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Flower Power | Juli 2011

Blau blüht der Enzian
von Barbara Hennermann

Es gibt Dinge im Leben, die man gern ungeschehen machen würde. Noch besser wäre natürlich, sie hätten gar nicht erst statt gefunden …

Bernadette schürzte die Lippen. Wie, zum Teufel, war sie eigentlich dazu gekommen, sich jemals mit diesem Mann einzulassen?
Eigentlich hätte sie doch gleich stutzig werden müssen. Wenn sich schon einer im Internet „Enzian“ nennt …
Aber irgendwie war er ihr trotzdem nett erschienen, hatte sie „Mäuschen“ und „mein Edelweiß“ genannt. So etwas war Bernadette nicht gewöhnt gewesen. Von klein auf eher stämmig und selbstbewusst, hatte man sie mit Kosenamen nicht verwöhnt. Sie hatte sich ihren Weg erkämpft, war Filialleiterin in einem großen Supermarkt geworden und mit knapp vierzig noch unbemannt. Das sollte sich ändern und so trat Hans-Werner alias „Enzian“ in ihr Leben. Ihre Freundin Birgit hatte ihr geraten, doch mal einen Partnerchat im Netz aufzusuchen. Hans-Werner schien die gleichen Interessen wie sie zu haben. Anfangs bestätigte sich das auch. Er umschmeichelte und verwöhnte sie, machte einen soliden und zuverlässigen Eindruck. Bernadette glaubte ihn zu lieben. Schließlich war es das erste Mal, dass solche Gefühle sie streiften. Und seine Liebe zu den Bergen war ja gewiss nichts Verwerfliches, zumal auch sie selbst die freie Natur schätzte!
Nach einem halben Jahr bat er sie um ihre Hand und Bernadette willigte ein.

Die Hochzeitsnacht fiel leider flach, da Hans-Werner infolge übermäßigen Alkoholkonsums sofort in einen schnarchenden Tiefschlaf fiel. „Verzeihlich nach einem solchen Tag“, dachte Bernadette und schonte das rosa Negligee, das sie für diesen besonderen Anlass erstanden hatte.
Tags darauf begaben sie sich auf die Hochzeitsreise in die Berge, denn das hatte er sich gewünscht. Bernadette war einverstanden gewesen, sofern sie nicht auf Hütten übernachten müsste.
Das Hotel schien ihr zufrieden stellend. Ihr Zimmer im fünften Stock war gemütlich und über die Balkontür konnte die frische Gebirgsluft hereinfluten. Das Ambiente stimmte! Bernadette freute sich auf den Abend und die nachzuholende Hochzeitsnacht.
Bereits beim Abendessen allerdings keimte in ihr die unangenehme Ahnung auf, dass sein Nickname „Enzian“ weniger mit der Alpenflora als vielmehr mit der Destille zu tun haben könnte …
Auch an diesem Abend flatterte das rosa Negligee unbenutzt unter gewaltigen archaischen Atemstößen am Nachbarbett, während Bernadette weinend vom Sessel aus einen Liebesfilm im Kabelfernsehen verfolgte.

Für den nächsten Tag war die erste Bergtour angesetzt. Bernadette bewältigte den steilen Aufstieg unter Freudenschreien, denn links und rechts des befestigten Weges klammerten sich Edelweiß, Alpenrose und Enzian ans Gestein. Hans-Werner hingegen musste sich immer wieder aus dem vorsorglich mitgeführten Flachmann stärken, um vorwärtszukommen. Mit letzter Kraft erreichte er die Hütte, wo er sich sofort ein großes Bier bestellte.
Da thronte er nun inmitten eines Kreises von Wanderern, erzählte mit erhobener Stimme von seinen früheren Bergtouren auf Fünftausender, gegen die „das hier ein Klacks ist, aber meiner Frau kann ich das nicht zumuten“ und goss literweise Bier und Schnaps in sich hinein.
Bernadette aber saß mit geschürzten Lippen abseits, beobachtete ihn voll Verachtung und fragte sich, wie zum Teufel sie eigentlich dazu gekommen war, sich jemals mit diesem Mann einzulassen. Das rosa Negligee schwebte in ihre Gedanken, voll kummervoller Falten, denn es würde auch an diesem Abend nicht zum Einsatz kommen, so viel war klar. Zu allem Überfluss dröhnte aus dem Lautsprecher des Hüttenwirts Heinos „blau blau blau blüht der Enzian“ durch den Raum und verstärkte in ihr die Abneigung gegen diese an sich edle Gebirgspflanze.

