Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Fee | Mai 2011
Amaryllis und der Mond
von Andrea Will

Die kleine Fee Amaryllis wälzte sich unruhig in ihrem Bett hin und her. Sie konnte einfach nicht schlafen. Was sie auch anstellte: Nichts schien zu helfen. Schäfchenwolken zählen, die Augen schließen, Feensprüche aufsagen – nichts! Plötzlich hörte sie etwas, das wie ein leises Weinen klang. Täuschte sie sich? Oder brauchte jemand ihre Hilfe? Sie stand auf und schnallte sich ihre Rollschuhe an, um schneller zur Stelle sein zu können.
Schon nach kurzer Zeit gelangte sie zu einer großen, grauen Wolke. Hier musste es sein, denn das Geräusch war bereits sehr nahe. Amaryllis fuhr in einer eleganten Kurve um die Wolkenzipfel herum, und da sah sie – den guten, alten Mond! Er hielt sich dort verborgen, rieb sich die Augen und schluchzte zum Erbarmen. Ein Bild des Jammers. Die Krater in seinem Gesicht waren bereits bis zum Rand mit Tränen gefüllt.
„Lieber Mond, warum bist du so traurig?“, wollte die kleine Fee voller Mitleid wissen.
„Ach, ich habe so schrecklich zugenommen! Selbst mein Lieblingshemd passt mir nicht mehr“, brachte er hervor, immer wieder durch heftiges Schniefen unterbrochen.

„Oh du armer Geselle“, antwortete Amaryllis, „sag, kann ich dir helfen?“
„Ich bin soooo dick! Mir kann niemand helfen, kleine Fee!“
„Aber ich kann dich zum Lachen bringen, Mond. Siehst du meine Rollschuhe? Was glaubst du, wie die sich anfühlen, wenn ich sie bei dir ausprobiere?“
Neugierig geworden, besah sich der Koloss Amaryllis Fahruntersätze. Und wahrhaftig, er vergaß das Weinen. Vorsichtig streckte er die Hand aus und setzte die kleine Fee auf seinen mächtigen Bauch. Sogleich fing sie an, ihre Runden zu drehen, schwenkte bald nach hier, bald nach dort und vollführte die gewagtesten Sprünge. Als sie ihre kunstvollsten Pirouetten zustande brachte, konnte der Mond nicht mehr an sich halten:
„Hör auf! Das kitzelt so furchtbar!“, und dann fing er an zu lachen, dass es die Fee nur so durchschüttelte.

Amaryllis aber gab sich mit diesem Erfolg noch nicht zufrieden. Sie musste diese große Leuchte ein für allemal auf andere Gedanken bringen.
„Du hast einen Wunsch frei, weil du mir erlaubt hast, auf deinem Bauch Rollschuh zu laufen. Das macht bei dir mehr Spaß als auf der Milchstraße. Da liegt immer so viel im Weg. Aber ich sag dir gleich: Bei einem Himmelskörper sind selbst mir Grenzen gesetzt. Wünsch dir also etwas, und ich werde sehen, was ich tun kann.“

Der Mond war außer sich vor Freude. Lange brauchte er nicht nachzudenken:
„Kannst du mich nicht ein wenig dünner machen, damit mein Lieblingshemd wieder passt?“
Amaryllis überlegte. Gewiss, für sie war das eine Kleinigkeit. Aber war es richtig, dass dieser Faulpelz alle überschüssigen Pfunde auf einen Schlag los wurde, ohne etwas dafür zu tun? Ein wenig Bewegung würde ihm gut tun, und auch sie selber könnte mal einen kleinen Wettkampf gebrauchen. Vielleicht könnte sie danach auch wieder richtig schlafen.

„Du hast so schrecklich viel zugenommen, Mond. Ich will es wohl versuchen. Aber du musst mir helfen. Wie wäre es, wenn wir beide eine Runde Federball spielen?“
„Oh ja“, riefen die Sterne begeistert. „Wir machen mit. Ihr könnt uns als Federbälle nehmen!“
„Siehst du, lieber Mond? Keine Ausreden mehr! Du machst etwas Sport und den Rest erledige ich mit meinem Zauberstab.“

Der große Himmelsgeselle zögerte. Er und Federball? Wie lange hatte er sich nicht mehr körperlich betätigt? Wie lange hatte er alles in sich hineingeschaufelt, anstatt etwas für seinen Körper zu tun? Und würde er ohne Rollschuhe nicht hoffnungslos langsam sein? Dann aber gab er sich einen Ruck, denn er dachte an sein Lieblingshemd.
„Also gut. Spielen wir Federball! Du hast Aufschlag.“

Und so begann ein denkwürdiger Wettstreit. Die ganz kleinen Sterne, Kometen und anderes Geröll der Milchstraße bildeten einen unerschöpflichen Vorrat an Bällen. War die Fee auf ihren Rollschuhen flink und erreichte jeden Ball, so glich der Mond dies allein durch seine imponierende Größe aus. Amaryllis mochte wie ein Blitz von einer Ecke der Milchstraße in die andere sausen: Er brauchte nur wenige Schritte und war schon zur Stelle. Vergessen war sein Kummer. Er amüsierte sich köstlich und rief immer wieder: „Mehr, meeeehr! Nimm diesen! Und diesen …!“

Auch Amaryllis konnte nicht genug bekommen. So vergaßen beide völlig die Zeit. Die Sonne kam herauf. Doch als sie das große Nachtlicht sah, meinte sie, sie habe sich in der Zeit geirrt, und so kehrte sie um und verschwand.
Als die Morgendämmerung ausblieb, ängstigten sich die Menschen auf der Erde. Es hob ein Klagen an, als sei das Ende aller Dinge nahe.

