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Fee | Mai 2011

Feenstaub
von Leo Fegerl

Maria schmiss einen kleinen Stein ins Wasser. Es platschte.
“Kleines!”, rief ihre Mutter. “Dass du mir ja nicht reinfällst! Komm lieber her und hilf uns mit dem Essen.”
Sie wäre jetzt viel lieber zu Hause, dann könnte sie mit ihrer Freundinnen spielen.
Warum mussten Mami und Papi auch unbedingt heute bei Tante Mitzi und Onkel Karl ein Familienfest feiern?
Das war öde.
Nur alte Leute. Keine anderen Kinder zum Spielen. Nicht einmal ihren Nintendo durfte sie mitnehmen
Ihre Eltern waren so gemein.
Sie hob einen weiteren Stein auf und warf ihn.
Das gleiche langweilige Plätschern und ...
Da lachte doch jemand.
Andere Kinder? Es kam aus dem Wald, hinter dem Zaun, rechts von ihr.
Kurz sah sie zu ihren Eltern. Mama meckerte mit Papa. Sie sahen nicht her.
Das Lachen entfernte sich.
Sollte sie nachsehen gehen?
Maria warf noch einen Blick auf ihre Eltern, dann suchte sie den Zaun nach einer Stelle ab, an der sie ihn überqueren konnte. Sie entdeckte eine beschädigte Latte und schlüpfte hindurch.
Sie lief an den Bäumen vorbei, konnte aber nichts erkennen.
Maria hielt inne. Doch mehr als das entfernte Zwitschern der Vögel vernahm sie nicht.
Sie wollte sich gerade abwenden, da bemerkte sie ein sanftes Licht zwischen den Gräsern.
Zaghaft näherte sie sich und staunte. Da stand ein winziges menschliches Wesen mit Flügeln. Wie bei Peter Pan.
Die Fee winkte und erhob sich in die Luft.
Maria lachte verzückt und folgte der Fee.

*

Mark Garland lenkte seinen Land Rover von der Landstraße auf einen kleinen Feldweg.
Dies musste die richtige Abzweigung sein.
Nadine Bauer, eine Bekannte von früher, hatte ihm den Weg beschrieben.
Ihre Tochter Maria war verschwunden und sie hatte ihn gebeten nach dem Mädchen zu suchen.
Die Polizei vermutete, dass die Kleine im angrenzenden See ertrunken sei.
Genauso, wie drei andere Kinder, die rund um das Gewässer in den letzten Monaten verschwunden waren.
Nadine glaubte nicht daran und griff nach jedem Strohhalm. Deswegen hatte sie sich auch an ihn gewandt.
Er fuhr durch den Wald, an den der Campingplatz grenzte. Nach einer Weile sah er einige Hütten.
Ein älterer Mann kam ihm entgegen, als er durch die Einfahrt fuhr.
“Ah, ein Neuankömmling! Willkommen! Grade rechtzeitig zum Mittagsessen. Kommen Sie, speisen Sie mit uns. Danach kümmern wir uns um einen schönen Stellplatz für Sie. Nicht schüchtern sein. Es ist mehr als genug da.”
Eigentlich hatte Mark sich gleich auf die Suche machen wollen, aber er gab sich geschlagen und willigte ein. Es konnte nicht schaden, die hier ansässigen Leute näher kennen zu lernen.
Er stellte sich als Reporter vor, der das Verschwinden der Kinder untersuchen wollte.
Er konnte ja schlecht erzählen, dass er als Geisterjäger nach Übernatürlichem suchte.
Der alte Mann, der sich als Sepp vorstellte, nickte missmutig.
Offenbar wussten hier alle von den Geschehnissen Bescheid und Mark war bestimmt nicht der erste Reporter, der hier auftauchte.
Sepp hatte selbst einen sechsjährigen Sohn namens Benjamin und war mehr als beunruhigt.
Es war dem Jungen aufs Strengste verboten sich allein dem See zu nähern.
Ihm wurden die anderen Camper vorgestellt. Die meisten waren Deutsche.
Einige Finnen und Österreicher waren vor kurzem angekommen.
Nach dem Essen zeigte ihm Sepp einen guten Platz für sein Zelt.
Mark baute alles auf und machte sich daran die Umgebung zu erkunden.

