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Fee | Mai 2011

Das Bild
von Reiner Pörschke

Weihnachten rückte näher, was bei Robert zwiespältige Empfindungen auslöste. Natürlich waren ihm als Bankangestellten die zusätzlichen Urlaubstage sehr angenehm. Die für ihn mit dem Weihnachtsfest verbundene Gefühlsduselei mochte er dagegen überhaupt nicht. Auch die Bescherung führte seiner Meinung nach zunächst einmal nur dazu, dass man sich anstrengende Gedanken wegen der Geschenke für seine Lieben machen musste.

Seine junge Ehefrau war da ganz anders. Sie trat denn auch an Heiligabend mit heiterem Lächeln auf ihn zu und überreichte ihm ein eingepacktes viereckiges Etwas. Dies erwies sich als ein kleineres Ölgemälde, was ihm spontan gut gefiel. Es zeigte recht naturalistisch eine herbstliche Flusslandschaft, dunkelgrün schillerndes Wasser mit einem bräunlich gefärbten Blätterwald an den Uferbäumen, eine schöne alte steinerne Brücke und einen Wachtturm auf der anderen Flussseite. Nach neugierigen Fragen von Robert rückte seine Frau schließlich damit heraus, dass sie das Bild günstig auf einem Flohmarkt erstanden habe.

Es bekam schnell einen Ehrenplatz im häuslichen Wohnzimmer. Robert stand manchmal davor und entdeckte schließlich, dass im Wasser noch eine kleine weibliche Gestalt mit einem Schleier auf einer Art Seepferdchen herumritt. Das machte für ihn zwar keinen Sinn, die Fee im Wasser sah aber ganz hübsch aus.

Robert war in seiner Bank als Jurist angestellt. Deshalb war es auch seine Aufgabe, gelegentlich auswärtige Gerichtstermine wahrzunehmen. Ein solcher fand an einem Montagmorgen im Landgericht Frankfurt am Main statt. Die Bank war bei den Reisekosten großzügig und hatte nichts dagegen, wenn man in einem solchen Fall bereits am Sonntag anfuhr, um dort im Hotel zu übernachten.

Da Robert nach seiner Ankunft in Frankfurt am Sonntagnachmittag noch Zeit hatte, besuchte er das „Städel“, ein Kunstmuseum am Mainufer. Bei seinem Rundgang blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Ein Bild verschlang seine ganze Aufmerksamkeit, eine Ansicht von Frankfurt aus dem 19. Jahrhundert. Der Maler hatte die Stadt deutlich dargestellt, mit dem Fluss und der alten Mainbrücke im Vordergrund. Richtig elektrisiert wurde Robert aber, als er bei genauem Hinsehen im Wasser des Flusses ebenfalls eine Art Wasserfee erblickte.

Bei dem Maler dieses Bildes handelte es sich um Gustave Courbet, einen Franzosen, der sich damals über längere Zeit in Frankfurt aufgehalten hatte. Wie Robert weiter recherchierte, war Courbet, ein Vertreter der realistischen Stilrichtung der Malerei des 19. Jahrhunderts, ein durchaus anerkannter Maler, dessen Bilder in zahlreichen Museen Europas ausgestellt sind.

Waren die Ähnlichkeiten mit dem Bild in seinem Wohnzimmer, die Farben, der dominierende Fluss mit der steinernen Brücke, die herbstliche Stimmung, nun alle zufällig? Oder hatte er etwa ....einen echten „Courbet“ von seiner Frau bekommen? Es gibt bekanntlich solche, wenn auch seltene Zufallstreffer bei Käufen auf dem Flohmarkt. Das war gerade ihm als Juristen bekannt, da sich aus solchen Fällen auch rechtliche Streitigkeiten ergeben haben.

Zuhause zurück studierte er im Wohnzimmer sein Bild erneut. Er glaubte auf einmal, sogar noch die obere Hälfte der Signatur „Courbet“ zu erkennen, die untere Hälfte wurde leider von dem Holzrahmen verdeckt.

Ein Courbet wäre einige Millionen wert. Er sprach mit seiner Frau darüber, der diese ganze Entwicklung nicht gefiel. Er solle ihr Geschenk an Ort und Stelle im Wohnzimmer hängen lassen und bitte auf weitere Grübeleien dieser Art verzichten.

Sentimentaler Weiberkram, dachte Robert. Wer hängt sich denn einen echten Courbet in sein Wohnzimmer und geht weiter arbeiten? Auch würde sich die Existenz eines solch wertvollen Bildes über kurz oder lang herumsprechen, was Kunstdiebe auf den Plan rufen könnte. Da würde er ja, vom materiellen Verlust abgesehen, bei einem denkbaren Einbruch noch Leib und Leben von sich und seiner Familie gefährden!

Nein, er würde das Bild auf einer Auktion versteigern lassen, wenn es denn echt wäre. Das musste unverzüglich geklärt werden. Dabei kam ihm der Zufall zu Hilfe. Der Tageszeitung entnahm er, dass das Kunstmuseum seiner Heimatstadt jedermann anbot, Kunstgegenstände kostenlos bewerten und schätzen zu lassen. Er vereinbarte dort einen Termin. An einem Wintertag nahm er das Bild, eingewickelt in eine Wolldecke, in seinem Auto mit zur Bank. Zur verabredeten Zeit fand er sich am späten Nachmittag in einem kleinen Raum des Museums wieder. Ein, wie sich herausstellte, Kunstprofessor trat ein und sah ihn freundlich an. Er hatte eine imposante Gestalt, groß, mit langem dichten weißen Haar.

Mit nervösen Fingern schälte Robert sein Bild aus der Wolldecke, für die er sich plötzlich in dieser würdevollen Umgebung ein bisschen schämte, und schilderte kurz den Erwerb. Der Professor sah das Bild etwa fünf Sekunden lang aufmerksam an und sagte dann zu Robert:
„Da hat Ihnen Ihre Frau ein schönes Bild geschenkt, aber leider keinen Courbet“.
Er erläuterte Robert sodann, dass gerade in früheren Zeiten häufig Maler zweiter und dritter Klasse Gemälde oder Bilderthemen bekannter Meister kopiert oder nachgeahmt hätten, das habe sich dann oft einträglich verkaufen lassen.

Nach diesen bestimmten Worten sah Robert keinen Sinn mehr darin, seine Argumente hinsichtlich der Wasserfee oder Signatur vorzubringen. Er packte sein Bild wieder in die Decke, dankte kurz und ging.

Abends hing er das Bild enttäuscht wieder an die Wand des häuslichen Wohnzimmers. Seine Frau sah ihm dabei zu, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auf ihren Lippen ein leises glückliches Lächeln spielte.

Letzte Aktualisierung: 20.05.2011 - 09.00 Uhr
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