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Fee | Mai 2011

Wünsch mir was
von Lutz Schafstädt

Der ruhige Nachmittag fand für die Fee Patricia ein jähes Ende. Erst schoben sich Schatten vor den Eingang ihrer Grotte, dann rumpelte es gewaltig und schon kamen Männer herein. Sie schleppten schwere Kisten, die sie überall krachend auf den Boden fallen ließen.

Patricia huschte unsichtbar in eine Felsnische. So machte sie es immer, wenn Besucher kamen: Sie wartete geduldig ab, bis deren Neugier gestillt und das Blitzen der Fotoapparate vorbei war. Gern strich sie bisweilen an ihnen vorbei, während sie andächtig miteinander von Feen raunten. Dann streifte sie sanft mit ihrer Hand die Wangen der Menschen, so dass ein kühler Hauch ihre Gegenwart erahnen ließ. Nach so einem vergnüglichen Spiel sah es diesmal ganz und gar nicht aus. Patricia entschwebte dem aufgewirbelten Staub ins Freie.

Draußen empfing sie ein strahlender Frühsommertag. Sie flog über den Fluss, wo eine frische Brise durch das feine Gewebe ihres Kleides bis auf die Haut drang und ihr das lockige Haar aus dem Gesicht wehte. Sie blickte sich um, sah den Eingang zu ihrer Feengrotte von Fahrzeugen verstellt. Alles deutete darauf hin, dass auf absehbare Zeit an eine Rückkehr nicht zu denken war.

Patricia hasste es, bei Tageslicht hinaus zu gehen. Überall waren Menschen und verbreiteten ihre Unrast. Auf dem Uferweg vor ihrer Grotte, mit Booten auf dem Fluss, in dröhnenden Blechkaleschen auf der nahen Brücke. Es gab keinen Ort mehr, den sie nicht in Besitz genommen hatten. Während sich die Welt um sie herum rasant veränderte, blieb eine Fee, was sie war. Für alle Zeiten jung und anmutig hatte sie über das Schicksal der Menschen zu wachen. Wie immer machten diese Gedanken Patricia melancholisch und sie wünschte sich die glücklichen Jahre zurück, als die Feengrotte noch in dichtem Wald verborgen war. Wie hatten ihr selbst Könige gehuldigt, um sie als Patin ihrer Kinder zu gewinnen. Sie sah sich tanzen, auf fürstlichen Bällen und im magischen Reigen ihrer Gefährtinnen. Prinzen und Ritter warfen sich vor ihrer Grotte in den Sand, um Beistand für die Geschicke ihres Lebens zu erbitten. Was für eine würdige Epoche das noch gewesen war.

Alles verloren, dachte Patricia. Je näher uns die Menschen kamen, umso weniger brauchten sie uns. Sie nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand, vergaßen uns Feen und machten unsere Grotte zu einer Sehenswürdigkeit, in der man sich von uns einen wohligen Schauer auf die Haut pusten lassen kann.

Die Dämmerung hatte eingesetzt, in die Grotte konnte sie indes noch immer nicht. Zwar waren die Fahrzeuge fort, doch Arbeiter werkelten weiterhin an Gestellen und schleppten Kabel umher. Patrica ahnte, dass ihr eine Nacht im Freien bevorstand. Sorgenvoll blickte sie in den Himmel. Nein, Regen war nicht zu befürchten, nur der Morgentau könnte für sie kritisch werden. Sie schwebte zur Brücke hinüber und schaute weiter zu, was die Menschen in ihrem Zuhause taten.

Plötzlich gingen Lichter an. Scheinwerfer entlang des Ufers strahlten in die Bäume, schwenkten ihre Lichtkegel mit wechselnden Farben über die Wipfel. Waldrand und Uferweg sahen aus wie ein heller Raum mit Wänden aus Dunkelheit. Die Granitfelsen um den Eingang zur Feengrotte bildeten die Mitte dieser Kulisse. Im Inneren der Grotte schien in diesem Moment ein gleißend weißes Licht entzündet worden zu sein, das grell nach außen schlug und von wabernden Schatten durchwirkt war.