Die Sonne schickte sich an, Rot versprühend hinter den Berggipfeln ihre Nachtruhe anzutreten, die Wanderer hatten sich längst an den Abstieg gemacht, doch Hans-Werner frönte weiter dem Enzian. Mit Mühe gelang es Bernadette und dem Hüttenwirt, ihn zum Aufstehen zu bewegen. „Seien Sie vorsichtig“; ermahnte der Wirt sie noch, „der Weg ist zwar gut befestigt, aber daneben geht es steil nach unten.“
Erstaunlicherweise schien Hans-Werner fest auf seinen Beinen zu stehen. „Liebschen“, nuschelte er, „das war ein schöner Tasch. Isch liiiiebe die Bersche! Du nischt ausch?“ Mit Mühe, aber einigermaßen standfest, schritt Hans-Werner voran. Stumm folgte Bernadette, doch ihre Gedanken rasten. Das rosa Negligee - eindeutig ein Fehlkauf! Die daran geknüpften Hoffungen - zerstört!
„Schatz, sieh doch mal, sind die Enziane nicht wunderschön?“ „Soll isch dir welsche pflücken, Edelweißschen?“ Schon sprang er vom Weg zur Seite auf den Hang. Bernadette schrie auf. Um Gottes Willen, er rutschte … rutschte … o nein … fing sich wieder … kam auf den Weg zurück … hielt ihr eine zerknautschte blaue Blüte hin …
In Bernadettes Kopf überschlugen sich die Gedanken.
Jetzt! Die Gelegenheit! Nur ein kleiner Stoß … Dinge ungeschehen machen …

Sie schüttelte sich. Packte ihn am Arm. Schüttelte ihn.
„Schluss jetzt! Bleib am Weg!“

Am samtschwarzen Himmel funkelten die Sterne über den Bergen, als sie endlich das Hotel erreichten. Abgekämpft, doch wohlbehalten.
Bernadette ging sofort auf ihr Zimmer und ins Bett. Das nutzlose Negligee hängte sie am Balkon auf einen Kleiderbügel, schmückte es mit der Enzianblüte. Sollte es doch wenigstens auf diese Weise etwas von der Nacht haben!
Kurz darauf torkelte Hans-Werner herein. Er hatte sich nach dem anstrengenden Abstieg nochmals an der Hotelbar stärken müssen. Seine glasigen Augen fokussierten das rosa Etwas, das am Balkon im Wind tanzte. „Liebschen, wie hübsch du bischt“, säuselte er. Er riss die Balkontür auf, umarmte charmant seine vermeintliche Frau. „Och, den Endschian hasse ausch angeschteckt. Dann woll´n mer mal ein Tänzschen waschen. – Blau blau blau blüht der Endschian …“ Jäh brach sein Gesang ab.

Bernadette stürzte aus dem Bett auf den Balkon, blickte ins Nichts.
Ihr Aufschrei brachte die Sterne zum Funkeln … verächtlich, wie ihr schien ….

Es gibt Dinge im Leben, die man gern ungeschehen machen würde. Noch besser wäre natürlich, sie hätten gar nicht erst statt gefunden!

Letzte Aktualisierung: 27.07.2011 - 08.57 Uhr
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