
Meinte dieser Engel etwa mich? Ich schaute mich erschrocken um, sah aber niemanden und so fragte ich :
"Was machst du denn da? Warum hast du auf mich gewartet?"
"Ich baue eine Brücke für dich. Das sind alles deine Steine, die du dir selber in den Weg gelegt hast. Und Andere natürlich auch. Aber die Großen sind von dir. Ich möchte, dass du endlich fliegst. Ich werde dir helfen, aber bauen musst du. Ein Säckchen Engelsstaub lass ich dir da. Damit werdet ihr beide eure Angst überwinden! Und nun pack mit an. Ist ja deine Brücke."

Schnell begann ich die Brocken zu stapeln. Schweiß tropfte von meiner Stirn und ich dachte öfter, dass ich nicht weiter machen könnte. Immer wieder stürzte sie ein und ich musste von vorne beginnen. Die Zeit schien still zu stehen an diesem Ort und gleichzeitig doch zu rasen. Ich durfte nicht aufgeben, denn ich hatte endlich begriffen. Das war die Brücke aus meinem Traum. Ich musste sie aufbauen um mit Peter zu fliegen. Eine Brücke zwischen unseren Herzen bauen, die so fest und stabil war, dass sie niemand mehr einreißen konnte. Die so bunt und schillernd war wie unser Leben.

Ich weiß, dass ich eines Tages mit Peter auf dieser Brücke stehen werde, wir unsere Flügel spreizten und auf den Schwingen der Liebe unserem gemeinsamen Leben entgegen fliegen werden.

Christina Stöger 22.4.2011

Letzte Aktualisierung: 17.05.2011 - 20.46 Uhr
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