Patricia sah, dass sich auf dem Fluss mehrere große Schiffe genähert hatten, mit unzähligen erleuchteten Fenstern und bis zum Bersten mit Menschen gefüllt. Scheinbar waren sie alle gleichzeitig aufgestanden und drängten nun auf die Decks hinaus. Die Schiffe wurden langsamer und verharrten, wie zu einer Kette aufgereiht. Vom Ufer her erklang Musik, beiderseits der Grotte zogen Nebelschwaden über den Boden, dort sprangen Tänzerinnen hinein, die plötzlich im Dutzend aus dem Dunkel auftauchten.

Sie trugen lange, weiße Gewänder, die vor dem Licht fast transparent und schwerelos zu flattern schienen. Die Tänzerinnen machten den Uferweg zur Bühne und vollführten in den nächsten Minuten einen Reigen, der Patricia peinlich berührte. Von den Schiffen drangen Applaus und Jubel an ihr Ohr. Nachdem sich die tanzenden Mädchen am Ufer zu einer abschließenden Formation an die erhobenen Hände gefasst hatten, lief eine nach der anderen in die Feengrotte hinein. Die Scheinwerfer am Ufer senkten ihre Lichtkegel und wurden matter. Die Musik verklang, der Nebel verflog und der Eingang zur Grotte wurde dunkel.

Dann zischte es, ganz nah neben Patricia, so dass sie sich erschrocken von der Brücke abstieß und zu den Schiffen hinüber schwebte. Goldene Funken rieselten wie ein Wasserfall von den Brückenbögen auf das Wasser herunter, an den Pfeilern sprühten silberne Fontänen in die Höhe. Die Schiffe ließen ihre Motoren aufheulen und setzten ihre Fahrt fort, dem Feuerregen entgegen, unter der Brücke hindurch.

Romantisch, dieses Wort hatte Patricia aufgeschnappt, und es machte sie zornig. Plump und ungelenk waren verkleidete Mädchen vor ihrer Grotte hin und her gestampft. Wie kläglich war der Versuch gescheitert, mit Windmaschinen die Schleier schwerelos und mit bunten Lichtern die Körper verzaubert wirken zu lassen. Die Menschen waren nun offensichtlich vollends verrückt geworden. Sie kamen mit Schiffen, um ein Spektakel zu beäugen, das sie für sich selbst vorbereitet hatten. Sie äfften den Tanz der Feen nach, unterlegten ihn mir zirpenden Klängen, bastelten sich ein Feuer-Hokuspokus und freuten sich darüber, wohl wissend, dass alles nur ein Trugbild war. Oder ob die Menschen die Feen gar verhöhnen wollten?

Patricia schwebte zu einem Baum neben der Grotte und ließ sich auf einem Ast nieder. Unter ihr waren wieder Lichter eingeschaltet worden und die Arbeiter begannen, ihre Geräte abzubauen. Wenn den Menschen etwas gefällt, dachte die Fee, neigen sie dazu, es immer wieder erleben zu wollen. Da steht mir wohl einiges bevor, vielleicht muss ich mir einen anderen Ort zum Wohnen suchen, wie es alle meine Schwestern bereits getan haben. Schade, dass wir unsere magischen Kräfte nicht für uns selbst nutzen dürfen.

Da hatte Patricia eine Idee, die sie aufgeregt auf ihrem Ast hin und her rutschen ließ. Wenn ein Mensch einer Fee aus einer misslichen Lage hilft, wird er mit drei Wünschen belohnt. Das sollte sich doch einrichten lassen. Dann würde sie den Menschen einfach auffordern, einen seiner Wünsche für sie zu verwenden. Er soll mir wünschen wünschen, dass für uns Feen alles wieder wird wie es früher war, als die Menschen noch an Feen glaubten und uns achtungsvoll begegneten.