Petrus dagegen hatte keine Angst. Aber er war irritiert. Er wollte früh am Morgen den Menschen Regen schicken, damit sie die Blumen nicht zu gießen brauchten. Es war schon nach acht und immer noch dunkel. Und das mitten im Sommer. Er musste sofort bei Gottvater nachfragen. So klopfte er an das Portal zum Thronsaal und trat zum Allmächtigen hinein. Dieser schreckte aus dem Schlaf und sah erstaunt auf:
„Petrus, wieso bist du schon so früh auf den Beinen? Die Sonne ist ja noch nicht mal aufgegangen!“
„Hast du auf die Uhr gesehen, Herr? Es ist gleich neun!“
„Gleich neun? Etwas stimmt hier nicht, Petrus! Lass uns nachsehen.“
So gingen beide durch die Himmelstür und wanderten ein Stück die Milchstraße entlang.

Bald bot sich ihnen ein sonderbares Schauspiel: Eine kleine Fee und der riesige, schwergewichtige Mond spielten – wahrhaftig, bei allen Göttern, sie spielten Federball! Bewegten sich von einer Straßenseite zur anderen, umkreisten einander und schlugen sich die Bälle um die Ohren. Aber das waren keine Bälle, sondern kleine Sterne, und die juchzten vor Vergnügen. Hei, das war ein Wettkampf! Die beiden Beobachter waren sprachlos, schauten nach links und nach rechts, so, wie die Bälle flogen. Sahen von einem zum anderen, hierhin und dorthin, bis es Petrus schwindelig wurde. Welch ein absonderliches Bild aber auch! Gottvater und sein Vorarbeiter brachen in Gelächter aus.

Wenn Gott lacht, erzittert es bekanntlich auf der Erde wie von Donnerschlägen, und so verstummte er sogleich, um die Menschen nicht mit zusätzlicher Angst zu erfüllen. Amaryllis berichtete hastig und unter vielen Entschuldigungen, was sich zugetragen hatte. Und schnell, ehe Gottvater eingreifen konnte, schwang sie ihren Zauberstab:
„Der Fee sei Dank:
Mond, sei schlank!“
Es gab ein zischendes Geräusch, dass alle Gestirne zusammenzuckten. Dann hatte der Mond seine alte Statur wieder. Erleichtert wiegte er sich in den Hüften und machte ein paar Probeschritte. Dann rollte er sich behaglich zusammen, um untertänig mal zu Gottvater und mal voller Vorfreude zu seinem Lieblingshemd zu schielen, das nahebei an einem Kometenschweif hing und ihm zuzuwinken schien.

Amaryllis aber stellte sich mit gesenktem Kopf vor den Herrn des Himmels.
„Bist du mir böse?“
Nur mit Mühe konnte er ein Schmunzeln unterdrücken:
„Höre, kleine Amaryllis: Du hast vieles durcheinandergebracht. Hast die Sonne verwirrt und den Menschen Angst gemacht. Das Schlimmste aber - Petrus musste mich deswegen wecken! Ts ts, das ist unverzeihlich. Zur Strafe wirst du Petrus heute bei der Arbeit helfen! – Und du, alter Mond, geh endlich schlafen und nimm die Sterne mit. Das ist ein Befehl!“

Und so geschah es auch. Alles hatte wieder seine Ordnung, die Menschen atmeten auf. Petrus freute sich, diesmal dank Feenhilfe eher Feierabend zu haben, und Gottvater hing seinen Gedanken nach: Was für ein Tag! Aber hatte die ganze Aufregung nicht ihr Gutes? Sie zeigte ihm doch, dass er mehr Abwechslung brauchte, wollte er nicht einrosten. Das war mal etwas anderes als das ewige Halleluja der Himmelschöre. Könnte man das nicht öfter haben? Heute war zwar Sonntag, aber man könnte ja mal eine Ausnahme …

Er ließ die kleine Fee kommen.
„Amaryllis, habe ich einen Wunsch frei?“
„Selbstverständlich, Gebieter, sogar drei.“
„Dann wünsche ich mir, dass du heute Abend noch einmal zum Federball antrittst. Petrus wird Balljunge sein.“
„Es sei, oh Höchster. Und der zweite Wunsch?“
„Es endet diesmal nicht unentschieden, sondern du verlierst. Aber ich kann dafür nur eine halbe Stunde Zeit genehmigen. Nicht noch einmal solche Unordnung!“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, Gebieter! Und der dritte?“
„Du spielst gegen - mich!“

Letzte Aktualisierung: 08.05.2011 - 12.29 Uhr
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