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Endlich frei | Juni 2011

Der Mey ist gekommen
von Jens Ritter

Die Zeit, der Ort ist nicht frei wählbar, an dem ich dir begegne. Das Straßenpflaster klirrt neben mir, von deinen Schritten. Klick-Klack. Du redest auf mich ein, dass es mit uns so nicht weiter geht. Du hast es satt immer auf mich zu warten, obwohl selbst du eine viertel Stunde zu spät bist. Auf die Frage nach meiner Uhr erwartest du nicht wirklich eine Antwort. Du weißt genau, dass ich nie eine trage. Ich bin da. Was willst du mehr? Zeit und Ort hattest du gestern telefonisch festgelegt mit einem „Wie immer!“. Ich habe diesmal selbst entschieden, mich treiben zu lassen vom Rhythmus des Tages, doch immer im Hinterkopf – du.

Es endet nicht im zweiten Wort, beim vierten Buchstaben. Dein Redefluss will nicht stoppen, lässt keinen Platz für ein einziges „Aber!“. Du führst einen Monolog, dem ich nicht zuhören will. Das Klick-Klack deiner Schuhe bohrt sich in mein Ohr. Wir erreichen langsam das Restaurant, obwohl wir schnellen Schrittes gehen.
Bevor es hinein geht, versuche ich dich zu besänftigen. „Ist gut!“, sage ich. Ich kann gerade noch meine Hand zurückhalten, mit der ich dir über den Kopf streicheln will, wie bei einem Pferd über die Mähne. „Ruhig Brauner!“, kreist es in meinen Kopf. Ich weiß, dass du dabei total ausflippen würdest. Nicht notwendig. Du tust es ja bereits. Mit der Hoffnung, nicht die ganze Aufmerksamkeit der Gäste zu haben, folge ich dir ins Restaurant.

Jede Sekunde, Minute, Stunde kann es vorbei sein. „Nichts ist gut!“, antwortest du und wir haben die ganze Aufmerksamkeit und einen Tisch am Fenster. Wir setzen uns, doch du springst gleich wieder auf und verschwindest in Richtung Toilette. Klick-Klack. Der Kellner bringt leicht schmunzelnd die Karte, erkundigt sich gleich nach Getränken, doch ich lasse mir noch etwas Zeit geben und dir die Freiheit selbst zu wählen. Ich wende meinen Blick nach draußen und versuche zu entspannen. Dass du mir wieder gegenüber sitzt, bemerke ich erst, als du mir die Karte aus der Hand reißt. „Hast du schon was bestellt?“ Ich schüttle den Kopf. „Alles muss man selber machen!“
Diese Reaktion war zu erwarten, egal was ich getan hätte. Der Kellner kommt erneut, kann sein mittlerweile süffisantes Grinsen immer noch nicht lassen. Vielleicht sollte er sich Gedanken machen über seine Berufswahl. Das Trinkgeld ist für ihn heute Abend gestorben. Du bestellst dir schnell einen Rotwein und hattest scheinbar auch Zeit dir ein Essen auszuwählen. Wildschwein mit Schupfnudeln. Deine vegetarische Phase scheint vorbei zu sein und die Sympathie des Kellners ist dir gewiss. Ich bestelle erstmal nur ein Bier und räume mir erneut noch etwas Zeit ein. Irgendwie ist mir der Appetit vergangen und ich mache mir nur wenig Hoffnung, dass er zurückkehrt.

Überall ist Hollywood. Der Kellner verschwindet und dein Blick geht eigene Wege. Plötzlich beginnst du zu lächeln. Ein Typ kommt auf dich zu und umarmt dich. Ein kurzer Blick zu mir, doch dann ist er von dir gefesselt. Du redest und er antwortet immer korrekt. Seine Antworten scheinen von dir vorgegeben zu sein, so perfekt wie sie sind und wie dein Lächeln es beweist. Er setzt sich an unseren Tisch, dir zugewandt. Es ist nicht notwendig, dass ich ihm die kalte Schulter zeige. Mit einem dritten Stuhl scheint unser Tisch wie für diese Szene geschaffen zu sein. Vielleicht wird hier so etwas öfters gespielt. Es bietet sich so an.
Der Kellner bringt die Getränke und erkundigt sich bei unserem Gast sofort nach einer weiteren Bestellung. Wahrscheinlich hat er doch nicht seinen Beruf verfehlt. Ich nehme mein Bier und gehe nach draußen. Zum ersten Mal bin ich froh, dass es ein Rauchverbot in Gaststätten gibt. Doch nicht Hollywood. Beim Gehen bemerke ich noch, wie unser Gast sich auch einen Rotwein bestellt. Ist er nicht perfekt?

