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Endlich frei | Juni 2011

Jamie
von Sabine Barnickel

Jamies Haut unterschied sich kaum von dem weißen Bettlaken. Nur die Kurven, die lautlos über den Überwachungsmonitor glitten und hin und wieder versuchten auszubrechen, brachten etwas Farbe ins Zimmer.
Jamies Augenlider flatterten. Der Hauch eines Lächelns flog über sein Gesicht, als sein Blick sich fokussierte. Es blieb in seinen Augen hängen und entfachte das grüne Feuer darin.
„Hey Mountbatten“, flüsterte er.

Jamie drehte sich zu ihm um und grinste ihn an.
„Hey Mountbatten.“
Seine grünen Augen leuchteten, erinnerten ihn an die Abwehrfeuer. Jamies Oberkörper war nackt, er war gerade dabei sich umzuziehen. Die Uniform engte ihn ein, schnürte ihm die Luft ab. Er kämpfte mit den Knöpfen der Jacke. Dann war Jamie da.
„Ich mach das.“
„James, was …“
Jamie brachte ihn zum Schweigen, indem er ihm den Zeigefinger auf den Mund legte. Er schloss die Augen erst kurz bevor seine Lippen die des anderen Mannes berührten.

„Ich wollte nicht, dass du es aus der Presse erfährst ...“
„Sag es nicht.“
„… Ich werde sie heiraten.“
„Scheiß Konventionen.“
Etwas zerbrach in Jamies grünen Augen

„Geliebter …“
Die Sehnsucht in seiner Stimme wärmte ihn.
„Ich habe dich vermisst.“
Die Körper zu einem ineinander verschlungen lagen sie da. Jamies Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, seines gegen Jamies. Sein Schweiß salzig auf seinen Lippen, auf seiner Zunge. Dieser Augenblick sollte ewig dauern.
„Ich hoffe, sie macht dich glücklich.“
Der Moment zerbrach.


Weglaufen war keine Option, nicht Herkommen wäre eine gewesen, aber feige. Der Tod griff nach Jamie.
„James.“
„Dachte nicht, dass du kommst.“

„Dachte nicht, dass du kommst.“
In Jamies Augen glänzte das Fieber. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Wir haben einen ganzen Krieg überlebt …“, sagte Jamie.
Er konzentrierte sich auf sein Gesicht, um nicht sehen zu müssen, was der Unfall angerichtet hatte.
„… und jetzt diese Scheiße.“
Eine Granate hatte Jamies rechten Fuß und Unterschenkel zerfetzt. Er zog den Stuhl neben das Krankenbett und setzte sich. Er griff nach seiner Hand, verbrannte sich fast daran. Jamie umklammerte die seine.


Jamies Hand war eiskalt wie der Tod selbst. Er drückte sie nur sanft, als könnte sie zerbrechen. Den Gegendruck spürte er nur, weil die Stille es zuließ. Der Puls galoppierte davon.
„Geh nicht weg.“

„Geh nicht weg.“
„Ich muss. Ich kann sie nicht so lange allein lassen. Das Kind kann jeden Augenblick kommen.“
Jamie gab die Umklammerung auf, dreht den Kopf weg.
„Warum bist du dann gekommen?“
Die Enttäuschung und der Schmerz waren nicht zu überhören. Er ging trotzdem.


Jamies dunkle Haare waren von Silberstreifen durchzogen, seine waren bereits vollständig ergraut. Jamies Körper war nur noch ein Schatten, die Schmerzmittel hatten ihn über die Jahre ausgehöhlt.
„Ich werde nicht gehen.“
Doch in seinen Augen glomm immer noch dieses grüne Leuchtfeuer.
„Hast du Schmerzen?“

„Hast du keine Schmerzen?“
Jamie zog sich in den Sattel, brauchte einen Moment, bis er sein Gleichgewicht gefunden hatte. Dann verschwand die Anspannung um seinen Mund und er lächelte.
„Nicht, wenn ich auf einem Pferd sitze …“ Er wendete sich Anne zu. „Mylady, wie wäre es mit einem kleinen Wettrennen?“
„Es wäre mir eine Freude, Sir James.“
„Mountbatten?“
Ohne seine Antwort abzuwarten, waren Jamie und Anne auf und davon und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Jamie ritt trotz oder gerade wegen der Prothese wie der Teufel persönlich, lachte gegen den Wind und den Regen an.
„Gottverdammter Idiot!“

„Was sollte das, James?“
„Was?“
„Anne ist noch ein Kind. Ich wünsche nicht …“
„Annie ist vierzehn und reitet jetzt schon besser als du …“
„James ...“
„… Und besser als ich es je konnte.“
„Das ist der Punkt.“
Jamie verengte seine Augen zu Schlitzen.
„Dass ich ein Krüppel bin?“
„Du kannst dir deinen Hals meinetwegen brechen, wann immer du willst. Aber nicht, wenn sie dabei ist.“


„Jetzt nicht mehr.“
Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Er wusste, dass Jamie die Wahrheit sagte. So entspannt hatte er ihn in den letzten siebenundzwanzig Jahren nicht gesehen. Dies hier war ein Abschied, endgültig und nicht wegzudiskutieren.

Jamie atmete hörbar aus.
„Warum lässt du mich dann nicht einfach in Ruhe? Niemand zwingt dich hierher zu kommen.“
Er klammerte sich an seinen Stock.
„Das macht mich kaputt, Mountbatten.“


„Jamie …“
„Du musst mich gehen lassen.“
Das Glimmen in Jamies Augen wurde schwächer.
„Ich habe keine Schmerzen mehr.“
Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Keine Konventionen mehr.“
Er schüttelte mit dem Kopf.
„Lass mich gehen, Geliebter.“
Er nickte.

Irgendwann ließ er Jamies Hand los. Seine Augen brannten. Über den Überwachungsmonitor glitten nur noch farbige Linien. Jamie sah aus, als schliefe er.

Letzte Aktualisierung: 04.06.2011 - 22.07 Uhr
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