Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Endlich frei | Juni 2011
Abschied
von Elmar Aweiawa

Der Tod und das Mädchen

Das Mädchen:
Vorüber! Ach vorüber!
Geh, wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.
Der Tod:
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund und komme nicht zu strafen.
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen!

Matthias Claudius



„Bist du es?“
„Ja, ich bin es, mein lieber Theodor.“
„Endlich, ich warte schon so lange auf dich.“
„Ich weiß, ich weiß. Doch früher konnte ich nicht kommen. Die Zeit war noch nicht reif. - Woran hast du mich erkannt?“
„Du hast dieses Schubert-Lied gesummt, das mit dir und dem Mädchen. Ich habe es so oft gehört. Und das Quartett gehört zu meinen Lieblingsstücken. Jedes Mal, wenn ich die Cellostimme gespielt habe, bekam ich eine Gänsehaut. Vor allem im zweiten Satz. Es ist eine zeitlose Musik.“
„Ja, das Lied gefällt mir. Es schmeichelt meinem Ego. Ich habe mich bei beiden persönlich bedankt. Bei Matthias und Franz.“
„Auch ich finde den Text ebenso schön wie die Musik. Und du ... bist darin ein Freund und gar nicht wild.“
„Manchmal und für manche bin ich so. Doch reden wir nicht von mir. Sag mir lieber, wie es dir geht?“
„Ich bin müde.“
„Das verstehe ich. Das Leben der Menschen ist nicht leicht.“
„Oh, es gab in meinem Leben auch Zeiten voller Leichtigkeit. Ich hatte eine herrliche Kindheit. Meine Mutter war die schönste Frau der Welt, und ich wollte sie unbedingt heiraten.“

Ein Lächeln legte sich auf Theodors Gesicht, und er strahlte eine Ruhe aus, wie seit Tagen nicht mehr. Sohn Siegfried und Tochter Anneliese, die an seinem Bett saßen, sahen es, und die Tränen stiegen ihnen in die Augen.

„Weißt du, als ich sieben war, ist Mama fast gestorben. Sie lag nach dem schweren Autounfall im Krankenhaus, und es ging um Leben und Tod. Oh, wie habe ich dich damals gehasst! Mit aller Kraft, die ich siebenjähriger Dreikäsehoch aufbringen konnte. Alles hätte ich gegeben, um dich von ihr fernzuhalten, du warst mein schlimmster Feind. Doch jetzt, 80 Jahre später, hab ich dich sehnlich erwartet. Ich brauche dich - als Freund.“
„Ich werde mich um dich kümmern, hab keine Angst.“
„Ich habe keine Angst. Nur müde bin ich und sehne mich nach Frieden. Und ich freue mich auf Hanna.“
„Sie wird da sein. Ich werde dich zu ihr bringen.“
„Seit du sie geholt hast, war das Leben nur noch ein einziges, großes Warten. Fünf endlos lange Jahre! Sie sind mir wie eine Ewigkeit vorgekommen.“
„Zeit ist Illusion, Theodor. Aus meiner Sicht geschieht alles gleichzeitig.“
„Dann siehst du Hanna jetzt, in diesem Moment?“
„Ja.“
„Ist sie immer noch so schön, wie damals?“
„Oh ja, sie sieht aus wie eine Braut.“

Wieder überzog ein feines Lächeln das Gesicht des Sterbenden. Seine Kinder versuchten, Kontakt zu ihm aufzunehmen, doch er reagierte nicht auf ihre Bemühungen. Zu weit hatte er sich bereits aus der Welt der Lebenden zurückgezogen.

„Weißt du, welches der schönste Augenblick in meinem Leben war?“
„Nein, erzähl es mir, wir haben noch etwas Zeit.“
„Als Anneliese und Siegfried zur Welt kamen. Ich war dabei, hielt Hannas Hand und half ihr pressen. Mein Gott, niemals wieder habe ich sie und diese winzigen Wesen, die gerade geboren wurden, so geliebt. Ich war durchdrungen von Liebe, hätte die ganze Welt umarmen mögen, und die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte sich nicht mehr. Alles stimmte und passte, wie es war. Kein Zweifel, keine Angst!“
„Die Liebe, mein Freund, ist das Wesen aller Dinge. Ohne sie ist alles Schaum.“
„Warum vergisst man es nur im Alltag immer wieder?“
„Ihr seid eben Menschen, keine Heiligen.“
„Oh ja, da hast du recht. An mir war nichts Heiliges. Ich war Mensch, durch und durch. Ein Sünder, trotz aller guten Vorsätze. – Doch erzähl, wie ist es dort, wo du mich hinbringst?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Es ist für jeden anders.“
„Aber du bist sicher, dass ich Hanna dort wiedersehe?“
„Ja, das steht fest.“

Die Kinder staunten über das grenzenlose Glück, das sich im Gesicht ihres Vaters zeigte. Mit einer liebevollen Geste strich Anneliese durch sein schütteres, graues Haar und schluchzte laut auf.

„Können wir jetzt gehen? Ich sehne mich so nach ihr. Dieser gebrechliche Körper ist mir nur noch eine Last. Wenn du mich von ihm befreist, werde ich dir ewig dankbar sein.“
„Du bist immer noch mit einem gesunden Humor gesegnet, Theodor. Sei beruhigt, bald ist es so weit, die Uhr ist fast abgelaufen.“
„Wenn ich gewusst hätte, wie du bist, wäre ich dir entgegengegangen. Du bist so ... zärtlich.“
„Das kommt nicht allen so vor, mein Lieber. Viele suchen mich und sehen in mir den Befreier, andere dagegen wollen mir unbedingt entkommen. Ich habe Verständnis für beide.“
„Es ist nicht erstrebenswert, besonders alt zu werden. Nicht, wenn man alleine zurückgelassen wird. Der Abschied von Hanna war bitter und schwer, obwohl er für sie eine Erlösung war. Dafür hätte ich dir eigentlich dankbar sein müssen, doch dazu war ich nicht fähig.“
„Lass gut sein, Theodor, und jetzt komm, deine Zeit ist um.“

Es dauerte eine Weile, bis Anneliese und Siegfried das Ausbleiben der flachen Atmung bemerkten. Mit Tränen in den Augen hielten sie sich an den Händen und schwiegen angesichts des Offensichtlichen. Die Trauer drückte sie nieder, und nur das Bewusstsein, dass Vaters glückliches Gesicht von einem leichten Tod sprach, linderte ihre Verzweiflung. Er war sanft entschlafen ... ein Glück, das man sich nicht verdienen kann.


3. Version

Letzte Aktualisierung: 21.06.2011 - 20.14 Uhr
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