Ein bisschen Frieden. Endlich stehe ich draußen, immer noch auf der Suche nach Entspannung. Aber daraus wird wohl nichts, denn kurze Zeit später bin ich nicht der Einzige mit einem Glimmstängel in der Hand und nicht wirklich sicher, dass dieser Gast auch in diesem Restaurant verkehrt. Er fällt wohl eher unter die Kategorie Schnorrer und ist hier nur auf der Suche nach Gesellschaft und Kippen.
Und schon unterhalten wir uns übers Wetter und ich bemerke erst jetzt, dass es nicht sonderlich gut aussieht. Regenwolken ziehen auf und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihren Ballast abwerfen. Ich hänge mit meinen Gedanken noch über den Wolken und schon ist er bei der Klimaerwärmung angekommen. Ich halte mich aus diesem Thema raus, lasse ihn einfach reden, obwohl ich genug zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Stehen, war ich doch gerade aus einem schlechten Beziehungsklima geflüchtet. Ich gebe ihm und mir noch eine Kippe und er ist nun bei den AKWs angekommen. Am Ende wird es sich herausstellen, dass er im Ortsvorstand der Grünen ist und ich ihn bei der letzten Wahl gewählt habe. Möglich ist alles.
Ich erinnere mich kurz an deinen Kommentar, zu meiner Wahl. „Die Grünen! Wenn du kein Geld für was zu fressen hast, nützt dir auch die Umwelt nichts mehr!“, hattest du gesagt und mich als Strafe gleich für eine Woche auf Sexentzug gesetzt. Du hast ja recht. Warum sollte man auch Kinder in diese Welt setzen? Aber daran hattest du sowieso noch nie gedacht.
Der Schnorrer und ich haben aufgeraucht. Er bedankt sich und geht wieder ins Restaurant. Also doch ein Grüner!

Es wird Zeit für mich zu gehen. Auch für mich ist es längst Zeit, wieder hinein zu gehen. Ein Blick nach innen verrät mir, dass du dich noch gut amüsierst und es noch nicht notwendig ist, sofort auf der Bildfläche zu erscheinen. Nach einem Umweg über die Toilette sitze ich dir fünf Minuten später wieder gegenüber. Dein Essen steht vor dir auf dem Tisch, aber wo ist eigentlich mein Bier? Ich hatte es wohl auf der Raucherinsel vergessen, halbvoll. Ein Blick nach draußen. Es ist weg. Wahrscheinlich hatte dieser „aufmerksame“ Kellner, der zu meiner Überraschung gerade an unserem Tisch ein weiteres Wildschwein serviert, es schnell entfernt.
Nun sitze ich also auf dem Trockenen. „Guten Appetit!“, höre ich mich sagen. Ich weiß halt, was sich gehört. Dein Gast dreht sich zu mir um und streckt mir die Hand entgegen. „Uwe!“, stellt er sich vor. „Tom!“ erwidere ich und reiche ihm notgedrungen die Hand. „Ich weiß.“, sagt er. „Was weißt du denn noch alles?“, frage ich mich, denn er hat sich schon längst wieder zu dir gedreht. Ich halte Ausschau nach dem Grünen, ob es nicht schon wieder Zeit für eine Zigarette ist, aber ich kann ihn nicht entdecken. Also rufe ich den Kellner noch einmal herbei und bestelle erneut ein Bier. „Trink nicht so viel!“ höre ich dich sagen und bekomme so kurzzeitig deine Aufmerksamkeit. Uwe scheint es witzig zu finden, wie es so bei uns läuft. Wenigstens einer, der noch Spaß an unserer Beziehung hat.
Das Bier kommt und nicht nur einmal. Die Wildschweine verschwinden und irgendwann bist auch du verschwunden, mit Uwe, für diesen Abend oder für immer? Nur eines kehrt zurück. Der Hunger. Und ich gönne mir einen Spinatauflauf.

© Jens Ritter

Letzte Aktualisierung: 26.06.2011 - 09.46 Uhr
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