Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Flower Power | Juli 2011
Och nee, bloß keine Blümchen!
von Elsa Rieger

In den Abendnachrichten die Bilder verdorrender Menschen und Landschaften am Horn von Afrika, die fanatische Rede eines wahnsinnigen Diktators mit Namen Gaddafi, Strahlengift über Japan. Obamas Kampf gegen die Windmühlen der Republikaner zum Abschluss. Werden wir alles in Schutt und Asche gelegt haben, bis sich unser Gehirn endlich weiterentwickelt hat? Eines Tages wird die Welt wieder ohne uns auskommen.

Das dachte ich schon 1969. Vietnam. 22. Januar. Ich war vierzehn. Jimi Hendrix vor den Toren Wiens! Es war sein vorletzter Auftritt. Das Konzerthaus war auf die wilde Rockperformance nicht vorbereitet. Aber es hatte Frank Zappa und die Mothers of Invention überstanden, auch Janis Joplin und Joe Cocker waren hier aufgetreten. Nun Jimi Hendrix Experience. Meine modernen Eltern hatten mich mitgenommen. Beinahe hätten wir das Gehör verloren, wir waren danach tagelang taub. Von einer johlenden Menge war nicht die Rede. Das Publikum saß auf bebenden Biedermeierstühlen, während Jimi Hendrix mit Fuzz Boxes, Wah-Wah-Pedalen und Marshall-Verstärkern uns mehrere tausend Watt in die Ohren knallte.
Vor Jimi ging ich zum Eislaufen, kicherte mit meinen Freundinnen und genoss die Schulferien. Die Wände in meinem Zimmer waren mit Postern von Rex Gildo, Charlton Heston und Pierre Brice zugehängt.
Nach Jimi war ich nicht mehr dieselbe. Ich ging auf die Straße, dem Protest galt ab sofort mein ganzes Interesse. Bis auf die Zeit, die ich in der Schule absitzen musste, beteiligte ich mich an jeder Demonstration. Ich unterschrieb auf allen Listen, die mir unterkamen: Greenpeace, Amnesty International und alles gegen jeden Krieg. Die Sache mit dem Tragen von Margeritenkränzen auf den Locken kam in Wien nicht recht an. Weder tanzten wir infiziert vom Flowerpower durch die Straßen noch warfen wir mit Herzerlblick der Menschheit Kusshände zu. Dennoch forderten wir Freiheit für alle. Vor allem jedoch für uns und den legalen Genuss von Haschisch. Wenn auch das Blumenstreuen bei uns nicht recht zog, Pot rauchen wollten wir schon, das hatte sich durchgesetzt.
Ich umrandete meine Augen mit Kajal, zog bunte bodenlange Kleider an und trug Mamas Spitzenhöschen darunter.
„Love, Peace and Rock’n’Roll“ brüllend schien ich der freien Liebe zu frönen. In Wahrheit traute ich mich nicht. Meine Eltern waren überzeugt, ich würde es tun. Darauf war ich sehr stolz. Papa tobte. Meine Mutter weinte und besorgte mir schleunigst die Antibabypille.
Eines Tages tat ich es doch. Ich war so bekifft, dass ich meine Defloration nicht mitbekam. Nachdem sich die Nebelschwaden aus meinem Gehirn entfernt hatte, erzählte mir Julian, so hieß der Junge, davon und ich war überglücklich, das erledigt zu haben.

Nach Flowerpower fuhr ich total auf Punk ab. Zwei Gründe waren damals ausschlaggebend. Ich ertrug diese waschlappenweichen Antihelden nicht. Sex mit jenen Typen war todlangweilig, am liebsten diskutierten sie darüber. Dabei hieß es doch Make-love-not-war. Vollgedröhnt trugen sie ein dümmliches Lächeln im Gesicht, ich hätte schreien können. Überbordend vor Fantasien vom Weltfrieden, taten sie rein gar nichts dafür. Wie Taugenichtse lebten sie in den Tag hinein, schnupperten an Räucherstäbchen und tanzten sich zu In A Gadda Da Vida in Trance, statt die Welt zu verbessern. Sie waren pappig wie Marshmallows.
Da hockte ich lieber mit den Lederjackentypen im Volksgarten vor dem Palmenhaus, rauchte und verfluchte mit ihnen die Bourgeoisie, unsere Eltern, das Geld. Kamen Bürger an uns vorbei, schnorrten wir. Gaben sie nichts, verdammten wir sie, gaben sie ein paar Groschen, verdammten wir sie auch.
Der andere Grund, die Fronten zu wechseln, war, ich wollte unbedingt auch ein wildes Tattoo. Da minderjährig, benötigte ich die Einwilligung meiner Eltern. Damals gab es ein einziges Studio in der Stadt.
„Du willst waaaas?“, kreischte meine Mutter. Papa zog die Augenbrauen hoch.
Ich sah auch ohne schon beeindruckend aus in den Netzstrümpfen mit zusätzlichen Löchern. Meine DocMartins hatten ein ganzes Monatsgehalt geschluckt, der schwarze Minirock spannte am Hintern. „Piss off“ stand auf meinem Shirt.
„Ich will ein schwarzes Herz, aus dem rotes Blut tropft.“
„Warum?“, fragte Papa.
„Weil es Mode ist“, sagte meine Mutter, die inzwischen ihre Toleranz wiedergefunden hatte. Ich bekam die Unterschrift.
Der Tattooshop war derart schmuddelig, dass es sogar mir auffiel. Der Mann, der gerade einem Kunden in die Brust stach, war selbst über und über tätowiert, er blickte auf, als ich hereinkam. Zahnlos grinste er mich an und kratzte mit schwarz geränderten Nägeln seinen wabbeligen Bauch.
„Willst du deine Pussy tätowieren lassen?“
„Nö, ich suche nur jemanden, der ist aber nicht hier. Tschüss.“

Sex Pistols, Clash und Iggy Pop. Punk-Rock ist der wahre Rock’n’roll. Als Punk kiffte man selten. Man soff. Bier. Man war hart wie Stahl. Es gab keine Romantik, wir saßen nicht im Park unter dem Sternenhimmel und flüsterten von der Liebe. Ich lungerte in kalten, nach Rauch und Bier stinkenden, verdreckten Probekellern herum und die Bands brüllten Attacken gegen das Establishment ins Mikrofon. Dazu wurde in die Elektrogitarren gehauen wie die Hölle.
„I got no feelings and no feelings for anybody else” war die Devise, ausgerufen von den Sex Pistols. Wir hielten uns strikt daran. Jeder, der Lust hatte, ging mit jedem, der wollte, ins Bett. Wir zogen in unseren schwarzen Klamotten durch Wien und hassten alles, was normal war.
Mit der Zeit verkrümelte sich einer nach dem anderen, ständig böse zu sein, war zu anstrengend, schließlich wollten wir auch nur lieben und geliebt werden.

Das wollen wir auch heute noch. Aber damals war es vielleicht einfacher. Ich schiebe den Teller weg, mir ist der Appetit vergangen. Im Werbeblock lachen schöne Menschen an sommerfrischen Frühstückstischen im saftigen Grün. Die blütenweiße Wäsche flattert froh im lieblichen Wind. Ich könnte kotzen.

(3. Version)

Letzte Aktualisierung: 24.07.2011 - 09.16 Uhr
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