Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Weihnachten rĂŒckte nĂ€her, was bei Robert zwiespĂ€ltige Empfindungen auslöste. NatĂŒrlich waren ihm als Bankangestellten die zusĂ€tzlichen Urlaubstage sehr angenehm. Die fĂŒr ihn mit dem Weihnachtsfest verbundene GefĂŒhlsduselei mochte er dagegen ĂŒberhaupt nicht. Auch die Bescherung fĂŒhrte seiner Meinung nach zunĂ€chst einmal nur dazu, dass man sich anstrengende Gedanken wegen der Geschenke fĂŒr seine Lieben machen musste.
Seine junge Ehefrau war da ganz anders. Sie trat denn auch an Heiligabend mit heiterem LĂ€cheln auf ihn zu und ĂŒberreichte ihm ein eingepacktes viereckiges Etwas. Dies erwies sich als ein kleineres ĂlgemĂ€lde, was ihm spontan gut gefiel. Es zeigte recht naturalistisch eine herbstliche Flusslandschaft, dunkelgrĂŒn schillerndes Wasser mit einem brĂ€unlich gefĂ€rbten BlĂ€tterwald an den UferbĂ€umen, eine schöne alte steinerne BrĂŒcke und einen Wachtturm auf der anderen Flussseite. Nach neugierigen Fragen von Robert rĂŒckte seine Frau schlieĂlich damit heraus, dass sie das Bild gĂŒnstig auf einem Flohmarkt erstanden habe.
Es bekam schnell einen Ehrenplatz im hĂ€uslichen Wohnzimmer. Robert stand manchmal davor und entdeckte schlieĂlich, dass im Wasser noch eine kleine weibliche Gestalt mit einem Schleier auf einer Art Seepferdchen herumritt. Das machte fĂŒr ihn zwar keinen Sinn, die Fee im Wasser sah aber ganz hĂŒbsch aus.
Robert war in seiner Bank als Jurist angestellt. Deshalb war es auch seine Aufgabe, gelegentlich auswĂ€rtige Gerichtstermine wahrzunehmen. Ein solcher fand an einem Montagmorgen im Landgericht Frankfurt am Main statt. Die Bank war bei den Reisekosten groĂzĂŒgig und hatte nichts dagegen, wenn man in einem solchen Fall bereits am Sonntag anfuhr, um dort im Hotel zu ĂŒbernachten.
Da Robert nach seiner Ankunft in Frankfurt am Sonntagnachmittag noch Zeit hatte, besuchte er das âStĂ€delâ, ein Kunstmuseum am Mainufer. Bei seinem Rundgang blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Ein Bild verschlang seine ganze Aufmerksamkeit, eine Ansicht von Frankfurt aus dem 19. Jahrhundert. Der Maler hatte die Stadt deutlich dargestellt, mit dem Fluss und der alten MainbrĂŒcke im Vordergrund. Richtig elektrisiert wurde Robert aber, als er bei genauem Hinsehen im Wasser des Flusses ebenfalls eine Art Wasserfee erblickte.
Bei dem Maler dieses Bildes handelte es sich um Gustave Courbet, einen Franzosen, der sich damals ĂŒber lĂ€ngere Zeit in Frankfurt aufgehalten hatte. Wie Robert weiter recherchierte, war Courbet, ein Vertreter der realistischen Stilrichtung der Malerei des 19. Jahrhunderts, ein durchaus anerkannter Maler, dessen Bilder in zahlreichen Museen Europas ausgestellt sind.
Waren die Ăhnlichkeiten mit dem Bild in seinem Wohnzimmer, die Farben, der dominierende Fluss mit der steinernen BrĂŒcke, die herbstliche Stimmung, nun alle zufĂ€llig? Oder hatte er etwa ....einen echten âCourbetâ von seiner Frau bekommen? Es gibt bekanntlich solche, wenn auch seltene Zufallstreffer bei KĂ€ufen auf dem Flohmarkt. Das war gerade ihm als Juristen bekannt, da sich aus solchen FĂ€llen auch rechtliche Streitigkeiten ergeben haben.
Zuhause zurĂŒck studierte er im Wohnzimmer sein Bild erneut. Er glaubte auf einmal, sogar noch die obere HĂ€lfte der Signatur âCourbetâ zu erkennen, die untere HĂ€lfte wurde leider von dem Holzrahmen verdeckt.
Ein Courbet wĂ€re einige Millionen wert. Er sprach mit seiner Frau darĂŒber, der diese ganze Entwicklung nicht gefiel. Er solle ihr Geschenk an Ort und Stelle im Wohnzimmer hĂ€ngen lassen und bitte auf weitere GrĂŒbeleien dieser Art verzichten.
Sentimentaler Weiberkram, dachte Robert. Wer hĂ€ngt sich denn einen echten Courbet in sein Wohnzimmer und geht weiter arbeiten? Auch wĂŒrde sich die Existenz eines solch wertvollen Bildes ĂŒber kurz oder lang herumsprechen, was Kunstdiebe auf den Plan rufen könnte. Da wĂŒrde er ja, vom materiellen Verlust abgesehen, bei einem denkbaren Einbruch noch Leib und Leben von sich und seiner Familie gefĂ€hrden!
Nein, er wĂŒrde das Bild auf einer Auktion versteigern lassen, wenn es denn echt wĂ€re. Das musste unverzĂŒglich geklĂ€rt werden. Dabei kam ihm der Zufall zu Hilfe. Der Tageszeitung entnahm er, dass das Kunstmuseum seiner Heimatstadt jedermann anbot, KunstgegenstĂ€nde kostenlos bewerten und schĂ€tzen zu lassen. Er vereinbarte dort einen Termin. An einem Wintertag nahm er das Bild, eingewickelt in eine Wolldecke, in seinem Auto mit zur Bank. Zur verabredeten Zeit fand er sich am spĂ€ten Nachmittag in einem kleinen Raum des Museums wieder. Ein, wie sich herausstellte, Kunstprofessor trat ein und sah ihn freundlich an. Er hatte eine imposante Gestalt, groĂ, mit langem dichten weiĂen Haar.
Mit nervösen Fingern schĂ€lte Robert sein Bild aus der Wolldecke, fĂŒr die er sich plötzlich in dieser wĂŒrdevollen Umgebung ein bisschen schĂ€mte, und schilderte kurz den Erwerb. Der Professor sah das Bild etwa fĂŒnf Sekunden lang aufmerksam an und sagte dann zu Robert:
âDa hat Ihnen Ihre Frau ein schönes Bild geschenkt, aber leider keinen Courbetâ.
Er erlĂ€uterte Robert sodann, dass gerade in frĂŒheren Zeiten hĂ€ufig Maler zweiter und dritter Klasse GemĂ€lde oder Bilderthemen bekannter Meister kopiert oder nachgeahmt hĂ€tten, das habe sich dann oft eintrĂ€glich verkaufen lassen.
Nach diesen bestimmten Worten sah Robert keinen Sinn mehr darin, seine Argumente hinsichtlich der Wasserfee oder Signatur vorzubringen. Er packte sein Bild wieder in die Decke, dankte kurz und ging.
Abends hing er das Bild enttĂ€uscht wieder an die Wand des hĂ€uslichen Wohnzimmers. Seine Frau sah ihm dabei zu, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auf ihren Lippen ein leises glĂŒckliches LĂ€cheln spielte.
Letzte Aktualisierung: 20.05.2011 - 09.00 Uhr Dieser Text enthält 5690 Zeichen.