Während sie noch darüber nachdachte, wie sich glaubhaft eine solche Situation herbeiführen ließe, klärte sich diese Frage ganz von selbst. Der kleine Ast, auf den sich ihre Füße stützten, brach plötzlich ab, ihre Beine hingen in der Luft und fanden keinen Halt. Patricia rutschte mit ihrem Hintern tiefer in die Astgabel und war eingeklemmt. Selbst ein Aufschweben war unmöglich, ihr Kleid hatte sich in den Zweigen verfangen. Auch mit den Händen fand sie keinen Halt. Sie saß fest, war eingeklemmt. Die Vorsehung hat entschieden, dachte Patricia. Sobald sich am Morgen der erste Mensch nähert, werde ich sichtbar werden und die Hilfe belohnen können.

Die Nacht verging, mit dem Morgen setzte Regen ein. Eine Katastrophe für jede Fee, denn Nässe macht sie sichtbar. Von einer Sekunde zur nächsten saß Patricia, für jeden sichtbar, eingeklemmt in einer Astgabel. Sie war zu einem Häufchen Elend in sich zusammengesunken. Der Stoff des Kleides klebte ihr am Leib, das Haar hing in Strähnen herunter, in die letzten Regentropfen mischten sich ihre Tränen. So hilflos und unwürdig hatte sie ihrem Retter nicht begegnen wollen. Ob die Zeit reichen würde, sie noch zu trocknen?

Die ersten Menschen kamen vorbei, Radfahrer und Läufer, doch Patricia traute sich nicht, sie zu rufen und auf sich aufmerksam zu machen. Ach, hätte sie nur. Denn jetzt kam eine quirlige Menschengruppe des Weges, die sofort auf sie zuströmte. Kinder, eine Schulklasse auf Wandertag. Ein Lachen und Prusten brach los, ein Rufen, Scherzen und Necken. Patricia schluchzte, es lag nicht in ihrer Macht, sich unsichtbar zu machen, so lange ihre Kleider feucht waren.

„Hilfe ist unterwegs“, rief eine der wenigen Erwachsenen zu Patricia hinauf und mahnte die Kinder, still zu sein. Immer mehr Menschen sammelten sich unter ihrem Baum und wunderten sich, wie die junge Frau im weißen Sommerkleidchen dort hinaufgelangt sein könnte. Dann kam die Feuerwehr. Eine Leiter wurde an den Baum gestellt, ein Feuerwehrmann legte den Arm um Patricia und hob sie sanft aus ihrer misslichen Lage heraus.

Jetzt musste sie schnell ihren Spruch sagen, bevor andere Ohren sie hören konnten: "Ich bin eine Fee. Weil du mich gerettet hast, gewähre ich dir drei Wünsche." Doch der Feuerwehrmann achtete nicht auf sie. "Keine Angst, gleich sind wir unten." Menschen umringten sie, es war zu spät. Sie wurde von Händen ergriffen und in einen Krankenwagen getragen. „Halt“, rief Patricia, die nicht von ihrem Retter getrennt werden wollte, denn nur er konnte ihr ihren Wunsch erfüllen. Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Türen schlugen zu. Eine wärmende Decke wurde über sie geworfen.

Am Krankenhaus angekommen, war die Trage im Wagen plötzlich leer. Der Rettungssanitäter hielt verwirrt die Decke vor seiner Brust. Von der Patientin keine Spur. Nur einen Moment hatte er weggeschaut, um die Tür zu öffnen. Nicht länger. Fassungslos schaute er sich um, dann spürte er einen kühlen Hauch an seiner Wange.

Das mysteriöse Verschwinden der schönen jungen Frau brachte es zu einer Glosse in der Lokalzeitung. Eine der schwerelosen Tänzerinnen beim Feen-Event am Vorabend habe wohl zu viel Schwung genommen und wolle lieber unerkannt bleiben. Die von nun an monatlich veranstalteten romantischen Flussfahrten zur Feengrotte wurden ein großer Erfolg.

Lutz Schafstädt (05/2011)

Letzte Aktualisierung: 27.05.2011 - 14.41 Uhr
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