Drei Tage lang passierte nichts Außergewöhnliches. Mark lebte sich ein. Er fischte mit Sepp und erfreute sich des schönen Wetters, warf mehrmals einen Blick auf den Jungen. Zwischendurch streifte er im Wald herum und umrundete immer wieder den See.
Dann, am Nachmittag des vierten Tages, reagierte sein magisches Armband.
Es erwärmte sich. Ein eindeutiges Zeichen, dass etwas Unnatürliches in Gang war.
Er ließ sich von der Stärke der Temperatur des Armbandes leiten und erreichte eine kleine Lichtung. Er konnte schwören, dass sie zuvor noch nicht da gewesen war.
Eine riesige Blume wuchs im Zentrum. Mark erkannte einen großen, roten, geschlossenen Blütenkelch. Stark leuchtende Lichtquellen, Irrlichtern gleich, umschwirrten diese Pflanze.
Mark suchte seine Kamera. Eins der Lichter kam plötzlich auf ihn zu und vollzog einen verrückten Tanz in der Luft. Mark vernahm ein kindliches Lachen.
Da sein Armband es nicht als Gefahr erkannte, ließ er das nahe Schauspiel zu.
Das Licht machte einen Satz vorwärts und berührte den Geisterjäger an der Stirn.
Ein eisiger Schmerz durchfuhr Mark Garland.
Er schrie und stürzte zu Boden. Dann erlöste ihn die Bewusstlosigkeit.

*
Er schwebt über einem Wald. Er erkennt eine Lichtung auf der aus einem großen Felsen, eine Wasserquelle entspringt und in einem kleinen Bächlein mündet. Daneben steht eine prächtige Blume. In ihrem geöffneten, tiefroten Blütenkelch sitzt ein wunderschönes blondes Mädchen. Engelsgleiche Flügel schillern auf ihrem Rücken.
Hunderte von den Leuchtwesen - Mark deutet sie als Feen - umschwirren und liebkosen sie - die Königin der wundersamen Wesen.
Das Leben ist schön. Mark fühlt sich wohl. Er will diesen Ort nie mehr verlassen. Mit den Lichtern die Aufmerksamkeit der Königin wecken. Ihr gefallen.
Etwas lenkt ihn ab.
Aus der Ferne sind Geräusche zu hören. Töne, die Mark als Motorsägen erkennt. Irgendwo werden Bäume geschnitten.
Menschen! Sie kommen näher.
Die Lichter werden unruhig. Sie wollen ihre Königin beschützen. Mark muss die Königin beschützen.
Ein metallenes Ding wälzt sich auf die Lichtung. Menschen folgen. Die Königin schreit auf. Während einige der Lichter auf das Ungetüm losgehen, versuchen andere sie zu beruhigen.
Doch das Monster ist unbezwingbar. Die Menschen nehmen die verzweifelten kleinen Wesen nicht wahr. Mark bricht in Panik aus. Auch er greift an. Doch es ist nutzlos.
Die Königin versucht zu fliehen, ...
Mark weiß, dass sie das nicht kann. Die Königin ist die Blume und die Blume die Königin.
Mark stockt der Atem. Das Monster fährt ohne innezuhalten über die
Blume ...
Die Königin stirbt. Und damit die Friedfertigkeit der Feen. Hass und Wut macht sich breit in Mark. Er wird von der Gier zu töten mitgerissen.
Sie finden den Menschen, der das Metallmonster kontrolliert und stürzen sich auf ihn. Sie löschen sein Leben aus. Dann fliehen sie, irren ratlos umher.
Eines Tages lassen sie sich an einem neuen Ort nieder. Mark spürt, dass eine der ihren bald zu einer neuen Königin heranwachsen wird.
Sie lässt sich in der Erde nieder und ein neuer Keim sprießt.

*

Mark roch Moos. Etwas kitzelte ihn an der Wange
Stöhnend schlug er die Augen auf.
Er lag auf dem Waldboden, da, wo die Fee ihn attackiert hatte.
Die Lichter hatten ihn mit einigem Abstand umzingelt und schienen abzuwarten.
Sein eindrucksvoller Traum stand ihm noch gut vor Augen.
Oder war es die Erinnerung eines dieser Lichtwesen gewesen?
Warum hatte es ihn teilhaben lassen?
Er hatte es miterlebt, als wäre er selbst dabei gewesen.
Nun wurde ihm vieles klar, wenn auch noch nicht alles.
Die Blume auf der Lichtung war nun die neue Königin. Doch der Kelch hatte sich noch nicht geöffnet. Es war scheinbar noch nicht so weit.
Diese getriebenen Wesen taten ihm leid. Er überlegte, was er für sie tun konnte.

Eine Bewegung auf der anderen Seite der Lichtung riss ihn aus seinen Gedanken.
Benjamin trat eben zwischen den Bäumen hervor. Wie verzaubert folgte er zwei Feen. Sie führten ihn zur Blume. Fasziniert beobachtete Mark den Vorgang.
Der Blütenkelch reckte sich dem Kind entgegen.
Die Lichter schoben sich zwischen Mark und das Schauspiel, als fürchteten sie, dass er einschreiten werde.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Königin brauchte die Kinder, um neu zu entstehen. Diese Kinder waren die Ressourcen, die Nahrung.
Er machte einen Schritt auf die Blume zu. Die Lichter griffen an. Doch dieses Mal war er vorbereitet. Er sendete einen Gedankenbefehl an das Armband und es erzeugte eine Schutzaura um ihn. Nicht allzu stark. Dazu reichte seine Gabe nicht. Aber hoffentlich stark genug.
In wilder Raserei schlugen die Lichter gegen das magische Feld. Durch das Gewimmel hindurch sah er, dass der Junge den Kelch nun erreicht hatte.
Mark schrie verzweifelt, um Benjamin auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig zog er seine Pistole.
Das Kind schien ihn nicht wahrzunehmen.
Mark versuchte einen neuen Anlauf sich der Blume zu nähern, doch nun hatten die Lichter auch eine Art magische Barriere errichtet.
Verzweifelt schoss er auf die Wesen, die versuchten in seine Schutzaura einzudringen.
Einige der Feen vergingen und ihre Barriere wurde brüchig. Doch auch seine Schutzaura verlor an Kraft. Das magische Metall der Patronen zeigte also Wirkung.
Der Kelch hob sich über dem Kind.
Mark schrie noch lauter und wechselte das Magazin. Gerade noch rechtzeitig. Eines der Wesen war durchgebrochen und stürzte sich auf ihn. Es streifte ihn. Der eisige Schmerz war wieder da, doch deutlich schwächer als zuvor. Das Wesen hatte an Kraft verloren. Mark schoss.
Der Kelch berührte das Kind und es zerfiel in Gelb leuchtenden Staub.
Feenstaub!
Mark rannte gegen die Barriere an.
Die Aura und die Barriere der Feen lösten sich auf und Mark landete auf der Lichtung.
Die Lichter zogen sich übergangslos zurück und der Kelch öffnete sich.
Heraus stieg die wunderschöne Königin. Mark sprang auf und richtete seine Waffe auf die Frau.
Sie schien durch ihn hindurch zu sehen und erfreute sich an den Lichtern, die sie nun umgarnten. Ein kurzer Augenblick verging. Schließlich senkte Mark seine Waffe.
Es hatte keinen Sinn. Nun war der Feenzyklus wieder hergestellt, die Lichtwesen waren wieder friedfertig. Wenn er die Königin tötete, würde das Verschwinden der Kinder erneut beginnen.
Er drehte sich um und verließ das Geschehen.
Was sollte er Nadine Bauer erzählen?

ENDE

Letzte Aktualisierung: 22.05.2011 - 21.42 Uhr
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